Schweiz bietet zur Prostitution gezwungenen Frauen kaum Schutz
Immer mehr Opfer von Frauenhandel sind Asylsuchende. Die oft minderjährigen Prostituierten finden keinen Schutz im Asylprozess.
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Ungarn, Rumänien, Brasilien oder Thailand: Seit Jahren stammen die meisten Opfer von Frauenhandel in der Schweiz aus diesen Ländern. Doch nun zeichnet sich ein neues Phänomen ab. Zunehmend werden sehr junge Nigerianerinnen zur Prostitution gezwungen. Die Entwicklung widerspiegelt sich jetzt auch in der Statistik. FIZ Makasi, die Interventionsstelle für Opfer von Frauenhandel, betreute im Jahr 2017 insgesamt 228 Frauen. Von den 111 neuen Fällen waren 15 Prozent Nigerianerinnen. Nur noch Ungarinnen sind gleich häufig betroffen. Das geht aus dem aktuellen FIZ-Jahresbericht hervor.
Einen starken Anstieg verzeichnet die NGO auch bei Frauenhandelsopfern im Asylbereich: Über ein Drittel der neuen Fälle waren letztes Jahr Asylsuchende (2016: 10 Prozent). Häufig sind die Mädchen noch minderjährig.
Auf der Strasse und im Asylheim
Der neue Spitzenplatz bei den Herkunftsstaaten und die Zunahme der Asylfälle – diese statistischen Auffälligkeiten hängen zusammen. Wie Recherchen zeigen, sind sie die Folge eines international florierenden Geschäfts, bei dem junge Nigerianerinnen nach Europa geschleust und auf den Strassenstrichen in Italien und Spanien zu Dumpingpreisen von weniger als 10 Euro angeboten werden.
Die mafiösen Strukturen sind mittlerweile derart etabliert, dass die Opferzahlen in den letzten Jahren geradezu «explodiert» sind, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) festhält. Inzwischen kommen jährlich über 11'000 Nigerianerinnen per Boot in Europa an. Mehr als 80 Prozent dieser jungen Frauen werden mit roher Gewalt und spezifischen Voodooritualen in die Prostitution gezwungen, damit sie ihren meist weiblichen Zuhälterinnen absurd hohe «Reisekosten» zurückzahlen. Und weil der Markt in Südeuropa bereits gesättigt ist, weichen die Täter nun in nördlichere Länder aus – eben auch in die Schweiz.
Die mafiösen Strukturen sind etabliert. Inzwischen kommen jährlich über 11'000 Nigerianerinnen per Boot in Europa an.
So hat etwa in der Berner Altstadt die Zahl der nigerianischen Prostituierten in den letzten drei Jahren stark zugenommen. Zeitweise hielten dort gemäss Alexander Ott, Polizeiinspektor der Stadt Bern, bis zu 20 Frauen Ausschau nach Freiern. Diesen Winter sei es etwas ruhiger geworden. «Doch das ist keine Entwarnung: Im Sommer könnten sich die Vorfälle wieder häufen.» Auch Act212, die nationale Meldestelle gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung, verzeichnet in ihrer gestern erschienenen Bilanz vergleichsweise viele Meldungen zu minderjährigen nigerianischen Prostituierten.
«Dublin-Verfahren aussetzen»
Die Strassenprostitution in der Schweiz ist freilich nur ein Teil des Problems. Viele Frauen, denen die Flucht vor ihren Peinigern gelingt, suchen Schutz in einem Asylverfahren. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) registrierte in den Jahren 2014 bis 2017 insgesamt 289 potenzielle Opfer von Menschenhandel – 87 davon waren Nigerianerinnen. Das ist die weitaus höchste Zahl aller erfassten Herkunftsstaaten, wie Sprecher Lukas Rieder sagt.
Wo genau diese Frauen ausgebeutet worden sind, lasse sich häufig nicht abschliessend klären, sagt FIZ-Sprecherin Rebecca Angelini. So habe sich zum Beispiel eine Frau, die mit der Fachstelle FIZ Makasi in Kontakt stand, an Migros-Budget-Produkte am Ort ihrer Ausbeutung erinnert. Nähere Angaben habe sie aber nicht machen können. Und Zeit für weitere Abklärungen sei auch nicht geblieben; die Frau sei per Dublin-Verfahren nach Italien ausgeschafft worden, so Angelini. Das geschieht in der Regel auch mit jenen Nigerianerinnen, die direkt vom Strassenstrich in Italien in die Schweiz fliehen. Sie werden in das Erstaufnahmeland zurückgeschickt – «und sind ihren Peinigern wieder schutzlos ausgeliefert», kritisiert Angelini.
«Die Schweiz muss bei Verdacht auf Menschenhandel die Verantwortung für den Schutz der Betroffenen übernehmen.»
Die jährlich steigenden Fallzahlen im Asylbereich zeigten zwar, dass Betroffene mittlerweile besser identifiziert würden. Aber im Asylprozess fehlten nach wie vor Opferschutzmassnahmen. Bund und Kantone müssten die Abläufe in solchen Fällen besser regeln und spezialisierte Opferschutzstellen einbeziehen, fordert die FIZ-Sprecherin. «Zudem muss die Schweiz bei Verdacht auf Menschenhandel die Verantwortung für den Schutz der Betroffenen übernehmen, indem sie das Dublin-Verfahren aussetzt.»
Die Betroffenen besser schützen: Dazu sind die Behörden auch im Rahmen des Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel angehalten. Zurzeit diskutiere eine Arbeitsgruppe des Bundes diese Problematik, sagt SEM-Sprecher Rieder. Das Ziel sei es, Empfehlungen zuhanden der Kantone zu erarbeiten, die für die Betreuung und Beratung der Opfer zuständig seien. Es gehe nicht nur darum, die Identifizierung sicherzustellen, sondern auch die Opferhilfe im Asylverfahren «zu optimieren». Rieder betont zudem, das SEM habe seine Mitarbeiter in den letzten Jahren mit Informations- und Ausbildungsveranstaltungen sensibilisiert. Diese würden auch künftig weitergeführt.
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