Eurofighter: Ein gutes Flugzeug

Unvermittelt wirbelt gelbes Licht durch die Halle, bricht ein Sirenenheulen die Stille, schieben sich die Torsegmente in Zeitlupe zur Seite. Draußen steht ein neuer Patient. Ein Flugplatz-Unimog hat den Eurofighter 31+10 vor den Instandhaltungshangar gezogen. Jetzt wartet er da, im Nieselregen, bis die zehn Kassetten des Rolltores auseinandergeglitten sind. Dann schiebt der Unimog das Flugzeug herein, neben die anderen stummen grauen Vögel, die schon in der Halle parken. Das Tor schließt sich, das Blinken endet, es herrscht wieder die betriebsame Ruhe, die zu der Weite der Halle gar nicht passen will. An den meisten der sieben Eurofighter, die hier in der Instandsetzung stehen, arbeiten Soldaten in Overalls: vom Rumpf und von der Nase der Kampfflugzeuge hängen rote Fähnchen, die üblichen Stoppzeichen der Luftfahrtindustrie, auf denen stets das Gebot „remove bevor flight“ aufgestickt steht. Aber die Arbeit geht ohne Lärm vonstatten, kein Gehämmer, kein hydraulisches Pressen oder Seufzen, keine dringenden Rufe. Vielleicht machen Höhe und Ausdehnung die Stimmen klein, vielleicht ist es die Erfahrung der Techniker und Ingenieure, sicher liegt es auch an den grauen Patienten in dieser Operationshalle, deren Haut nicht mehr aus Aluminium oder Stahl besteht, sondern aus Glasfaser-Werkstoffen; in deren Innerem nicht mehr Seile und Hebel den Flug lenken, sondern Kabel und Computer. „Wir arbeiten hier viel mit Kleber und Farbe“, sagt einer der Instandhaltungstechniker. Im Hangar des Taktischen Luftwaffengeschwaders 73 „Steinhoff“ in Laage bei Rostock hat die deutsche Luftwaffe die längste Erfahrung mit ihrem modernsten fliegenden Waffensystem gesammelt. Vor zehn Jahren traf der erste Eurofighter auf dem Fliegerhorst ein. Inzwischen liegt die Bestandszahl zwischen 24 und 27 Flugzeugen. Und wie viele können fliegen? Meist sei „grob die Hälfte im Flugdienst“, sagt Oberstleutnant Henning zur Nieden, der als „Kommandeur Technik“ Wartungs- und Instandhaltungsbetrieb in Laage verantwortet. Die Zahl ändert sich an jedem Morgen. Und sie verändert sich im Laufe des Tages, wenn die Pilotenschüler von ihren Übungsflügen zurückkommen. Nach „jedem dritten bis fünften Flug“ meldeten die Piloten eine Störung, sagt der Kommandeur. Meist müssen die Eurofighter dann zur Instandsetzung gezogen werden, um den Fehler zu beheben. Die Quote klingt hoch. Aber mit einem modernen Mittelklasse-Auto sei das ja auch nicht anders, sagt zur Nieden. Das sei auch mit weit mehr Elektronik, Sensoren, Regeltechnik bestückt als die Autos vor zwei Jahrzehnten. Und schon deswegen gebe es auch bei Autos öfter Fehleranzeigen – der Einpark-Sensor vorne rechts ausgefallen, die Batterie im Schlüsselsender leer und so weiter. Und der Eurofighter hat mehr als hundert Computer an Bord. Die Ersatzteile fehlen Außerdem meldet die Technik oft von sich aus, wenn Schäden entstanden sind. „In 85 Prozent der Fälle soll uns das Flugzeug sagen, ‚ich bin kaputt‘“, erzählt Hauptmann André Flohr, einer der Prüfer in der Instandsetzungshalle, der den Eurofighter seit zehn Jahren kennt, seit der Ankunft des ersten Flugzeugs in Laage. Das mit den 85 Prozent „freiwilligen“ Fehlermeldungen hat in der ersten Zeit wohl nicht ganz geklappt, aber Flohr will daraus keine große Sache machen: der Eurofighter sei ein gutes Flugzeug – „wirklich!!“ Und Hauptfeldwebel Stefan Bethge, einer der Systemtechniker in der Halle, sagt grinsend, es gelte der Grundsatz aus dem Bananenhandel: „Das Flugzeug reift beim Kunden.“ Die neue Technik ist eher nicht die Ursache dafür, dass die weite Instandsetzungshalle mit vielen Eurofightern belegt ist. Das liegt vor allem daran, dass den Technikern die Ersatzteile fehlen. Ein Drittel des Flugzeugbestandes beim Geschwader liegt deswegen still, schätzt zur Nieden und schickt den Seufzer hinterher, „das macht uns viel zusätzliche Arbeit“. Aus einigen Fäden hat sich das Problemknäuel verfilzt, das viele der modernsten Kampfjets der Luftwaffe jetzt am Boden hält. Vor vier Jahren, im Sommer 2010, erklärte sich der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mit drastischen Einsparungen in seinem Etat einverstanden. Das traf die Ersatzteilbewirtschaftung für viele Waffensysteme der Bundeswehr; die Folgen zeigen sich jetzt. Der Effekt verstärkt sich dadurch, dass für den modernen Eurofighter eine Vorrats- und Lagerhaltung nach alter Sitte und in großem Umfang nicht mehr vorgesehen ist. Zur Nieden, der in seinen früheren Verwendungen mit dem Transportflugzeug Transall C-160 befasst war und jetzt, mit dem Wechsel auf den Kommandeursposten in Laage, quasi die gesamte Spannweite der fliegenden Systeme der Luftwaffe von alt nach neu durchmessen hat, erzählt, dass beim Eurofighter viele der festen Wartungsintervalle fehlen, die bei alten Flugzeugtypen vorgeschrieben waren. Im sturen Rhythmus wurden früher nach bestimmten Flugstundenzahlen Ölfilter gewechselt oder Fahrwerksreifen getauscht. Dank der modernen Technik sollen jetzt Wechsel erst stattfinden, wenn die betreffenden Teile wirklich verschlissen sind – und die Sensoren des Flugzeuges das dann anzeigen. Das spart im Grundsatz Kosten, funktioniert in der Praxis aber nur, wenn eine verlässliche logistische Kette besteht – die dann die bestellten Auswechselteile unverzüglich vom Hersteller in die Instandhaltungshalle in Laage liefert. Techniker aus sieben verschiedenen „Fachgruppen“ kümmern sich dort um alle möglichen Störungen des Flugzeugs. Die einen sind für das Triebwerk zuständig, andere für die Elektronik, wieder andere für die Waffentechnik. Es ist die überlegte Ruhe, die Sorgfalt, mit der sie an dem grauen Körper des Eurofighters 31+10 in der Halle zu Werke gehen, die an eine medizinische Operation denken lässt. Die Kabel, die aus dem Rumpf des Kampfjets hängen, transportieren Daten über sein Befinden in die Laptops der Techniker. Ein hoher Computerbildschirm auf Rollen steht am Rand des Arbeitsfeldes, er hält die gesamte „Krankengeschichte“ des betreffenden Eurofighter-Exemplars bereit. Die Techniker sind gezwungen, jeden Schritt ihrer aktuellen Behandlung in dieser Datenbank zu dokumentieren – und sie arbeiten mit doppelter Kontrolle dabei: Dem Unteroffizier, der vorsichtig mit seinem Imbusschlüssel die Schrauben einer Triebwerksklappe löst, steht ein erfahrener Qualitätssicherungsmeister zur Seite, der jeden Schritt eines Arbeitsgangs begleitet. Am Ende begutachtet ein Prüfoffizier die Dokumentation der Behandlung. Lange Wartezeiten Auch manche Untersuchungsmethoden im Flugzeughangar haben ihren Ursprung in der Medizin: Die Triebwerkstechniker verwenden eine Art Endoskop, um im Inneren der Brennkammern oder an den Verdichterschaufeln nach Schäden zu suchen. Wenn sie fündig werden, muss meist das Triebwerk komplett aus dem Rumpf des Flugzeugs gelöst und ins bayerische Manching zum Hersteller geschickt werden – nach dem Empfinden der Luftwaffentechniker haben sich die Wartezeiten bis zur Rückkehr erneuerter oder neuer Triebwerke in jüngster Zeit eher verlängert. Und während bei den Triebwerken viele Ausfälle immerhin akut auftreten, also nicht planbar sind, wirken bei anderen, absehbaren Auswechselteilen lange Verzögerungen auf die Monteure umso ärgerlicher. Momentan hake es vor allem an den Sitzen, erzählt einer. Die Schleudersitze müssen alle zwei Jahre aus Sicherheitsgründen zur Wartung an den Hersteller geschickt werden. Oft warten die Techniker in Laage dann lange auf die Rücksendung, ohne plausible Gründe dafür zu kennen. In der Zentrale des technischen Betriebs erstellen die Arbeitsplaner an ihren Bildschirmen für jeden Eurofighter einen „Behandlungsplan“: Sie erkennen, welche Kontroll- und Auswechslungsroutinen zu welchem Zeitpunkt fällig sind, wie sich diese Arbeiten sinnvoll mit der Behebung akuter Störungen verbinden ließen und schnüren ein „Arbeitspaket“ daraus – das nehmen die Techniker am Boden der Halle dann entgegen. Wenn alle Ersatzteile rechtzeitig bestellt und geliefert wurden, „dann kriegen wir das Flugzeug meistens in einer Schicht wieder hin“, sagt der Prüfoffizier Flohr. Und gibt die Formel preis: „Hast du Teile, hast du Flugzeug.“ Momentan steht im Hangar aber auch ein Eurofighter, der zeigt, was passiert, wenn es anders kommt. Die Maschine zeigt auf ihrer Rückseite zwei leere Höhlen dort, wo eigentlich die Triebwerksauslässe sitzen sollten. Sie ist ein Beispiel für das, was im offiziellen Sprachgebrauch der Luftwaffentechniker „gesteuerter Ausbau“ heißt, was aber auch „robbing“, also Raub, oder Kannibalisierung genannt wird. Die Triebwerke dieser Maschine wurden kurzerhand verpflanzt, um andere Flugzeuge mit Triebwerksschäden wieder flugfähig zu machen, während das ausgebeinte Exemplar weiter auf die Lieferung verspäteter Ersatzteile wartet. Solche kontrollierten Plünderungen muss der Kommandeur Technik persönlich genehmigen. Zur Nieden sagt, ärgerlich sei vor allem, dass solche Aktionen viel Zeit verschlingen und Arbeitskraft binden. Allein der Ausbau eines Triebwerkes dauert mindestens vier Stunden. Er lobt die Leistung seiner Techniker und nennt ein Beispiel dafür, dass dann, wenn es darauf ankommt, die Quote einsatzbereiter Flugzeuge auch steil steigen kann: Im vergangenen Juni sei fast das komplette Geschwader zu einer Übung nach Sardinien verlegt worden: „Das waren zwanzig Eurofighter, an einem Tag“.