Börse London :
Bankenrisiken und Bankenchancen

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Ein Arbeiter vor der Londoner Börse
Auch an der Börse London wurden die Finanztitel durchgeschüttelt, vor allem Barclays hat stark verloren. Goldman Sachs sieht bei britischen Bankenaktien aber auch Chancen.

Die Bankenbeben der vergangenen drei Wochen haben auch am Finanzplatz London für Nervosität gesorgt und die Börse belastet. Der britische Leitindex FTSE100, der im Februar kurzzeitig auf ein Allzeithoch über 8000 Punkte kletterte, fiel im März bis auf 7335 Punkte zurück. Seitdem hat sich die Lage aber beruhigt. Am Dienstag stieg der Index um 0,5 Prozent und kletterte wieder über 7500 Punkte. Er liegt damit nur noch knapp unter dem Jahresanfangsstand.

Banken sind, neben Rohstoff- und Ölkonzernen, ein wichtiges Marktsegment an der Londoner Börse und beschäftigen Hunderttausende in der City. Der Bankenindex im breiteren Aktienindex FTSE350 ist seit dem 8. März um rund 11 Prozent gesunken. Hintergrund war das Bankenbeben, das von den USA ausging, beginnend mit der Silicon Valley Bank, deren britische Tochtergesellschaft die HSBC für einen symbolischen Preis von einem Pfund übernommen hat. Dann musste die Schweizer Großbank Credit Suisse in einer Zwangshochzeit von der UBS gerettet werden. Ende voriger Woche ging plötzlich der Kurs der Deutschen Bank in die Knie. All dies zog britische Finanztitel in Mitleidenschaft.

Dabei ist vor allem der Barclays-Kurs schwach. Der Börsenwert der Großbank, die stark im Investmentbanking aktiv ist, liegt aktuell rund 15 Prozent unter dem Wert zu Jahresbeginn; die Aktie der von C. S. Venkatakrishnan geführten Bank hat fast so viel an Wert eingebüßt wie die Aktie der Deutschen Bank (minus 17 Prozent). Seit einem Zwischenhoch im Februar ist Barclays sogar um ein Viertel eingebrochen. Andere britische Großbanken hielten sich viel besser. Die Papiere von HSBC liegen sogar leicht über dem Stand zum Jahresbeginn (plus 3 Prozent). Und die Lloyds Banking Group, NatWest und Standard Chartered liegen nur zwischen minus 1 Prozent und minus 6 Prozent seit Jahresbeginn.

Am Montag und Dienstag stiegen die Aktien der meisten Banken um ein bis zwei Prozent. „Die Ansteckung durch die amerikanischen Banken ist bislang sehr begrenzt, daher steigt die Hoffnung, dass das Debakel der Silicon Valley Bank wenig Auswirkungen auf das globale Wachstum haben wird“, sagt Susannah Streeter von Hargreaves Lansdown. Einige Analysten finden, dass die vorigen Kursverluste eine Gelegenheit seien, um in die Finanztitel einzusteigen.

Die britischen Geldhäuser besäßen eine solide Kapital- und Liquiditätsausstattung und eine gute Renditeperspektive, urteilt Goldman Sachs (GS). „Unsere Aktienanalysten denken, dass die Fundamentaldaten für die Banken des Vereinigten Königreichs stark bleiben“, schreibt die amerikanische Investmentbank. Die Risiken hätten zwar zugenommen, doch sehe man Aufwärtschancen, gerade nach dem jüngsten Ausverkauf der Finanzwerte. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der britischen Banken sei ähnlich tief wie zur Finanzkrise, der Abschlag sogar noch größer als während der Staatsschuldenkrise, beim Brexit und in der Corona-Krise. All das lasse die Bankaktien eher günstig erscheinen.

Goldman Sachs schätzt, dass die britischen Banken im Durchschnitt fast 11 Prozent Rendite abwerfen werden, davon 6 Prozent durch die Dividendenzahlungen und 5 Prozent mit den großen Aktienrückkaufprogrammen. Eine fast doppelt so hohe Renditeerwartung haben die GS-Analysten für die NatWest-Gruppe, durchschnittlich für Barclays und eher unterdurchschnittlich für HSBC, Standard Chartered und die Lloyds Banking Gruppe. Aus Sicht von Goldman Sachs sollte man Banken in einem britischen Aktiendepot übergewichten. Auch das Analysehaus Morningstar findet, dass die großen britischen Finanzwerte eher günstig sind.

Den britischen Aktienwerten dürfte auch eine etwas bessere Konjunktur­per­spek­tive helfen. Nach der neuesten Pro­gnose des Amts für Budgetdisziplin wird die Wirtschaft des Königreichs eine technische Rezession wohl vermeiden können. Im Januar wuchs die Wirtschaftsleistung stärker als erwartet. Aber ungünstig war, dass die Inflationsrate nicht gesunken ist, sondern entgegen den Erwartungen im Februar leicht zugenommen hat auf 10,4 Prozent. Das trieb die Bank of England dazu, vorige Woche den Leitzins nochmals um einen Viertelpunkt anzuheben. Die höheren Zinsen sind für die Banken dabei ein zweischneidiges Schwert. Manche kommen besser durch die Zinswende als andere.

Nach Einschätzung von Goldman Sachs bleibt der britische Aktienmarkt aber trotz allem interessant. „In unserer Sicht bietet das Vereinigte Königreich weiterhin einen guten Wert verglichen mit anderen Aktienindizes der Welt“, schreibt die amerikanische Investmentbank. Seit Jahresbeginn war der FTSE100 deutlich hinter anderen Indizes zurückgeblieben. Sowohl der spanische Ibex, der italienische MIB, der französische CAC40 als auch der Dax hatten sich deutlich besser entwickelt; sie liegen zwischen 8 und 10 Prozent über dem Jahresanfangsstand. Auf Sicht von zwölf Monaten sehen die Goldman-Sachs-Aktienanalysten für den europäischen Euro ­Stoxx 50 nur wenig Aufwärtspotential. Für den FTSE100 tippen sie aber, dass er von gegenwärtig 7500 auf 8200 Punkte klettern könnte.