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Was war. Was wird. Von Schwarmterroristen und ernsten Komikern

Manchmal muss man angesichts der pöbelnden DumpfbackenSelbstverständliches extra betonen, wundert sich Hal Faber. In anderen Welten darf man immerhin Hoffnung gegen den Machismo-Nerdismus schöpfen. Auch was zum Wundern.

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Schafe, Schwarz, Weiß

(Bild: Michal Zacharzewski, SXC)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, das ist das Problem mit der Meinungsfreiheit. Manchmal tut sie weh. Manchmal sind es gar keine Meinungen, sondern üble Pöbeleien wie das Wort von der Schlampe, mit der Bundeskanzlerin Merkel beschimpft wurde. Hier gibt es eine Grenze, an der das endet, was man den politischen Diskurs nennen könnte:
"Um es also deutlich zu sagen: In diesen Foren haben irgendwelche ausländerfeindlichen, rassistischen und rechtsradikalen Parolen nichts zu suchen. Angriffe auf Flüchtlinge in Deutschland, die hier verbal geäußert werden und andernorts schon zu physischen Attacken führten, haben hier nichts zu suchen. Seltsame Parolen von Identitären und Reichsdeutschen, die ihr menschenfeindliches Gedankengut hinter kruden Verschwörungstheorien verstecken, haben hier nichts zu suchen."

*** Man kann es ja versuchen, diese Mischung aus Alkohol und Deutschsein damit zu erklären, dass der Diskurs durch das Dispositiv abgelöst wurde, nur kommt man damit nicht sehr weit. Denn die rechtsradikalen Pöbeler haben sich schon lange von jeder Diskursfähigkeit verabschiedet. Zuhören ist nicht mehr möglich, Verstehen ist nicht gewollt, da alles Lügenpresse ist für die besoffenen Besorgten. Auf traurige Weise bewahrheitet sich der Satz von Karl Lagerfeld über die Träger von Jogginghosen, denen die Kontrolle über ihr Leben entglitten ist. Ob sie von Joko und Klaas erreicht werden, ist auch die Frage. Die Komiker sagten:
"Denn keine Fernsehquote, kein Shitstorm kann jemals so schlimm sein wie der Applaus von Leuten, die auch dann klatschen, wenn ein Flüchtlingsboot mit 800 Menschen im Mittelmeer versinkt."

*** Abseits der Pöbeleien verwundern die Sticheleien über Aktionen, die durchaus pragmatisch sind und nicht nur der Imagepflege dienen, wie dies von der Entscheidung des Langenscheidt-Verlages behauptet wird. Der hat das Online-Wörterbuch Arabisch freigeschaltet, was von 35.000 Menschen geliked wurde. Auch das Hin und Her der Gerichte beim Versammlungsverbot in Heidenau ist verwunderlich. Die Argumentation mit einem polizeilichen Notstand in einer Gegend, die regelmäßig die Spaziergänge von Pegida und ihren Anhängern genehmigt, konnte erst vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen werden. Aber vielleicht ist sowas normal in einem Land, wo selbst Pop-Heulbojen identitäre und reichsdeutsche Verschwörungstheorien von sich geben, sich Krypto-Antisemitismus und Krypto-Schlager gute Nacht sagen und besagte Heulbojen es dann nicht gewesen sein wollen, wenn sie jemand drauf festnagelt. Stattdessen dann ihre Anwälte auf Blogs loslassen.

*** Das Internet ist die DDR von heute schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Rezension von Jonathan Franzens Unschuld, sich wohlig gruselnd wie bei den Artikeln über die Opfer von Ashley Madison und ihre Sockenpüppis. Im Unschulds-Roman verarbeitet Franzen seine Lektüre von Internet-Großkritikern wie Evgeny Morozov und Jaron Lanier und schreibt über den Totalitarismus des Netzes, in dem man seine Persönlichkeit nicht kontrollieren kann. Im FAZ-Interview wird Franzen zu Snowden und Assange befragt und antwortet, dass sie einiges Gute bewirkt hätten. "Was Assange angeht, so gibt es diese absurde Idee in Silicon Valley, dass, wenn jeder alles weiß, die Welt wundervoll sein wird." Dass die Idee von dem zunehmend sich verfolgt fühlenden Assange dem Silicon Valley zugeschlagen wird, überrascht etwas. Denn in diesem Valley haben Firmen wie Palantir ihr Hauptquartier, die bestens am Geschäft mit den Geheimdiensten verdienen.

*** Solche Firmen wurden nicht von unserer Arbeitsministerin besucht, als sie in dieser Woche mit dem Kontrollverlust experimentierte, natürlich in einem Volkswagen. Sie traf sich mit starken Frauen wie Facebooks Sheryl Sandberg oder Obi Felten, ihres Zeichen "Head of getting Moonshots ready for contact with the real world", die eine andere Art Arbeitsministerin ist. Am Ende der Reise hatte Nahles nach eigener Aussage das Gefühl, "bei den Maschinenmenschen Borg aus 'Star Trek` gelandet zu sein". Die assimilierte Arbeitsministerin ist inzwischen wieder in Deutschland gelandet und setzt ihre Kampagne Arbeiten vier null fort, mit starken Gedanken auf Twitter, über Arbeit in Zeiten der Schwarmintelligenz.

*** Seit dieser Woche ist bekannt, dass die Bundesregierung viel früher Kenntnis hatte von den Ermittlungen in Sachen Landesverrat, der mit Informationen über die "Erweiterte Fachunterstützung Internet" im Sommer 2014 begann. Der Bundesnachrichtendienst wollte die "Durchstecher" finden, die nach Darstellung der FAZ nun auf den Berliner Tischen tanzen, angeblich weil die Exekutive des Staates nichts mehr gilt und eine Netz-Bürgerwehr von Schwarmintelligenten das Geschehen bestimmt.
"Der Rechtsstaat war Netzpolitik.org und anderen Schwarmintelligenten aber ohnehin immer egal. Siehe Kinderpornografie, siehe Vorratsdatenspeicherung, siehe Urheberrecht. Die Netz-Bürgerwehr nimmt das Recht lieber in die eigene Hand: 'Legt Euch nicht mit dem Internet an!'"

*** Zwei Tage später ist aus der Schwarmintelligenz unter dem Eindruck der Geschehnisse in Heidenau bereits ein Schwarmterrorismus geworden, der für Hassparolen im Internet sorgt. So kommt im Blatt für kluge Köpfe auf das Feinste Rechts und Links, die Pöbeleien und die Netz-Bürgerwehr zusammen, wenn man blindwütig herzum argumentiert:
"Dasselbe gilt für Hassparolen im Internet, die Heiko Maas offenbar erst jetzt auf Facebook entdeckt hat. Einen Schwarmextremismus gibt es schon lange; wer den erst jetzt wahrnimmt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er sei auf einem Auge blind. Oder dass er Angst vor Leuten hat, die sagen: Legt euch nicht mit dem Internet an!"

Was wird.

In der nächsten Woche feiert die solchermaßen angegriffene "Netz-Bürgerwehr" übrigens vorzeitig ihren Geburtstag, mit einer kleinen Tagung unter dem Motto Das ist Netzpolitik! und einer schwer geheimen Party hinterher.

Sie findet inmitten des IFA-Trubels statt, parallel zur Microsoft-Präsentation von Windows 10-Geräten und zur Vorstellung des Internet der Dinge bei IBM im Marshall-Haus. Dort wird niemand anders als das lernende Computersystem Watson "im direkten Dialog mit den Kunden" Fragen zum Internet der Dinge beantwortet. Die bei IBM benutzten Kühlschränke, offenbar unverzichtbar für eine IoT-Demonstration, kommen von Elektrolux, nicht von Samsung.

"MEN invented the Internet. And not just any men. Men with pocket protectors. Men who idolized Mr. Spock and cried when Steve Jobs died. Nerds. Geeks. Give them their due. Without men, we would never know what our friends were doing five minutes ago.

(Bild: April Spreeman, Lizenz Creative Commons CC BY 2.0)

Dieser blatante Sexismus, wie er hier in der New York Times herausposaunt wird, ist Unsinn. Vergessen ist die Arbeit von Frauen mit Beiträgen wie dem Spanning Tree Protocol von Radia Perlman, die Kommandozeile von Glenda Schroeder oder der Line Mode Browser von Nicola Pellow. Natürlich wird jeder Ada Lovelace, Grace Hopper oder Adele Goldberg nennen, Geschichtskundige vielleicht noch die Frauen von Blethley Park, aber dann? Schon bei der LINC-Programmierin Mary Allen Wilkes passen viele. Am Dienstag eröffnet Bildungs- und Forschungsministerin Johanna Wanka die Ausstellung über Frauen in der Computergeschichte, die über Nerdetten wie Christiane Floyd oder Limor Fried berichtet. Das mag ein guter Ausgangspunkt sein, die unkritische Nerdness der Szene aufzubrechen. (jk)