Er steht auf feinem Kies vor einer skandinavischen Villa, im Hintergrund schleppt eine attraktive Blondine Shopping-Tüten aus dem Bild. Oder der Kombi parkt in stilvoll beleuchteter Innenstadtlage. Dann fläzt er sich wie hingegossen am Ufer einer schönen Küste. Hach, hübsch, skandinavisch! Und wir fragen uns: Sind die Schweden ihren neuen Mittelklasse-Kombi auch mal gefahren, statt ihn nur malerisch in Szene zu setzen? Dann jedenfalls hätten sie bestimmt gemerkt, dass der V60 zwar rundum nett anzuschauen ist, aber "im Betrieb" nicht optimal funktioniert. Wir haben Macken entdeckt, die uns gar nicht gefallen. Doch der Reihe nach.

An der Kasse langen die Schweden richtig zu

Volvo V60
Hübsch und teuer: Optisch ist der V60 ein gelungener Kombi – der als D4 mindestens 43.300 Euro kostet.
Der neue V60 sieht sich – allein preislich – mitten in der Premium-Liga. Heißt: Typen wie der 3er Touring von BMW und Audi A4 Avant zählen zu seinem Konkurrenzumfeld. Sogar etwas oberhalb dieser beiden sortiert sich ein mindestens 43.300 Euro teurer V60 D4 Diesel preislich ein. In Zahlen: 190 PS im Volvo stehen dem gleich starken BMW 320d Touring ab 42.150 Euro und dem 41.700 Euro teuren Audi A4 Avant 2.0 TDI gegenüber. Stolze Summen, in denen noch nicht einmal die obligatorische Automatik enthalten ist. Ohnehin lassen sich die Preise ganz einfach toppen. Denn Audi liefert für das Geld weder einen Temporegler noch vordere Sitzheizungen serienmäßig aus. Inklusive weiterer Extras wie der Dämpferregelung für das Fahrwerk oder dem "Technology selection"-Paket (in dem sich Navi und Virtual Cockpit verstecken) kostet der A4 letztlich rund 50.485 Euro. Und bei BMW sind für einen ähnlich bestückten Touring sogar 53.150 Euro zu bezahlen.

Dem Duo aus Diesel und Automatik fehlt die Harmonie

Volvo V60
Nicht gut abgestimmt: Der Diesel des Volvo hat richtig Dampf, aber die Automatik funkt ihm dazwischen.
Vorteil Volvo? Nicht ganz. Obwohl er beispielsweise in Sachen Fahrassistenz vorbildlich umfangreich ausgestattet ist, fehlen ihm eine vollständige Smartphone-Vernetzung oder auch das einstellbare Fahrwerk (über variable Stoßdämpfer) – das macht unterm Strich satte 54.330 Euro Kaufpreis. Die Fahrqualitäten des V60 sollten das doch relativieren, oder? Äh, jein. Der Motor besitzt zwar ordentlich Schmalz, nagelt unter Last und mit zunehmender Drehzahl jedoch vernehmlich. Außerdem gibt der Vierzylinder sein maximales Drehmoment in einem relativ schmalen Drehzahlbereich ab und arbeitet nicht einmal besonders sparsam. Das nach Euro 6d-TEMP saubere Vierzylinder-Aggregat verbraucht beispielsweise fast einen halben Liter mehr als der 2.0er von BMW. Auch dem Getriebe fehlt Feinschliff. Beim Herunterschalten lässt sich die Achtstufen-Geartronic viel Zeit, und gelegentlich ruckt es beim Abwärtssortieren der Gänge, wenn der Wagen gemächlich Tempo abbaut. Kurz: fein adaptiert geht anders.
Das gilt auch für die Fahrwerksabstimmung. Sprödes Abrollverhalten trifft auf eine Federung, die gefühlt nur wenige Zentimeter nachgibt. Auf schlechten Straßen zittert, zuckt und rumpelt der große Kombi-Körper. Den im Rückenbereich zu straff gepolsterten Sitzen fehlt Seitenhalt, und die Fondpassagiere sitzen unbequem auf der flach ins Auto montierten Rückbank. Typisch für aktuelle Volvo-Typen: Die Bedienung der meisten Funktionen über einen zentralen Berührbildschirm klappt erst nach langer Eingewöhnung. Und am besten im Stand.

Die Lenkung des 3ers passt irgendwie nicht zu einem BMW

BMW 3er Touring
Ungewöhnlich: Mit der gefühllosen Servolenkung ist der BMW mal nicht der Dynamiker eines Vergleichstests.
Zu der zu leichtgängigen und an Rückmeldung armen Lenkung gesellt sich beim starken Beschleunigen noch ein nervöses Ziehen durch Antriebseinflüsse aus dem Vorderradantrieb. Puh – gibt's denn gar nichts Gutes zum V60 zu vermelden? Doch: Der V60 bremst zuverlässig und unnachgiebig, egal ob mit warmer oder kalter Anlage. Das Interieur ist zudem hochwertig verarbeitet. Außerdem bietet er praktische Details wie ein Laderaum-Trennschott, elektrische Klapplehnen der Fondbank oder auch den Schnelltankstutzen. So etwas hat der 3er Touring nicht im Programm. Dafür eine sauber eingestellte Federung. Schläge? Stöße? Nichts von alledem, der 320d geht unbestritten als Sänfte durch. Auch der Motor brummt sonor, in seiner dumpfen Tonlage hämmert er sein fettes Drehmomentpfund gefühlt nicht so aufdringlich heraus wie der 2.0 des Volvo. Schade: Der Lenkung fehlt gefühlt jegliche Verbindung zur Straße, aus der Mitte heraus nimmt die Servounterstützung nur brüchig ihre Arbeit auf. Das Attribut Fahrer-Auto können wir dem 3er somit nicht verleihen.

Bis auf eine kleine Schwäche macht der Audi alles richtig

Audi A4 Avant
DSG-Eigenart: Beim Anfahren ist die Automatik ungeschmeidig – ansonsten gefällt der A4 rundum.
Prima: Die Automatik verrichtet ihre Schaltarbeit erstklassig. Sie kann sanft anfahren und rangieren, später dann direkt am Gas hängen, zügig bei Kick-down loslegen, unauffällig runterschalten – so muss eine Automatik funktionieren. Im Audi zählt das Anfahren zu den wenigen Schwachstellen. So richtig verschliffen setzt das DSG den Marschbefehl aus dem Stand heraus nie um. Typisch DSG halt. Die Federung des Avant arbeitet grundsätzlich etwas strenger als beim BMW, dafür ebenso universal. Das erwachsene Abrollverhalten (inklusive der innigen Verbindung mit der Straße) des A4 steht letztlich im krassen Gegensatz zu dem nervösen Gebaren eines Volvo V60. Und: Der Audi fühlt sich (wie der BMW) eine ganze Wagenklasse leichter an, ein A4 lässt sich auch da noch locker dirigieren, wo der kopflastige Volvo bereits das ESP um stabilisierende Hilfe bitten muss. Audi baut zudem die besten Sitze (vorn UND hinten) ein. Soll heißen: Passende Polsterung, ausreichende Dimension, optimale Position und viel Seitenhalt tragen Fahrer und Passagiere durch die Straßen.
Außerdem verbraucht der Audi weniger Diesel als die Konkurrenten, sprintet schneller und läuft vor allem subjektiv besonders leise. Testsieger wird er somit locker. Und ganz nebenbei sieht er auf Kies geparkt oder an malerischen Ufern abgestellt auch ganz gut aus.

Fazit

Der neue Volvo-Kombi ist ein echter Hingucker in der Mittelklasse. In dieser Liga reicht das allein jedoch nicht, speziell aus Deutschland kommen bessere Typen. Am Ende ist es wie bei der Fußball-WM: Deutschland gewinnt gegen Schweden mit 2:1!