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Unfairer Wettbewerb Amazon sieht zu, wie China den deutschen Onlinehandel ruiniert

Fair geht anders: Chinesische Onlinehändler verkaufen auf Amazon massenweise Produkte, die europäische Vorschriften verletzen. Als ein Projektoren-Händler solche Verstöße meldete, stieß er auf begrenztes Interesse.
Mehrfachangebot des Amazon-Händlers "Fujsu"

Mehrfachangebot des Amazon-Händlers "Fujsu"

Foto: Amazon

Knick in der Optik: Diesen Eindruck konnte bekommen, wer zeitweise auf Amazon nach einem Videoprojektor des chinesischen Händlers "Fujsu" suchte. Ein bestimmtes Modell gab es dort gleich mehrere Dutzend Mal. Händler, Beschreibung und Preis waren immer identisch, nur die Artikelnummer unterschied sich. "Das war ein ganz dreister Fall", sagt Réne Engels, der nicht weniger als 46 Varianten desselben Beamers gezählt hat.

Engels kennt das Gerät schon länger. Auf sein Betreiben hin hatte Amazon ein früheres Angebot dafür gelöscht. Denn "Fujsu" konnte dafür keine sogenannte WEEE-Nummer vorweisen. Die aber braucht, wer in Deutschland Elektronikprodukte verkaufen will. Die Nummer dient dem Kampf gegen Elektroschrott. Sie soll sicherstellen, dass Hersteller ihre Altgeräte wie vorgeschrieben zurücknehmen. Über ein öffentliches Verzeichnis  lässt sich leicht nachvollziehen, ob Hersteller ihre Geräte registriert haben.

Elektroschrott auf einem Hamburger Recyclinghof

Elektroschrott auf einem Hamburger Recyclinghof

Foto: Christian Charisius/ dpa

Der Arbeitgeber von Réne Engels kommt um WEEE-Nummern nicht herum: Die Aiptek GmbH sitzt im nordrhein-westfälischen Willich. Von hier aus vertreibt sie mobile Projektoren, die von einer Mutterfirma in Taiwan hergestellt werden. Neuerdings wächst die Konkurrenz vom chinesischen Festland. "Seit etwa Mitte letzten Jahres ist das Angebot an Projektoren auf Amazon förmlich explodiert", erzählt Engels. Ein Großteil der Angebote stamme von asiatischen Firmen, die "offenbar alle rechtlichen Anforderungen vollständig ignorieren".

Dass Onlinehandel mit fairem Wettbewerb bislang wenig zu tun hat, wird langsam auch den politisch Verantwortlichen in Deutschland klar. Ab nächstem Jahr haften Anbieter wie Amazon oder Ebay endlich selbst für die Hinterziehung von Umsatzsteuern auf ihren Plattformen. Durch sie konnten ausländische Anbieter bislang massenweise ihre Preise drücken.

Weitere Eingriffe könnten folgen. So wollen EU-Kommission und Bundeskartellamt untersuchen, ob Amazon seine Marktmacht gegenüber Händlern missbraucht. In Brüssel will man Onlineplattformen zudem über eine neue Marktüberwachungsverordnung stärker in die Verantwortung nehmen. Selbst die günstigen Portopreise für chinesische Onlinehändler sind ein Thema geworden, seit Donald Trump aus Ärger darüber mit einem Austritt aus dem Weltpostverein droht.

Die Frage ist allerdings, ob neue Regulierungen nicht für viele Firmen zu spät kommen. Denn in rasantem Tempo bringen ausländische Onlinehändler immer mehr Produkte zu Schleuderpreisen auf den deutschen Markt - oft mit dramatischen Folgen für heimische Unternehmen. "Unser Umsatz mit Amazon ist gegenüber dem Vorjahr um etwa drei Viertel zurückgegangen", berichtet Engels.

Dass die Schnäppchenpreise oft nur durch Missachtung gesetzlicher Vorschriften möglich sind, scheint Amazon höchstens begrenzt zu interessieren. Wer sich wie Engels gegen unlauteren Wettbewerb wehrt, erlebt schnell einen Kampf wie gegen die Hydra der griechischen Mythologie: Für ein erfolgreich gestopptes Angebot wachsen zwei nach - oder eben gleich 46.

"Wir müssen etwas unternehmen"

Bei Aiptek hatte man eigentlich gehofft, mit der WEEE-Nummer einen wirksamen Hebel gegen die Angebote der Konkurrenz gefunden zu haben. Schließlich ist ihr Fehlen ein klarer Beleg dafür, dass Anbieter nicht nach den Regeln spielen. René Engels begann also damit, Beispiele zu sammeln.

Nachdem erste Beschwerden im digitalen Nirwana versandet waren, fand Engels mit dem Amazon-Mitarbeiter Martin K. einen Ansprechpartner. Ihm schickte er ab Juni in Excel-Tabellen rund 300 Beispiele, inklusive der dazugehörigen Amazon-Standard-Identifikationsnummern (ASIN).

Sortieranlage eines chinesischen Onlinehändlers

Sortieranlage eines chinesischen Onlinehändlers

Foto: YOUNG/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Zugleich drohte Engels, notfalls mithilfe der Industrie- und Handelskammer (IHK) juristisch gegen Amazon vorzugehen. "Natürlich wollen wir Ihnen solche Probleme gern ersparen", schrieb der Beamer-Händler. "Auf der anderen Seite leidet unser Geschäft sehr unter diesen rechtswidrigen Angeboten, und wir müssen etwas unternehmen."

Der Druck wirkte. Nach einigem Nachhaken begann Amazon damit, die kritisierten Angebote zu löschen. Mittlerweile sind Engels zufolge rund 90 Prozent nicht mehr online. Doch das löste sein Problem nicht. Denn gesperrt wurden immer nur einzelne Produkte, nie die Händler selbst. Ob es wirklich erforderlich sei, alle ASIN eines Anbieters separat mitzuteilen, fragte er irgendwann genervt. Die Antwort von K: "leider ja".

Ein erstaunlich umständliches Vorgehen, zumal Aiptek keinen Einzelfall darstellt. Das bestätigt Romy Seifert, Referentin für Wettbewerbsrecht bei der IHK Mittlerer Niederrhein, an die sich Engels mit seinem Problem wandte. Seit etwa zwei Jahren meldeten heimische Firmen neben Produktpiraterie und Umsatzsteuerbetrug "immer häufiger, dass Anbieter aus Drittländern sich oftmals nicht an die zahlreichen EU-Kennzeichnungs-, Registrierungs- und Informationspflichten im Verkauf an den Endverbraucher halten".

Verstöße fast ohne Risiko

Trotz der Verstöße seien die Anbieter bislang kaum gefährdet, sagt Seifert. Denn Klagen außerhalb der EU seien "teuer und schwierig", Plattformen wie Amazon verwiesen darauf, dass sie "nur den Marktplatz stellen, aber nicht für die Verkehrsfähigkeit des Produkts haften". Die IHK könne zwar Verstöße verfolgen. Die Erfahrung aus der Beratung zeige aber, dass "betroffene Unternehmen die Beschwerden in der Regel nicht weiterverfolgen, weil sie fürchten, von den Plattformbetreibern identifiziert und benachteiligt zu werden".

Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) kritisiert die mangelnde Ahndung von Verstößen. Viele Onlineangebote von Händlern außerhalb Europas erfüllten "nicht die hohen EU-Produktsicherheitsstandards und Zertifizierungsvorgaben", sagt Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp. "In der Folge ist für die Behörden dann meist kein Verantwortlicher greifbar." Bei der Umsatzsteuer würden die Plattformen künftig in die Verantwortung genommen. "Jetzt gilt es, die anderen Bereiche entsprechend zu regeln und klare Verantwortlichkeiten festzulegen."

Doch warum wird Amazon nicht von sich aus tätig - auch da, wo es eigentlich ein Leichtes wäre? So könnte die WEEE-Nummer schon bei der Erfassung neuer Angebote abgefragt werden. Auf einen entsprechenden Vorschlag bekam Engels jedoch keine Rückmeldung.

Chinas Bedeutung für Amazon

Bei Amazon zieht man sich weiterhin darauf zurück, nur Vermittler zu den Händlern zu sein. "Verkäufer, die bei Amazon verkaufen, sind eigenständige Unternehmen und selbst für eine eventuell notwendige Registrierung der von Ihnen verkauften Produkte verantwortlich", sagte ein Sprecher dem SPIEGEL auf Anfrage. "Wenn wir Informationen erhalten, dass ein Produkt nicht registriert ist, entfernen wir das Produkt vom Verkauf und ergreifen entsprechende Maßnahmen gegenüber dem Verkäufer, die unter Umständen die Schließung des Verkäuferkonten beinhalten können."

Doch warum werden nicht viel häufiger Verkäuferkonten geschlossen - zumindest bei Wiederholungstätern? An technischen Schwierigkeiten kann es kaum liegen bei einem Unternehmen, dass ansonsten als Meister der Logistik gilt. Möglicherweise hat der gebremste Ehrgeiz etwas mit der Bedeutung der chinesischen Internetwirtschaft zu tun. Zwar landet Deutschlands elektronischer Handel laut Zahlen des Statistikportals Statista weltweit auf Platz fünf. Doch sein Umsatz von knapp 64 Milliarden wird von Spitzenreiter China um ein Neunfaches übertroffen.

Angesichts solcher Dimensionen dürfte die Versuchung steigen, auf Masse statt Klasse zu setzen: Minderwertige oder problematische Produkte mögen zwar am Ende viele Käufer enttäuschen. Sie bringen einer Plattform wie Amazon aber durch ihre schiere Masse höhere Provisionen herein als eine deutlich kleinere Menge an verkauften Qualitätsprodukten.

Gratisgerät gegen Fünf-Sterne-Bewertung

Einer ähnlich Dumping-Logik folgten jedenfalls Hersteller, bei denen Engels zu Testzwecken Geräte bestellte. Neben der WEEE-Nummer fehlten diesen auch andere vorgeschriebene Angaben. Rechnungen wurden entweder gar nicht ausgestellt oder enthielten keine Mehrwertsteuer.

Nachdem Engels für eines der Geräte eine schlechte Bewertung auf Amazon hinterlassen hatte, meldete sich ein Mitarbeiter namens Ted. Dieser räumte ein, der Projektor funktioniere nur bei ausgeschaltetem Licht. Außerdem sei "die Auflösung nicht hoch genug, um es scharf und klar zu machen, weil wir zwischen Aufwand und Nutzen abwägen mussten".

Als "Entschädigung für die Enttäuschung" wolle man dem deutschen Kunden aber gern kostenlos ein weiteres Gerät schicken, hieß es weiter. Einzige Bitte: "Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie ihre Bewertung freundlicherweise entfernen oder auf eine fünf Sterne-Bewertung anpassen."


Zusammengefasst: Billiganbieter aus China verderben auf Amazon die Preise. Sie können das nur, weil sie zahlreiche technische und rechtliche Vorgaben ignorieren und teilweise nicht korrekt Steuern abführen. Doch Amazon führt den Kampf dagegen halbherzig. Das Meldeverfahren ist unnötig umständlich, Verstöße bleiben oft ungeahndet. Meist wird dann nur das betreffende Angebot gelöscht, aber nicht der Anbieter blockiert. Die Folgen: Ehrliche Anbieter knicken unter dem Preisdruck ein, Kunden bekommen minderwertige Ware.

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