Wann waren Sie zuletzt in einem Mercedes-Pkw unterwegs, in dem bei Autobahnrichtgeschwindigkeit kein Gespräch in Zimmerlautstärke mehr möglich war? Der zwanzigjährige Diesel-Daimler des Autors dieser Zeilen errichtet solche akustischen Hürden nicht. Auch schließen seine Türen so satt, wie es von einem Wagen mit Stern erwartet wird. Die B-Klasse hier verlangt häufiger mal einen zweiten Schließversuch. Dies ist keine "Früher war alles besser"-Predigt, jedoch weist ausgerechnet die bei älteren Kunden sonst so geschätzte B-Klasse einige Defizite auf, die wir von Mercedes-Benz normalerweise nicht kennen.
Überblick: Alles zur Mercedes B-Klasse

Schon gewöhnliches Radiohören wird zur Nervensache

Mercedes B-Klasse
Ruhe, bitte! Unterwegs nerven aufreibende Abrollgeräusche, Windgetöse und die allgemein unzureichende Dämmung.
Etwa zeitgleich mit der Ankunft der B-Klasse-Testwagen beschäftigten wir uns für eine spätere Kaufberatung mit den technisch identischen Plattformbrüdern A-Klasse und CLA. Beide konnten uns mit einer bemerkenswert leisen Fahrgeräuschkulisse beeindrucken. Die B-Klasse nervt mit aufreibenden Abrollgeräuschen, Windgetöse am Panoramadach und allgemein unzureichender Dämmung. Schon gewöhnliches Radiohören wird zur Nervensache, weil auch hier bei Zimmerlautstärke nur wenig verständlich zu hören ist. In diese Kakophonie stimmen zudem die Benzinmotoren mit ungewöhnlich präsentem Auspuffklang ein – nicht sportlich, eher bemüht. Wie kommt es zu dieser akustischen Schieflage, zu diesem großen Unterschied zur A-Klasse und letztlich zu unserem harten Urteil? Möglicherweise begünstigt die typische B-Klasse-Karosserieform die Schallausbreitung. Sie orientiert sich seit Beginn der Baureihe am Kofferfisch, der trotz seines stattlichen Formats besonders strömungsgünstig geformt ist. Die A-Klasse-Limousine etwa stellt sogar den derzeitigen Aerodynamikrekord für Personenwagen, und auch die B-Klasse liefert mit einem gemessenen cW-Wert von 0,24 ein eindrucksvolles Ergebnis. Leider entsteht dadurch jedoch kein Verbrauchswunder. Die von Mercedes bescheinigten 5,4 Liter im NEFZ-Zyklus des B 200 bleiben eine Wunschvorstellung. Bei sparsamster Landstraßenfahrt brachten wir es auf einen Mindestverbrauch von knapp sieben Litern.

Die Gesamtheit der B-Klasse-Schwäche sorgt für Frust

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Schuld am ruppigen Ansprechen auf kurze Stöße haben die relativ großen Aluräder der Testwagen.
Immerhin bietet die B-Klasse dabei eine Elektronikarchitektur für Fahrassistenz und Infotainment, die ihre flacheren Geschwister zu den wohl besten aktuellen Kompaktwagen macht, richtig? Richtig. Jedoch zeigte die Abstimmung der neuesten Testwagen eine derart aufgekratzte Sicherheitshaltung, dass etwa bei vielen Verkehrsinseln die Auffahrwarnung anspricht oder der Abstandstempomat selbst auf höchster Distanzstufe noch in die Eisen geht, während der Fahrer schon den Blinker gesetzt hat, um den vorausfahrenden Lkw zu überholen. Bei jedem Start muss die Gurtanzeige für die Rücksitzbank im Kombiinstrument weggedrückt werden, sogar wenn dort mal nicht die Jacke des Fahrers liegt. Diese Kritikpunkte betreffen derzeit alle Kompaktmodelle aus Stuttgart. Vielmehr ist es die Gesamtheit der B-Klasse-Schwächen, die den Fahrer mit hohen Erwartungen auf die Palme bringt. Noch ein Beispiel: Das Fahrwerk arbeitet prinzipiell flauschig weich – so wünschen wir uns das auch. Jedoch geht dies mit einem schunkeligen Kurvenverhalten einher, was schnell störend wirkt. Die relativ großen Aluräder der Testwagen sorgten zudem für ein eher ruppiges Ansprechen auf kurze Stöße wie beispielsweise Querfugen im Asphalt oder Kanaldeckel. Immerhin ließe sich dies vermutlich durch die Wahl der kleineren Serienräder vermeiden. Zum Fahrwerk sei außerdem erwähnt, dass in den schwächeren B-Klassen statt einer Mehrlenkeraufhängung nur eine einfache Verbundlenker-Hinterachse sitzt. Angesichts des hohen Kaufpreises halten wir das für unangemessen.

Das Platzangebot liegt zwischen Golf Sportsvan und Touran

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Der 2,05-Meter-Redakteur fühlt sich trotz seiner Nörgelei im Fond der B-Klasse gut aufgehoben. Hier gibt es Platz in Hülle und Fülle.
Allen B-Klassen gleich ist die für langbeinige Fahrer ungünstige Sitzposition. Der prägnante Armaturenträger rückt die Insassen relativ weit nach hinten. Pedale und Lenkrad bleiben dabei zu weit vorn. Immerhin bietet die B-Klasse ansonsten aber ein so durchdachtes Raumkonzept, dass auch im Fond noch relativ viel Platz bleibt. Insgesamt lässt sich das Platzangebot zwischen dem eines Golf Sportsvan und dem eines Touran einordnen, allerdings sind diese etwas variabler als der B. Hier gibt es einen Ladeboden, der sich in zwei Höhen arretieren lässt. Gut so, nur passt die im Testwagen mitgelieferte Kofferraummatte nur in einer der zwei Positionen – Murks! Liebes Mercedes-Team, ihr seid es vielleicht nicht gewohnt, aber die Konkurrenz baut im Falle der B-Klasse rundum bessere und praktischere Autos. Das wird Käufern spätestens nach einer gewissen Eingewöhnungsphase bewusst, wenn der Start-Stopp-Knopf ähnlich derangiert aussieht wie die Unterseite der Frontschürze – Ersterer, weil die Bedruckung nicht abriebfest ist, Letztere, weil die B-Klasse schlicht zu wenig Bodenfreiheit besitzt und ständig aufsetzt.

Die C-Klasse ist für Vielfahrer eine sinnvolle Alternative

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Wer viel unterwegs ist und einen Mercedes aufgrund seiner Qualitäten schätzt, fährt mit dem C deutlich besser.
Im Prinzip soll das durchdachte Kompaktvan-Konzept markentypischen Komfort mit einem großen Innenraum und einem Preis kombinieren, der günstiger ausfällt als etwa bei den klassischen Modellen wie dem C-Klasse T-Modell. In der Tat trennen die beiden mindestens rund 6000 Euro. Die B-Klasse gibt es ab 28.495 Euro (Ersparnis bei carwow.de im Schnitt 4693 Euro). Dabei wirkt der B vordergründig nicht zwingend billiger als eine C-Klasse. Wer aber viel unterwegs ist und einen Mercedes aufgrund seiner Qualitäten schätzt, fährt mit dem C deutlich besser. Soll es doch eine B-Klasse sein, raten wir zu den kleineren Benzinmotoren, schlicht weil sie noch am sparsamsten sind und einem die Potenz der stärkeren Modelle schon auf der Autobahn durch die lauten Fahrgeräusche verleidet wird. Der Dieselkäufer sollte zum 200d greifen, der mit deutlich mehr Leistung einen fast identischen Verbrauch aufweist und zudem das minimal harmonischere Getriebe (acht statt sieben DKG-Gänge) besitzt als die kleineren Motoren, die ursprünglich von Renault stammen und mit geringem Verbrauch und recht sanftem Lauf gefallen.

Die Bordelektronik kann so einiges

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Aufgeräumtes Cockpit mit Erste-Sahne-Verarbeitung: Hier ist die B-Klasse ganz Mercedes.
Die umfangreichen Fähigkeiten der sehr modernen Bordelektronik sollten indes genutzt werden. Hier raten wir an erster Stelle zum Premium-Navipaket für 1660 Euro. Es vergrößert Kombiinstrument (immer digital) und Navidisplay auf jeweils 10,25 Zoll und bietet eines der besten Navigationssysteme, die es derzeit auf dem Markt gibt. Dazu ein Muss: die Augmented-Reality-Funktion für weitere 297 Euro, die Abbiegehinweise mittels Kamera in das Realbild einblendet. Kein Muss, aber sehr angenehm und ebenfalls bestens bedienbar: Das Head-up-Display für 1178 Euro. Leider gelang es diesem bei zweien unserer Testwagen nicht scharfzustellen, vermutlich eine Einstellungssache. Eine sinnvolle Kombination bietet das Komfortpaket für 1654 Euro mit elektrischer Heckklappe, Spiegelpaket, Totwinkelwarner, Rückfahrkamera, Lordosenstütze und beheizter Scheibenwaschanlage. Nach aktuellem Stand können Sie sich die 428 Euro für Keyless-Go sparen. Sämtliche Testwagen der A-Klasse-Plattform nervten mit unzuverlässig arbeitenden Verriegelungsfeldern. Auch Derartiges sind wir von Mercedes nicht gewohnt.

Die meisten Schwachstellen wären einfach zu beheben

Möglicherweise fühlt sich mancher durch unser kritisches Urteil auf den Schlips getreten, doch gerade bei einer so prestigeträchtigen Marke wie Mercedes erwartet der Käufer doch wenigstens ein annähernd fehlerfreies Auto, was die B-Klasse zumindest derzeit nicht ist. Es bedürfte lediglich einiger Abstimmungsarbeit an Fahrwerk, Elektronik und Co., um die meisten Schwachstellen zu beseitigen. Wir hoffen, dass Mercedes dafür genügend Gespür beweist und schon bald nachbessert. Sollten Sie uns nicht glauben, konsultieren Sie doch mal einige Internetforen von Fahrern aktueller A- und B-Klassen zur Funktion des Spurhalteassistenten. Überfahren Sie je nach Verkehrssituation eine Spurbegrenzung, wie es etwa auf kurvigen Landstraßen oder in größeren Kreuzungsbereichen vorkommt, sprechen die Bremsen auf der jeweiligen Kurveninnenseite rabiat an. Laut Mercedes soll dies den Kurs in die richtige Richtung korrigieren. Für den Fahrer entsteht eher der Eindruck eines Unfalls oder eines Defekts. Eine so unerwartete und starke Bremsung gefährdet den Verkehr. Übrigens: Zur Richtungsänderung eines Autos im öffentlichen Straßenverkehr wird üblicherweise die Lenkung benutzt, nicht die Bremse – aber das wussten Sie sicher schon.
Zu guter Letzt vergeben wir dennoch ein Lob, das sogar mit klassischen Mercedes-Tugenden zusammenhängt. Ist ein Tempo von etwa 145-150 km/h erreicht, wird der Wagen verblüffenderweise nicht mehr lauter. Auch ist dies der Bereich, wo das wogend-weiche Fahrwerk in Zusammenspiel mit der sehr präzisen Lenkung ein besonders angenehmes Autobahnfahren ermöglicht. Immerhin hier fühlt sich die B-Klasse dann doch wieder an, wie es sich für einen Mercedes gehört – nur eben etwas lauter.

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