Für Schwedens neue Außenministerin Margot Wallström handelt es sich um „eine sehr große Bedrohung im Ostseeraum“. Für Tobias Edberg ist es einfach nur „spannend“. Beide Schweden sprechen über das Ereignis, welches das Land seit Freitag in Atem hält. Edberg besitzt in den Stockholmer Schären ein Ferienhaus. Vom Fenster konnte er das ganze Wochenende febrile militärische Aktivitäten beobachten: Helikopter, Amphibienfahrzeuge, Schnellboote und eine Fregatte kreisten immer wieder auf dem Kanholmsfjärden, einem großen offenen Gewässer in der Inselwelt vor Stockholm. „Sie haben sogar kleine Sinkbomben geworfen“, erzählte er der Zeitung „Svenska Dagbladet“.
Das schwedische Militär geht von „einer ausländischen Unterwasseroperation“ aus, die sich derzeit irgendwo zwischen den rund 30.000 Inseln und Inselchen vor Stockholm abspielt. An Tag vier der Suche verfolgten die Streitkräfte offensichtlich eine konkrete Spur. Sie konzentrierten sich am Montag auf ein Gebiet rund um die Insel Nåttarö in den südlichen Stockholmer Schären. Zivile Boote wurden angehalten, zehn Kilometer Abstand zu halten. Auch für den Flugverkehr wurde der Bereich gesperrt, meldeten mehrere Medien. Ein Militärsprecher sagte der Nachrichtenagentur TT: „Wir führen eine Geheimdienstoperation durch und dies gehört zu den Schritten, die wir tun müssen, um unsere Aufgabe zu erledigen.“
Die Medien scheinen schon zu wissen, wer gesucht wird: „Marine jagt russisches U-Boot“. Doch Beweise für eine Verletzung der schwedischen Hoheitsgewässer durch eine fremde Macht gibt es bisher nicht. Und aus dem russischen Verteidigungsministerium kam ein klares Dementi. „Keines unserer U-Boote hat einen Notfall“, erklärte ein Sprecher. Gleichzeitig erklärte ein Sprecher des Ministeriums, dass es sich um ein niederländisches U-Boot handelt, das möglicherweise in den Stockholmer Schären taucht.
Die Regierung in Den Haag wies das zurück, erklärte aber, dass mehrere holländische U-Boot in der vergangenen Woche an einer Nato-Übung in der Ostsee teilgenommen hätten. Alle Boote seien von dem Manöver zurückgekehrt.
Funkspruch aus den Schären nach Kaliningrad
Dass der Verdacht sofort auf Russland fiel, hat gute Gründe. Zum einen lief vor fast genau 33 Jahren bei Karlskrona in Südschweden ein sowjetisches U-Boot auf Grund und musste geborgen werden. Damals hieß es aus Moskau, dem Kapitän sei ein Navigationsfehler unterlaufen. Zum anderen hatte der schwedische Geheimdienst vergangene Woche einen Notruf in russischer Sprache abgefangen.
Der Funkspruch sei aus den Stockholmer Schären an eine Station in Kaliningrad gesendet worden, berichtete „Svenska Dagbladet“ unter Berufung auf zuverlässige Quellen. In Kaliningrad ist die russische Ostseeflotte stationiert. Ein Marinesprecher wollte den Bericht weder bestätigen noch dementieren. Als dann ein Bewohner in den Stockholmer Schären ein Unterwasserfahrzeug gesehen haben will, wurde der Großeinsatz gestartet. Mehr als 200 Soldaten nehmen an einer der größten Operationen der vergangenen Jahre teil.
Bislang allerdings ohne größere Erfolge. Ein Foto, das die Marine am Sonntagabend veröffentlichte, zeigt nicht viel mehr als einen dunklen Gegenstand auf dem Wasser, umgeben von etwas Weißem, möglicherweise Gischt. Details lassen sich auf dem Bild nicht erkennen, doch ein Marinesprecher zeigte sich überzeugt, dass es sich bei dem abgebildeten Gegenstand um „ein von Menschenhand gefertigtes Objekt“ handelt.
Die Suche nach einem möglichen Eindringling lief die ganze Nacht über. Am frühen Montagmorgen wurde allerdings das Suchgebiet vom Kanholmsfjärden weiter nach Süden Richtung der Insel Utö verlagert. Ganz in der Nähe befindet sich Muskö, der größte Flottenstandort der schwedischen Marine. Möglicherweise hat sich also der ungebetene Gast weiter Richtung dieser Basis bewegt. In dem gesamten Gebiet kommen Wassertiefen von bis zu 100 Meter vor. Und die zerklüftete Inselwelt bietet unendliche viele Verstecke.
In Schweden vermuten Militärexperten, dass es sich bei dem Eindringling um ein russisches Mini-U-Boot handeln könnte. Möglicherweise habe die Besatzung den Auftrag, die während des Kalten Krieges installierte Spionagetechnik wie Sensoren zu modernisieren oder abzubauen. Dabei könnte sich ein Zwischenfall ereignet haben, der die Besatzung einen Notruf absetzen ließ.
Gleichzeitig zu der Jagd auf ein ausländisches U-Boot in den schwedischen Hoheitsgewässern hat die Marine mysteriöse Schiffsbewegungen in der Nähe der Stockholmer Schären beobachtet: Der unter liberianischer Flagge fahrende russische Öltanker „NS Concord“ hielt sich tagelang fast stillliegend rund 70 Seemeilen von dem Großeinsatz der schwedischen Marine entfernt auf.
Thomas Ries, Forscher an der Militärhochschule in Stockholm, schließt nicht aus, dass es sich bei dem Tanker um das Mutterfahrzeug für ein mögliches Mini-U-Boot handeln könnte. „Man kann im Prinzip jedes Schiff so umbauen, dass es U-Boote losschicken und wieder aufnehmen kann“, sagte er „Svenska Dagbladet“. Mittlerweile hat die „NS Concord“ allerdings wieder Fahrt aufgenommen und entfernte sich von der schwedischen Küste. Gleichzeitig gab am Sonntag zeitweise das russische Forschungsschiff „Professor Logachev“ Anlass für wilde Spekulationen: Es befand sich auf dem Weg von Sankt Petersburg Richtung Stockholmer Schären. Das Besondere an dem Schiff: Es wird eingesetzt, um den Meeresboden zu kartografieren und zu untersuchen. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt, da die „Professor Logachev“ Kurs auf Danzig in Polen genommen hat.
Es gelang nie, einen Eindringling zu stellen
In den vergangenen Jahrzehnten gehörte die Jagd auf fremde U-Boote an der schwedischen Küste zu einem sich fast alljährlich wiederholenden Feuilleton. Trotz Einsatz von Wasserbomben und schwerstem Gerät gelang es nie, einen Eindringling zu stellen. Vielmehr machte sich die Marine mehrfach lächerlich, als sie einräumen musste, einen Seehund für ein Mini-U-Boot gehalten zu haben.
Auch wurden U-Boot-Jagden offenbar als Argument für einen höheren Wehretat genutzt. Ein Grund für mögliche Territorialverletzungen der schwedischen Hoheitsgewässer könnte die in letzter Zeit geschehene Annäherung der beiden neutralen Länder Finnland und Schweden an die Nato sein. Militärexperten in Finnland und Schweden schließen nicht aus, dass mehrere Luftraumverletzungen in den vergangenen Monaten durch russische Kampfjets ein Signal sein sollten, Moskau eine weitere Nato-Annäherung nicht gutheißt.
Schwedens Außenministerin Wallström will sich bisher noch nicht auf eine Nationalität des Eindringlings festlegen. „Wir sollten einen kühlen Kopf behalten“, erklärte sie. „Man muss unterscheiden zwischen realen Ereignissen wie der russischen Aggression und reinen Spekulationen, wie wir sie jetzt haben.“