Zum Inhalt springen

Plädoyer im NSU-Prozess Zschäpes bewusster Weg in den Terror

Nach dem Tod ihrer Komplizen hätte sich Beate Zschäpe vom NSU lösen können, doch sie verschickte das Bekennervideo der Terrorzelle. Für die Ankläger ist das eine Verhöhnung der Opfer - und ein wichtiges Indiz.
Beate Zschäpe

Beate Zschäpe

Foto: Pool/ Getty Images

Bei dem Asservat Nummer 2.12.377 handelt es sich um das Archiv, das die Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" aus Zeitungsartikeln über die von ihnen verübten Morde und Sprengstoffanschläge angelegt haben. Es ist eine Dokumentation des Grauens - und Teil des erschütternden NSU-Bekennervideos.

Für Oberstaatsanwältin Anette Greger sind sowohl das Archiv als auch das Bekennervideo wichtige Indizien für Beate Zschäpes Tatbeteiligung an den NSU-Verbrechen. Sie spricht an diesem 377. Verhandlungstag in ihrem Plädoyer über die politischen Hintergründe der Verbrechen.

Die terroristische Vereinigung habe von Anfang an eine Anschlagsserie gegen Migranten geplant - getreu dem Motto "Taten statt Worte". Die bewaffneten Täter hätten sich Opfer ausgesucht, die sich in Deutschland eine Existenz aufgebaut hatten. Sie seien unmaskiert, mit einer Kamera ausgerüstet losgezogen, hätten ihre arg- und wehrlosen Opfer am helllichten Tag aus kürzester Nähe erschossen und direkt danach fotografiert.

Zu Hause habe das Trio Medienberichte zu den Taten gesammelt und abgeheftet. Nach der Beweisaufnahme sei klar, dass "vornehmlich Zschäpe" dieses Archiv führte, sagt Greger, und zählt sichergestellte DNA-Mischspuren und Fingerspuren der Hauptangeklagten auf.

Der NSU habe sich anfangs nicht zu den Taten bekannt, sagt Greger. Aber die Zelle habe von Beginn an ein öffentliches Bekenntnis geplant und über Jahre aufwendig an dem entsprechenden Video gearbeitet - auch Zschäpe.

Die Opfer verhöhnen

Dass die Angeklagte dies aus Überzeugung tat, bewies sie nach Ansicht Gregers in den Tagen nach dem 4. November 2011. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren damals nach einem Raubüberfall in Eisenach aufgeflogen und leblos in einem Wohnmobil entdeckt worden.

Zschäpe habe zu diesem Zeitpunkt die Wahl gehabt, so Greger: Sie hätte das Ende der Zelle akzeptieren, einen Schlussstrich ziehen können. "Was aber tat sie?", fragt Greger. Sie versandte 16 Umschläge mit je einer DVD, auf der das Bekennervideo gespeichert war, an das türkische Konsulat, den deutschtürkischen Kulturverein und andere politische und religiöse Einrichtungen.

Fotostrecke

Anwälte, Ankläger, Gutachter: Die wichtigsten Personen im NSU-Prozess

Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERS

Die Bundesanwaltschaft wertet dies als eindeutigen Beweis dafür, dass Zschäpe noch nach dem Tod ihrer Mitstreiter die Opfer des NSU öffentlich verhöhnen und auf die politischen Hintergründe der Taten aufmerksam machen wollte.

Mit jedem Satz wird deutlich, wie entschlossen die Bundesanwaltschaft ist, die Begründung für die Mittäterschaft Zschäpes festzuzurren. Zschäpe sei eines der drei Gründungsmitglieder des NSU gewesen, ein "selbstbewusstes Wesen, keine bloße Mitläuferin"; sie habe sich "freiwillig und ganz bewusst" für ein Leben im Untergrund und "für ihren Weg in den Terror" entschieden. Bei ihrer Festnahme habe Zschäpe betont, sie sei "zu nichts" gezwungen worden. Die einzelnen Mord- und Sprengstoffanschläge seien nur möglich gewesen, weil sie "von jedem Mitglied ideologisch mitgetragen wurden" - eben auch von Zschäpe.

"Angst und Schrecken"

Die Angeklagte sitzt an diesem Donnerstag zwischen den Verteidigern ihrer Wahl, Mathias Grasel und Herrmann Borchert, den Kopf auf die rechte Faust gestützt, die Miene regungslos. Die Mitangeklagten Holger G., Carsten S. und André E. verhalten sich wie an all den anderen Sitzungstagen auch: Sie lesen, schauen in die Luft.

Nur Ralf Wohlleben fällt die Konzentration, sonst durch seine Inhaftierung eingeschränkt, an diesem Tag sichtbar leichter: Seine Ehefrau sitzt ausnahmsweise neben ihm auf der Anklagebank, ihre Hand auf seinem Oberschenkel. Sie ist sein Beistand, kann so an allen Sitzungen teilnehmen.

Die menschenverachtende Ideologie des NSU habe vor allem beinhaltet, dass "keine Bürger südeuropäischer Abstammung in Deutschland leben sollten", sagt Greger. Mit den Morden und Anschlägen sollte in der Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund "Angst und Schrecken" verbreitet werden.

Vor allem Türkischstämmige waren dem NSU ein Dorn im Auge. Das zeige das sogenannte Ali-Gedicht, ein widerwärtiges Pamphlet, in dem Türken bedroht, diskreditiert und gedemütigt werden. Der Text wurde auf einer Diskette in einer von Zschäpe angemieteten Garage in Jena gefunden.

Zschäpe sei bei keiner Tat am Tatort gewesen, betont Greger, und doch sei sie als Mitglied der Zelle beteiligt gewesen. Eine "solch abgeschottete Lebensführung über einen derart langen Zeitraum" könne nur funktionieren, wenn alle Mitglieder gleichberechtigt und alle Entschlüsse gemeinsam getragen seien. "Ihre bestimmende und zugleich integrierende Art ist nicht zu unterschätzen", so Greger über Zschäpe.

Am Montag soll das Plädoyer der Bundesanwaltschaft fortgesetzt werden. Die 70 Nebenkläger gaben bekannt, ihr Plädoyer in 47 Einzelvorträge aufzuteilen. Viele von ihnen werden auf das eingehen, was die Oberstaatsanwältin in ihrem Plädoyer vehement zurückweist: Es gebe kein Netzwerk von "rechten Hintermännern" im Fall des NSU, sagt Greger. Das habe sich "weder in den sechs laufenden Jahren der Ermittlungen noch in der 360-tägigen Beweisaufnahme" bewahrheitet.

Mitarbeit: Thomas Hauzenberger