Neue Leitlinien der EU-Regulierer zur Netzneutralität stehen

Die europäischen Regulierungsbehörden haben den Entwurf für ihre Orientierungshilfe für die Interpretation der EU-Verordnung zum offenen Internet überarbeitet und mit einer Grundrechtsklausel angereichert.

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Neue Leitlinien der EU-Regulierer zur Netzneutralität stehen

(Bild: Ole Spata, dpa)

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Das "Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation" (Gerek, bzw. Berec, Body of European Regulators for Electronic Communications)) hat seine Leitlinien zum offenen Internet in der EU festgezurrt. Eine der auffälligsten Änderungen gegenüber dem Entwurf vom Juni in dem Papier mit Stand von August, das das Online-Magazin "Politico" ins Netz gestellt hat, ist eine allgemeine Klausel, wonach bei allen Regulierungen rund um die Netzneutralität die Grundrechte einschließlich von Prinzipien wie Verbraucher- und Datenschutz, Meinungs- und Informationsfreiheit, Nichtdiskriminierung sowie die Freiheit der Geschäftsausübung zu beachten sind.

Über 500.000 Nutzer hatten sich im Frühsommer an einer Konsultation des "Gremiums europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation" (Gerek) zu den geplanten Leitlinien zum offenen Internet in der EU beteiligt. Zuvor hatten Internet-Vordenker wie Tim Berner-Lee Alarm geschlagen, dass Europa die Netzneutralität mit der Orientierungshilfe doch noch verlieren könnte. Grund für die Aufregung: Telekommunikationsfirmen hatten einen Investitionsstopp in 5G-Netze bei starken Auflagen zur Netzneutralität angedroht.

Umwälzende Änderungen enthält das überarbeitete Dokument, das der auch als Berec bekannte Regulierungszirkel voraussichtlich am Dienstag beschließen und offiziell veröffentlichen wird, nicht mehr. Bürgerrechtler hatten bei dem ursprünglichen Papier von einem Schritt in die richtige Richtung gesprochen. Es sei aber wichtig, bestehende Schlupflöcher für ein Zwei-Klassen-Netz mit Mautstellen noch sorgfältiger abzudichten.

Mit den Gerek-Leitlinien sollen keine neuen Regeln kommen, sondern sie sollen den nationalen Regulierern helfen, die grundlegende, aber vergleichsweise vage EU-Verordnung für einen elektronischen Binnenmarkt und ihre Bestimmungen fürs offene Internet auszulegen. Zu den großen Streitpunkten gehören die Vorgaben zum "angemessenen Verkehrsmanagement" und zu kostenpflichtigen "Spezialdiensten" jenseits des herkömmlichen Internets, die nur unter Auflagen erlaubt sind.

Das Gremium stellt nun mit den ergänzten Papier klar, dass Provider sich Zusatzangebote und Verfahren nicht von vornherein genehmigen lassen müssen. Damit dürfte ein "Austausch" mit den Regulierungsbehörden und Marktakteuren aber nicht ausgeschlossen werden. Ersteren stehe es frei, gegebenenfalls einzuschreiten.

Einen Punktsieg konnten die Telekommunikationsanbieter beim Verkehrsmanagement erzielen. So "müssen" die Regulierer nicht mehr kontrollieren, ob die Betreiber die Dimension ihres Netzwerks richtig angelegt haben und ob länger andauernde Staus in ihren Leitungen darauf zurückzuführen sind. Die Rede bei den Aufgaben der Prüfer ist nun nur noch von "können". Sie sollen aber andererseits darauf achten, dass bei einzelnen Anwendungen Netzwerkmanagement nur durchgeführt wird, wenn dies "objektiv nötig" ist, um eine gewisse Dienstqualität zu erreichen.

Verschlüsselte "Virtuelle Private Netzwerke" (VPNs) werden nicht mehr pauschal als Spezialdienste angesehen, sondern nur noch unter besonderen Umständen. Generell gehe es auch dabei um den Internetzugang und somit um einen Grundservice, heißt es in dem Papier. Als "typische" Beispiele für Spezialdienste führen die Regulierer weiter etwa IPTV mit "linearem Rundfunk" oder Tele-Gesundheitsdienste wie OPs aus der Ferne an, obwohl dies umstritten ist.

Fast nur redaktionelle Korrekturen gibt es bei den Ziffern zu Zero Rating. Dabei rechnen Mobilfunkbetreiber bestimmte Transfers nicht auf das in einen Tarif eingeschlossene Datenvolumen an und bevorzugen so eigene Angebote oder die von Partnern, etwa beim Streaming. Hier solle analysiert werden, ob damit Anbieter gegen die grundsätzliche Auflage verstoßen, Internetverkehr gleich zu behandeln. Eine pauschale Vorschrift gegen Zero Rating, wie sie das niederländische Parlament beschlossen hat, dürfte damit kaum länger Bestand haben.

Die Regulierer haben dazu noch eine Klausel zu Bündelangeboten eingeführt, wonach ein Mobilfunkanbieter etwa ein kostenloses Abo für eine Musikstreaming-App über eine gewisse Zeit hinweg allen Neukunden "schenken" darf. Der zugehörige Verkehr sei dabei aber nicht bevorzugt zu behandeln. Als legitim erachtet das Gremium etwa auch nicht auf spezielle Anwendungen ausgerichtete Offerten, bei denen Endnutzer etwa während der Nacht oder an Wochenenden ein unbegrenztes Datenvolumen erhalten. Insgesamt haben sich die Regulierer offenbar weder direkt von den Mobilfunkern erpressen noch von den Befürwortern der Kampagne Save the Internet" nachhaltig beeindrucken lassen. (anw)