Kurzkritik:Am Ende Chaos

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Brechts "Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer"

Von Petra Hallmayer, München

"Fatzer ist natürlich der beste Text von Brecht überhaupt", erklärte Heiner Müller kategorisch. Für "unaufführbar" hielt Brecht selbst sein mehr als 500-seitiges Fragment "Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer". Im Akademiestudio wagte sich Demjan Duran nun an das Textgebirge um einen Soldaten, der nicht länger einen Krieg führen will, der nicht der seine ist. "Ich scheiß' auf die Ordnung der Welt", verkündet Fatzer und reckt die Faust in die Luft. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs desertiert er gemeinsam mit drei Kameraden, taucht unter und wartet auf die Revolution. Doch von Hunger geplagt bekämpft sich die Gruppe und liquidiert schließlich Fatzer.

Eine Mauer aus Gemüsekisten steht auf der Bühne, hinter der die Spieler Billy Joels "We Didn't Start the Fire" anstimmen. Der Krieg ist nur als kleiner Spielzeugpanzer präsent. Der Regiestudent Duran hat den Stückentwurf in seiner einstündigen Inszenierung, der er Auszüge aus Johan Huizingas Essay "Homo Ludens" vorangestellt hat, radikal gekürzt. Dabei hätte er sich ruhig mehr Zeit lassen können, um die thematischen Stränge, die Konflikte zwischen der Gruppe und einem sich keinem Kollektiv und keiner Ordnung unterwerfenden Individuum zu verdeutlichen. Wirklich klar wird die Handlung nicht immer.

Dennoch besticht die Aufführung mit dichten und intensiven Momenten. Mit beeindruckender sprachlicher Präzision entfacht das fließend die Rollen wechselnde Ensemble (Oscar Bloch, Adi Hrustemović, Regina Speiseder, Thomas Sprekelsen) ein Feuerwerk Brecht'scher Sentenzen. Die als Spielmaterial dienenden Kisten werden verschoben, umhergeschleudert, hier und da neu aufgetürmt. Wo zu Beginn eine Mauer stand, herrscht am Ende Chaos. Im starken Schlussbild hat sich jegliche Gemeinschaft aufgelöst. Eine hungernde Frau streckt uns die Hände entgegen. "Verlass jetzt deinen Posten!", rufen uns die umherirrenden Menschen immer wieder zu. "Die Siege sind erfochten. Die Niederlagen sind erfochten."

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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