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Tierisch schummeln Bluffen wie eine Gottesanbeterin

Ein Krokodil, das aussieht wie ein Baum, ein Kuckuck im falschen Nest: Das ganze Tierreich ist ein Bluff, findet der Biologe Guido Westhoff. Er erklärt, was Menschen daraus lernen können - und in welchem Punkt sie überlegen sind.
Getarnte Gottesanbeterin: "Hier ist niemand, nur ein verdorrtes Blatt"

Getarnte Gottesanbeterin: "Hier ist niemand, nur ein verdorrtes Blatt"

Foto: Nic Bothma/ picture alliance / dpa
Zur Person
Foto: HAG/ Hagenbeck

Guido Westhoff, 45, ist Biologe und hat über die Neurobiologie bei Amphibien promoviert. Seit 2009 leitet er das Tropen-Aquarium am Hamburger Tierpark Hagenbeck.

KarriereSPIEGEL: Herr Westhoff, welches Tier blufft am besten?

Westhoff: Mich faszinieren Insekten am meisten, die sich so gut tarnen, dass sie kaum noch zu erkennen sind. Zum Beispiel die Geister-Gottesanbeterin, die sieht einem verdorrten Blatt zum Verwechseln ähnlich. Manchmal gönne ich mir einen Spaß und beobachte unsere Gäste im Tropen-Aquarium, wie sie vor der Glasvitrine stehen und nichts entdecken können. Da denke ich dann: Meine liebe Phyllocrania paradoxa, du bist eine echte Expertin.

KarriereSPIEGEL: Welche Bluff-Strategien beherrschen Tiere noch?

Westhoff: Grob gesagt gibt es drei Täuschungsmanöver. Erstens: "Ich bin nicht da." Das wendet die Geister-Gottesanbeterin an, aber auch ein Krokodil, das wie ein Stück Holz durchs Wasser treibt. Die zweite Strategie nutzen zum Beispiel harmlose Schwebfliegen oder Spinnen, indem sie sich durch ihr schwarz-gelbes Äußeres Fressfeinde vom Leib halten. Denn die Farbkombination signalisiert: "Ich bin gefährlich." Bei der dritten Bluff-Art wird das Gegenteil suggeriert: "Ich bin freundlich." Anglerfische und Geierschildkröten nutzen bei der Jagd Hautlappen oder ihre Zungen als Köder. Wer darauf hereinfällt und anbeißt, wird selbst gefressen.

KarriereSPIEGEL: Krokodile, Fliegen, Spinnen, Fische - klingt so, als wäre das Tierreich voller Trickser.

Westhoff: Und wie. Das ganze Tierreich ist ein Bluff.

KarriereSPIEGEL: Ohne Ausnahme?

Westhoff: Es kommt immer darauf an, welche Überlebensstrategie Tiere verfolgen. Die farbenfrohen Clown- oder Doktorfische tarnen sich nicht und täuschen nichts vor. Solche auffälligen Exemplare finden Sie aber nur an Korallenriffen, da kennen sich die Fische gut aus und haben Heimvorteil. Wenn Fressfeinde auftauchen, können sie sich rasend schnell verstecken. So ist es auch bei Vögeln, die können sehr leicht vor Angreifern fliehen.

So geht Bluffen: Lernen von den Profis
Foto: Corbis

Ehrlich währt am längsten? Nicht dort, wo hoch gepokert wird. Wenn Argumente allein nicht zählen, muss das Gegenüber ausgetrickst oder überwältigt werden. Im Magazin SPIEGEL JOB erklären fünf Profis ihre Strategien in Kürze, darunter eine Zauberin, eine Paartherapeutin und ein Rechtspsychologe. Ausführlichere Interviews gibt es in dieser Bluffen-Serie .

KarriereSPIEGEL: Unter den Vögeln ist auch einer der trickreichsten Bluffer: Der Kuckuck nimmt eine falsche Identität an, um sich Futter zu erschleichen.

Westhoff: Der Kuckuck wendet den "Ich bin dein Baby, füttere mich"-Bluff an. Die Vogelmama sieht nur, dass da jemand in ihrem Nest liegt, der den Rachen aufmacht - und schon schleppt sie Futter ran wie blöd. Die Information, dass das Vogelbaby viel zu groß ist, um ihr eigenes zu sein, ist bei ihr nicht hinterlegt. In diesem Fall könnte die Evolution allerdings noch weitergehen. Vielleicht erkennen die Vogelmamas ihre Kinder eines Tages am Geruch. So könnte der Kuckucks-Bluff auffliegen.

KarriereSPIEGEL: Und wenn wir ein bisschen größer denken - wie bluffen Löwen oder Orang-Utans?

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Das neue SPIEGEL JOB: Ein Rundflug durchs Magazin

Foto: Norman Konrad/ SPIEGEL JOB

Westhoff: Die haben den Bluff zum Überleben nicht nötig. Sie finden auch ohne Täuschungsmanöver genug Nahrung und müssen keine Fressfeinde abschrecken. Wobei der Orang-Utan auf eine ganz andere Art blufft: Seine deutlich vergrößerten Wangen lassen sein Gesicht männlicher und imposanter wirken. Das ist wie bei uns Menschen, da hat der Vollbart eine ähnliche Funktion - er soll maskulin wirken und Frauen anlocken.

KarriereSPIEGEL: Männer können ihren Bart abrasieren, Orang-Utans nicht.

Westhoff: Das stimmt. Wir Menschen bluffen gezielt, weil wir etwas sein wollen, von dem wir annehmen, dass es bei anderen positiv ankommt. Deshalb tragen wir Schulterpolster oder Wonderbras. Dem Tier hingegen ist nicht klar, dass es blufft, das kann es auch nicht lernen. Es sind angeborene Verhaltensweisen, die sich durch die Evolution als effektiv erwiesen haben.

KarriereSPIEGEL: Haben Bluffer im Tierreich eine größere Überlebenschance?

Westhoff: Das kann ich nur schwer bewerten. Wenn die Tiere, die nicht bluffen, heute noch da sind, machen sie offensichtlich etwas richtig. Wir Menschen haben noch längst nicht alle Bluffs im Tierreich durchschaut. Wir denken zwar immer, wir seien die Krone der Schöpfung. Aber es gibt sicher Tiere, die wir noch gar nicht entdeckt haben, weil sie so gut bluffen.

Foto: Tobias Kruse/ Ostkreuz

Das Interview führte Anna-Lena Roth (Jahrgang 1985), Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE.