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Motor des NH90-Helikopters zu sensibel für Einsätze

Politischer Korrespondent
Ein Helikopter NH90 MEDEVAC im Einsatz bei einer Übung in Bergen: Abheben wird die Maschine dieses Typs in Usbekistan vorerst nicht Ein Helikopter NH90 MEDEVAC im Einsatz bei einer Übung in Bergen: Abheben wird die Maschine dieses Typs in Usbekistan vorerst nicht
Ein Helikopter NH90 MEDEVAC im Einsatz bei einer Übung in Bergen: Abheben wird die Maschine dieses Typs in Usbekistan vorerst nicht
Quelle: REUTERS
Im Juni verunglückte ein NH90-Hubschrauber in Usbekistan. Jetzt stellt Bundeswehr die ganze Pannenflotte auf den Prüfstand. Die Helikopter dürfen nur noch unter strengen Auflagen fliegen.

Schon beim Anlassen machte der Hubschrauber Probleme: Die Triebwerke des NH90 zündeten nicht, die Crew brach den Startversuch ab. Die Motoren wurden belüftet, der Pilot versuchte es erneut, diesmal mit Erfolg: Die Maschinen sprangen an, der Flug des Luftrettungshubschraubers (AirMedEvac) vom Bundeswehrstützpunkt im usbekischen Termez nach Masar-i-Scharif in Afghanistan konnte beginnen. Doch er währte nur vier Minuten.

Dann explodierte ein Triebwerk, die Crew registrierte „einen lauten Knall“ und Flammen, die aus einem der beiden Motoren züngelten. Glühende Splitter sanken zu Boden und setzten Felder in Brand. Einige Metallteile trafen auch den Rotor. Die Ladeklappe und die Scheibenwischer setzten sich unkontrolliert in Bewegung, diverse Notleuchten blinkten, das Kabinenlicht flackerte, die Multifunktionsdisplays wurden schwarz. Mit Glück und Geschick gelang es der Crew, den Helikopter zurück nach Termez zu steuern und dort notzulanden.

Der dramatische Zwischenfall, festgehalten in einer „Beanstandungsmeldung“ über eine „flugsicherheitsgefährdende Störung“, ereignete sich bereits am 19. Juni dieses Jahres. Mehr als vier Monate später steht der Pannenhelikopter noch immer auf dem Flugfeld in Termez.

Ein NH90 der Luftwaffe im Flug. Die in Usbekistan verunglückte Maschine kann derzeit nicht abheben
Ein NH90 der Luftwaffe im Flug
Quelle: REUTERS

Der Rest der NH90-Flotte hat Afghanistan längst verlassen; im Rahmen des laufenden Abzugs der Bundeswehr wurden die Hubschrauber Ende August im Bauch eines Transportflugzeugs Typ Antonov aus Masar-i-Scharif nach Deutschland ausgeflogen. Überlegungen, auch die in Usbekistan havarierte Maschine mit dem russisch-ukrainischen Mietflugzeug oder einem amerikanischen Schwerlasthubschrauber Typ Chinook abzutransportieren, wurden verworfen: Diese Lastesel der Lüfte dürfen in Termez nicht landen.

Experten sollen Hubschrauber temporär zusammenflicken

Nach Auswertung der Flugdaten des Unfalls stand nach schon wenigen Tagen fest, dass eine verbogene Kompressorwelle die Ursache des Problems ist. So etwas lässt sich nicht vor Ort mit Bordmitteln reparieren. Aber erst jetzt hat sich die Bundeswehr entschlossen, in der nächsten Woche zwei neue Triebwerke mitsamt Experten der NH90-Herstellerfirma Airbus Helicopters nach Termez zu schicken.

Ihr Auftrag: Den Hubschrauber irgendwie für einen kurzen Überführungsflug nach Masar-i-Sharif zusammenzuflicken. Von dort soll es dann mit einer Antonov nach Deutschland gehen. Ob diese Rettungsmission für den Rettungshelikopter erfolgreich sein wird, wird von Kennern der Materie bezweifelt: Schließlich wurden auch die Rotorblätter beschädigt, Kabel und Hydraulikleitungen sind durch den Triebwerksbrand verschmort. Selbst wenn die Überführung technisch möglich sein sollte, müssten die Usbeken auch eine Flugfreigabe erteilen – nach den Kollateralschäden am Boden im Juni dürfte allein rhetorische Überzeugungskraft dafür nicht genügen.

Denn die Regierung in Taschkent weiß, dass die Deutschen unter Druck stehen, nicht nur wegen des Helikopters. Im Zuge der im Dezember zu Ende gehenden Isaf-Mission in Afghanistan läuft nämlich auch der Vertrag mit den Usbeken über den Betrieb des Lufttransportstützpunkts Termez am 31. Oktober aus – also nächste Woche, wenn die neuen Triebwerke kommen sollen. Das Verteidigungsministerium versichert zwar, man stehe in Verhandlungen über eine Verlängerung, schließlich benötige man Termez eventuell auch für die im Januar beginnende Folgemission Resolute Support. Billiger wird der Vertrag jetzt sicher nicht.

Experten: Flugverbot für gesamte Flotte

Aber es geht nicht nur um die Havarie in Usbekistan; die Panne hat weit über den Afghanistan-Einsatz hinausreichende Folgen. In dem von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) jüngst vorgestellten Prüfbericht eines Konsortiums von Unternehmensberatern kommen die unabhängigen Experten der P3-Ingenieurgesellschaft zu dem Schluss, dass ein „vorübergehend ausgesprochenes Flugverbot“ für die gesamte NH90-Flotte erforderlich werden könnte.

Tatsächlich trat das Triebwerksproblem bereits bei mehreren Maschinen auf, in der Regel immer dann, wenn die Hubschrauber mehrmals am Tag gestartet wurden. Dennoch hält das Verteidigungsministerium kein generelles Flugverbot für notwendig. Auf Anfrage der „Welt“ hieß es, man habe lediglich „eine Sonderkontrolle der Triebwerke aller Maschinen angeordnet, um Vorschädigungen zu erkennen“. Weitere Untersuchungen liefen.

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Was das Ministerium nicht sagte: Neben den Inspektionen wurde vom Kommando Unterstützungsverbände der Luftwaffe eine sogenannte Vordringlich Technische Anweisung (VTA) erlassen. Darin werden die Crews der NH90 instruiert, wie mit den Zündproblemen umzugehen ist. Die Piloten erhalten detaillierte Anweisungen, wie lange sie die Triebwerke vor jedem Neustart abkühlen lassen müssen.

Im Heimatflugbetrieb lässt sich dieser VTA leicht nachkommen – im Einsatz, wenn es beim Start der Rettungshubschrauber um jede Minute geht, eher nicht. Die P3-Ingenieure weisen deshalb folgerichtig auf das Risiko hin, dass „ein Nato-Einsatz nicht bedient werden kann“. Nicht nur ein Nato-Einsatz, lässt sich hinzufügen, sondern jede Auslandsmission, und zwar bis 2016.

Erst dann soll nach Informationen der „Welt“ ein Triebwerk verfügbar sein, bei dem das Problem technisch behoben ist. Der sensible Antrieb ist auch nicht der einzige Mangel der NH90-Flotte. Die reichen von zu schweren Helmen für die Piloten über Korrosionsschäden bis zu nicht ausreichend belastbaren Sitzplätzen.

Ministerin von der Leyen beeindruckt all das nicht. Obwohl schon die bislang ausgelieferten 35 Vorserienmodelle des NH90 mängelbehaftet und damit nur eingeschränkt einsatztauglich sind, hält sie an dem von ihrem Vorgänger mit Airbus ausgehandelten Deal fest, wonach bis zu 104 NH90 und weitere 18 auf dem Typ basierende Marine-Hubschrauber angeschafft werden sollen. Allerdings kann sie nicht allein darüber entscheiden: Der Bundestag muss dem Vertragswerk noch zustimmen.

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