Forschung Algen sollen den Alltag revolutionieren

Hamburg · Nahrung, Treibstoff, Pharmazie: Mehrere Forschungsprojekte in NRW beschäftigen sich mit dem Nutzen der Lebewesen. Die Entwicklung steht zwar noch am Anfang, erste Erfolge zeigen aber das große Potenzial der Algen für die Zukunft.

Das Haus der Zukunft ist grün. Was im Bereich der erneuerbaren Energien schon lange gefordert wird, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam mit NRW-Beteiligung wörtlich genommen. Bei "SolarLeaf" blubbern die grünen Mikro-Algen in der Hausfassade: In Glaspanels, die an der Fassade angebracht sind. Der erste Prototyp ist im vergangenen Jahr zur Internationalen Bauausstellung in Hamburg fertig geworden. "Wir können jetzt eine Technik präsentieren, die eigentlich erst die Zukunft ist", sagt Lukas Verlage, Geschäftsführer der Firma Colt International aus dem niederrheinischen Kleve.

Die Bioreaktorfassaden sehen nicht nur ungewöhnlich aus, sie sind auch der ganze Stolz des Teams. Dahinter steckt ein ausgeklügelter Kreislauf: Die Algen benötigen nicht mehr als CO2, Sonnenlicht und flüssige Nährstoffe, um Biomasse und Wärme zu produzieren. "Wir ernten Tageslicht und CO2-Emmissionen und können somit die Photosynthese der Fassade antreiben", sagt Dr. Jan Wurm vom Ingenieurbüro Arup aus Düsseldorf. Die dabei entstehende Wärme wird im Haus selbst genutzt oder in das Fernwärmenetz eingespeist. Die abfallende Biomasse kann entweder mit einer Biogasanlage in Methan umgewandelt oder von Drittanbietern weiterverarbeitet werden. "Wir verkaufen die Algen an die Pharma- und Ernährungsindustrie", sagt Jan Wurm. Bisher sind es aber nur wenige Kilogramm täglich.

Algen sind im asiatischen Raum schon längst Teil der Speisepläne, werden angesichts der stetig wachsenden Weltbevölkerung aber auch auf anderen Kontinenten als Nahrungsbaustein gehandelt. Besonders attraktiv macht sie ihr Anteil an ungesättigten Fettsäuren, die deutlich leichter zu verdauen sind als ihre gesättigten Verwandten. Zudem wachsen Algen bis zu 20 Mal schneller als Landpflanzen. In der Pharmazie hofft man, durch die Mikro-Organismen die Forschung gegen Krebs oder bakterielle Infektionskrankheiten vorantreiben zu können.

Bis sich Algen-Häuser wie "SolarLeaf" weiterentwickelt und durchgesetzt haben, werden aber wohl noch Jahrzehnte vergehen. "Wir bringen jetzt eine Technik in das Gebäude, die es in 20 oder 30 Jahren überall auf der Welt geben wird", sagt Lukas Verlage von Colt. Manche sprechen sogar von 50 oder 60 Jahren. Schätzungsweise 280.000 Algenarten gibt es auf der Welt, deutlich weniger als die Hälfte ist erforscht.

Beim Prototypen-Haus in Hamburg ist die erzeugte Energie aber jetzt schon höher als die verbrauchte. "Ich sehe ,SolarLeaf' als ein ein Baustein von Konzepten, die sich mit den Städten der Zukunft beschäftigen", sagt Architekt Jan Wurm. Geht es nach dem Entwicklerteam, sollen Bewohner der grünen Stadt ihre Energie nicht mehr zentral aus Kraftwerken beziehen, sondern ähnlich privater Solaranlagen selbst produzieren.

Das Projekt hat zuletzt für gehörig Furore gesorgt, gewann im September in London den Zumtobel-Group-Award in der Kategorie "Applied Innovation". Bei der Massenproduktion stößt das Prinzip aber noch an seine Grenzen. Trotzdem besitzen Algen auch für die Treibstoffgewinnung enormes Potenzial, wie Forscher aus Jülich sagen. In dem Verbundprojekt "Aufwind" untersuchen sie mit Partnern aus Forschung und Industrie in deutlich größerem Umfang, inwieweit sich aus Mikroalgen Kerosin herstellen lässt. Sogar Testflüge von Kleinflugzeugen mit diesem algen-basierten Kerosin gab es schon. "Die Verfahren zur Herstellung des Biotreibstoffs müssen aber wesentlich effizienter werden", sagt Dr. Andreas Müller, Projektkoordinator vom Institut für Bio- und Geowissenschaften.

Noch bis zum November des kommenden Jahres wird in Jülich geforscht, das Bundeslandwirtschaftsministerium unterstützt das Projekt mit 5,75 Millionen Euro. Dass unter anderem auch der Flugzeug-Riese Airbus an "Aufwind" beteiligt ist, wundert nicht: Die Flugindustrie steht angesichts knapp werdender Erdöl-Vorkommen unter deutlich höherem Handlungsdruck als etwa die Automobilindustrie. "Am Ende soll ein nachhaltiger Prozess stehen — angefangen bei der Produktion der Algen bis hin zum fertigen Produkt, einem biogenen Kraftstoff", sagt Müller.

Dieser Text ist zuerst in der Rheinische Post App erschienen.

(RP)
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