Glücklose Teilchenjagd :
Ade, sterile Neutrinos

Von Rainer Scharf
Lesezeit: 2 Min.
Blick ins Innere eines der sechs Detektoren des  Daya-Bay-Neutrino-Observatoriums  bei Hongkong.
Gibt es eine vierte, bislang unbekannte Neutrinoart. Von der Theorie her spricht nichts dagegen. Aber auch die jüngste experimentelle Jagd nach den hypothetischen Geisterteilchen ist erfolglos geblieben.

Die Neutrinos (wie auch ihre Antiteilchen) kommen offenkundig nur in den drei bekannten Arten vor, die als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos bezeichnet werden. Eine vierte Variante des ungeladenen Elementarteilchens, das „sterile“ Neutrino, scheint dagegen nicht zu existieren. Das ist das Ergebnis der bislang umfangreichsten Suche nach diesen hypothetischen Teilchen, der sich die Wissenschaftler des Daya-Bay-Experiments in China jüngst gewidmet haben.

Die internationale Forschergruppe hat mit sechs gigantischen Detektoren - sie befinden sich 55 Kilometer nordöstlich von Hongkong - mehr als 300 000 Elektron-Antineutrinos nachgewiesen, die von benachbarten Kernreaktoren produziert wurden. Dabei konzentrierte man sich auf die sogenannten Neutrino-Oszillationen. Dieses Phänomen ermöglicht es, dass sich die drei bekannten Neutrinoarten ineinander umwandeln können.

Plötzlich spurlos verschwunden

Vor zwei Jahren hat die Daya-Bay-Kollaboration Neutrino-Oszillationen wohl tatsächlich beobachtet. Als man verglich, wie viele der ursprünglich erzeugten Elektron-Antineutrinos die verschiedenen Detektoren - jeder ist unterschiedlich weit von den Reaktoren entfernt - nachgewiesen hatten, stellte man ein markantes Defizit fest. Offenkundig hatten nicht alle produzierten Antiteilchen ihr Ziel erreicht und waren unterwegs spurlos verschwunden.

Die Forscher haben ihre Daten daraufhin durchforstet, ob für diesen Teilchenschwund außer der Oszillation in die bekannten Neutrinoarten noch die Umwandlung in eine weitere, die „sterile“ Neutrinosorte verantwortlich sein könnte. Doch Fehlanzeige: Man hat keine Indizien finden können, die für die exotischen Teilchen sprechen, berichten die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Physical Review Letters“.

Die Chance schwinden

Während normale Neutrinos lediglich der Schwerkraft und der schwachen Wechselwirkung unterliegen, was ihren Nachweis erheblich erschwert, sollten sterile Neutrinos - abgesehen von der Gravitation - überhaupt nicht mit Materie wechselwirken. Das würde zumindest erklären, warum man sie bislang nicht aufgespürt hat. Aus Sicht der Theorie würde die Existenz der hypothetischen Teilchen die Elementarteilchen-Gruppe der Neutrinos abrunden. Zudem könnten sie hinter der ominösen „Dunklen Materie“ stecken, die ein Viertel der Masse und Energie im Universum ausmacht, deren Beschaffenheit man jedoch noch immer nicht kennt.

Das Daya-Bay-Experiment hat jetzt den Bereich der möglichen Masse, der für die sterilen Neutrinos überhaupt in Frage kommt - und die Fähigkeit der hypothetischen Teilchen, sich in andere Neutrinos umzuwandeln, erheblich beschnitten. Die Zweifel an der Existenz dieser Geisterteilchen sind damit weiter gewachsen.