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Fußball Kohfeldt bleibt Trainer

114 Minuten lang arbeitet Werder die Katastrophen-Saison auf

Redakteur
Fast abgestiegen, einen Saison zum vergessen, finanziell ganz düstere Aussichten - personelle Konsequenzen hat das alles nicht. Dennoch gibt es viel zu bereden bei Werder Bremen. Selbstkritik übt vor allem Trainer Kohfeldt.

Irgendwann, da war schon eine Stunde herum, da kam mal etwas Tempo auf, aber auch nur ganz kurz. Wie lange es denn gedauert habe, zu überlegen, ob er denn weitermachen will, wurde Florian Kohfeldt gefragt. „Relegation gewinnen, ein Bier trinken, Bus, Flieger, schlafen, ein Gespräch mit Frank (Baumann, Geschäftsführer Sport, d. R.), dann war ich durch“, antwortete der Trainer von Werder Bremen, um sich kurze Zeit später zumindest dahingehend zu korrigieren, dass man sich in der Relegation durchgesetzt und nicht gewonnen habe.

Sei’s drum, es waren Ausführungen am Freitagmittag, an dem Werder Bremen eine Pressekonferenz einberaumt hatte, die sich in die Länge zog. Am Ende waren es ganze 114 Minuten, in denen sich die Verantwortlichen des Bundesligisten vier Tage nach der Relegation gegen den 1. FC Heidenheim, die Präsident Hubertus Hess-Grunewald übrigens als „sportliche Nahtoderfahrung“ bezeichnete, erklärten.

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Alle, die oben auf dem Podium im Medienraum des Bremer Stadions saßen, waren sich einig darüber, dass so eine Spielzeit wie die gerade abgeschlossene nicht mehr passieren dürfe. Nur dank der erfolgreichen Relegation gegen Heidenheim – 0:0 und 2:2 endeten die Partien – konnte Werder den ersten Bundesliga-Abstieg nach 40 Jahren abwenden.

Personell bleibt alles beim Alten

Von Selbstkritik war in Bremen am Freitag die Rede, sehr oft sogar. Von einer kritischen Aufarbeitung auf allen Ebenen, ob nun in der Geschäftsleitung, im Aufsichtsrat oder im Präsidium. Man habe viel miteinander gesprochen, sagte Geschäftsführer Klaus Filbry, der zu Beginn offiziell verkündete, was am Donnerstagabend schon viele Medien berichtet hatten: Kohfeldt bleibt Trainer – und Frank Baumann auch Geschäftsführer Sport. „Es wird in derselben personellen Konstellation in Zukunft weitergehen“, so Filbry.

Sie setzen, zumindest personell, auf Bewährtes. Das machten sie am Freitag bei Werder Bremen deutlich, wenn auch niemand ausschließen wollte, dass es an der einen oder anderen Stelle durchaus in den kommenden Wochen noch Änderungen geben kann. Im Spielerkader auf jeden Fall, das machten sowohl der Trainer als auch der Geschäftsführer Sport klar, aber möglicherweise auch im Team um das Team und im Trainerstab, dem aktuell Tim Borowski, Ilia Gruev und Thomas Horsch angehören. In der ersten Reihe aber, da bleibt alles beim Alten.

Sportmanager im Gespräch

Kohfeldt, Baumann, Bode, Filbry und Hess-Grundwald – sie gaben dem Klub bislang ein Gesicht und werden es auch in Zukunft tun. Allerdings gibt es künftig vielleicht auch in Bremen eine Art Teammanager, wie es Sebastian Kehl beim BVB ist. Wer und ob dem sportlichen Duo Kohfeldt/Baumann jemand zur Seite gestellt wird, soll noch beraten werden.

An die Adresse all jener, „die denken, es gibt nur Extreme, weiter so oder – ich nenne es mal so – Köpfe rollen, die werden wir nicht glücklich machen. Wir denken nicht so“, sagte Aufsichtsratschef Bode:. „Wir wissen, dass wir uns verändern und dafür bereit sein müssen, aus unseren Fehlern zu lernen.“ Werder müsse sich aber treu bleiben, bei aller Bereitschaft dazu, sich zu verbessern und sich zu verändern.

Frank Baumann pflichtete ihm bei. Der Mann, der zuletzt auch viel Kritik hatte einstecken müssen, hatte zu Beginn größten Redeanteil. Immer wieder schaute er auf seine Notizen, die er sich für den Termin nach einer „historisch schlechten Saison“ gemacht hatte. Wer ihn kenne, der wisse, so Baumann, dass er sich nicht wegducken würde und auch keine Probleme hätte, Fehler öffentlich einzugestehen. Offene Worte, auf die dann aber erst einmal Erklärungsversuche für das schlechte sportliche Abschneiden der Mannschaft folgten. Nachvollziehbar aus Sicht eines Verantwortlichen, aber selbstkritisch war das nur wenig.

Werder wollte nach Europa

Baumann erzählte, dass man viele Daten verglichen und abgeglichen habe, auch mit Daten von Konkurrenten, wodurch ein Gesamtbild von einer Saison mit drei Dritteln entstanden sei. Einer Vorbereitung, die ein katastrophales Mitteldrittel nach sich zog, gefolgt von einer Phase nach der Corona-Pause, in der man in allen relevanten Bereichen konkurrenzfähig gewesen sei. Man sei nach der vorletzten Saison in einigen Bereichen zu überambitioniert gewesen, zu ehrgeizig, gestand Baumann ein. Das habe teilweise intern zu Konflikten geführt.

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Rückblickend, räumte der frühere Nationalspieler ein, hätte man frühzeitiger über eine veränderte Zielsetzung sprechen sollen, um die Sinne zu schärfen. Werder war vor der Saison mit dem Ziel angetreten, den Sprung ins europäische Geschäft zu schaffen.

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Baumann verwies aber auch auf die vielen verletzten Spieler, teilweise bis zu zwölf auf einmal, die man zu beklagen hatte – und er verwies auf einen Bericht der Berufsgenossenschaft von 2019, der besagt, dass es in einer Mannschaft durchschnittlich 740 Ausfalltage pro Spielzeit gibt – Werder hatte allein in der Hinrunde 905, in der gesamten Spielzeit 2000.

„Der Fehler lag bei mir“, sagt Kohfeldt

Was die Verletztenmisere betrifft, räumte Trainer Kohfeldt selbstkritisch Fehler ein. Diese würde aus einer falschen Trainingssteuerung resultieren. „Das darf mir nicht noch einmal passieren“, sagte Kohfeldt. „Ich war getrieben von dem Ehrgeiz, die Mannschaft auf ein anderes athletisches Niveau zu heben. Die Mannschaft war dazu nicht bereit. Der Fehler lag bei mir.“

Kohfeldt, der zuletzt mit 1899 Hoffenheim in Verbindung gebracht worden war, gab an, dass er mit keinem anderen Verein gesprochen habe. Er wisse sein besonderes Standing an der Weser sehr zu schätzen. „Ich muss mich extrem bedanken bei all den Menschen, die hier sitzen, die mir intern und extern den Rücken gestärkt haben und immer von mir überzeugt waren“, sagte der 37 Jahre alte Coach und schaute mal nach links und rechts, wo die Verantwortlichen des Klubs saßen: „Ich hätte mir einen Abstieg nicht verzeihen können.“

Mit ihm und in der ersten Liga geht es nun weiter. Wie die Mannschaft aussehen wird, ist noch offen. Aufgrund der Folgen der Corona-Krise ist Werder auf Einnahmen durch Spielerverkäufe angewiesen. Neben Milot Rashica, der vor einem Wechsel zu RB Leipzig steht, ist auch Davy Klaassen ein Wechselkandidat. Unverkäuflich sei jedenfalls niemand, stellten die Werder-Bosse klar.

Auf junge und entwicklungsfähige Spieler setzen

„Corona wird uns für die abgelaufene und die neue Saison insgesamt an die 30 Millionen Euro kosten“, sagte Geschäftsführer Filbry. Große Sprünge auf dem Transfermarkt wird sich Werder nicht leisten können. Deshalb wird der Klub künftig wieder mehr auf junge und entwicklungsfähige Spieler setzen. „Es wird ein neuer Weg, der Inhalte des alten beinhaltet. Es wird wieder mehr in Richtung Entwicklung gehen“, kündigte Trainer Kohfeldt an.

Er freut sich nun darauf, mal abzuschalten und sich zu erholen. Die Arbeit, die anstehe, wolle er nach einem zweiwöchigen Urlaub angehen. „Obwohl ich persönlich hoffe, dass ich dann nicht mehr so scheiße aussehe wie nach Heidenheim“, sagte er am Freitag - und lächelte.

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