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Silicon Valley: Das Morgen-Land

Foto: Corbis

SPIEGELblog Eine Debatte über Digitalisierung muss geführt werden

Der SPIEGEL-Titel dieser Woche hat in Teilen der Netzöffentlichkeit eine heftige Debatte ausgelöst. Der Text befasst sich nüchtern mit dem Silicon Valley und seinen Protagonisten, aber die Reaktionen waren oft emotional.

Jeff Jarvis etwa, Buchautor, Blogger und aktiver Meinungsmacher zu vielen digitalen Themen, kritisiert, dass im SPIEGEL Fragen wie diese gestellt werden: "Ist das jetzt der Zeitpunkt für Regulierung, bevor die Welt endgültig von digitalen Monopolen beherrscht wird?"

Für Jarvis und seine Anhänger ist damit klar, dass der SPIEGEL technologiefeindliche Propaganda betreibt .

Zum einen ist es seltsam, dass nach dieser Sichtweise kritische Fragen offenbar gar nicht erst mehr gestellt werden dürfen. Und dass eine Debatte über die großen Umbrüche durch die Digitalisierung als abwegig deklariert wird.

Noch interessanter aber ist, was manche Kritiker komplett unterschlagen. Viele Menschen stellen sich weit mehr Fragen, als nur die nach der Regulierung: Ist es genauso albern, gegen Uber zu sein, wie es vor hundert Jahren lächerlich war, die Pferdedroschken vor der Autoindustrie schützen zu wollen? Müssen wir uns ängstigen vor einer technologisierten Welt, oder sie - im Gegenteil - herbeisehnen als Weg zu mehr Wohlstand?

Erstaunlich sind deshalb nicht solche reflexhaften Angriffe wie die von Jarvis an sich. Sondern, dass sie oft bewusst unreflektiert sind. Sie basieren auf Unterstellungen und weniger auf Lektüre des Textes. Zu lesen gibt es deswegen nun auch eine englische Version des Titels . Denn die Haltung des SPIEGEL ist eine ganz andere: Der technologische Fortschritt bietet große Chancen, um die Menschheit voranzubringen. So beschreiben wir es immer wieder in unseren Silicon-Valley-Artikeln. Seien es das selbstfahrende Auto oder neue medizinische Therapien durch Computertechnologie: Die Ambitionen der Tech-Konzerne haben zuletzt viele Bereiche vorangebracht, in denen der Fortschritt zu lange stockte.

Die Ingenieure im Silicon Valley, die ich in den vergangenen Jahren kennengelernt habe, sind tatsächlich oft nicht einfach Geschäftemacher, sondern Idealisten. In den Forschungslaboren von Google wird mitunter grundsätzlicher und klüger über die Welt und die Bedeutung von Technologie nachgedacht als an vielen führenden Universitäten. Die Macher im Valley wollen nicht nur ein Produkt verkaufen und soviel Profit machen wie möglich, sondern die Welt zum Besseren verändern. Und das ist gut so.

Zugleich ist es wichtig, diese Perspektive im Auge zu behalten, wenn über Für und Wider der digitalen Revolution gestritten wird.

Aber für Teile der Gesellschaft und nicht zuletzt auch für die Politik ist diese neue, schnellere Welt oft noch fremd. So werden oft die falschen Maßstäbe angelegt. Deswegen kann es nicht die Lösung sein, einfach nach mehr Regeln zu rufen oder nach einem "Durchgreifen der Politik". Stattdessen ist es wichtig zu fragen: Wie können wir neue Maßstäbe entwickeln, die es einerseits den Erfindern im Valley und dem Rest der Welt erlauben, den Fortschritt noch weiter voranzutreiben, das Potenzial der Technologie voll auszuschöpfen? Und wie können wir gleichzeitig einen Rahmen finden, bei dem andere Werte nicht auf der Strecke bleiben? Im Silicon Valley wurde richtig erkannt: Man kann sich nur vorwärts bewegen, wenn man neu über die Welt nachdenkt.

An solch einem Diskurs ist jedoch nicht jedem gelegen. Jarvis etwa ist keineswegs unparteiischer Beobachter, sondern auch Propagandist für die eigene Sache. Er hat sich vorgenommen, die vermeintlich allgegenwärtige deutsche Technophobie zu entlarven. Eine offene Diskussion stört da offenbar nur. Sonst hätte er sicher auch nicht so schnell Godwin's Law gebrochen. Eine Regel für Internet-Debatten, die besagt: Wer als erstes eine Nazi-Referenz in die Diskussion wirft, hat automatisch verloren. Das hat Jarvis getan und auf Twitter das SPIEGEL-Titelbild mit einer Hitler-Collage gleichgesetzt.

Die Aufgabe von Journalisten ist es, beide Seiten zu sehen - und die Chancen wie die Risiken zu beschreiben, ohne immer gleich den Anspruch zu erheben, dass es genau so eintreten muss.

Wie schnell die Emotionen überkochen, zeigt, wie dringend die Debatte über die Digitalisierung breiter in der Öffentlichkeit geführt werden muss.

Im neuen SPIEGEL: Wie das Silicon Valley unsere Zukunft steuert

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