Er ist Regisseur beim Champions-League-Finalisten Manchester City, doch die Deutschen werden nicht warm mit Ilkay Gündogan. Warum?

Unter dem Trainer Josep Guardiola brilliert Gündogan, im deutschen Nationalteam hingegen hat er es schwer – auch wegen des Einflusses der Bayern-Akteure. Und dann ist da noch die fünf Jahre zurückliegende Geschichte mit dem türkischen Präsidenten Erdogan.

Stefan Osterhaus, Istanbul 5 min
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Wird man erst begreifen, was Ilkay Gündogan hätte wert sein können, wenn er nicht mehr bereit ist, für Deutschland zu spielen?

Wird man erst begreifen, was Ilkay Gündogan hätte wert sein können, wenn er nicht mehr bereit ist, für Deutschland zu spielen?

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Manchmal dauert es eine Weile, vielleicht sogar Jahre, bis es aus duldsamen Charakteren herausbricht, bis sie einmal formulieren, was sie umtreibt. Für Ilkay Gündogan, den deutschen Fussball-Nationalspieler von Manchester City, war dieser Punkt gekommen im Viertelfinal der Champions League gegen Bayern München.

Joshua Kimmich, Bayerns Mittelfeldspieler, der für seine laute Ansprache berüchtigt ist, trat nach seinem am Boden liegenden Kollegen aus dem Nationalteam. Und dieser – erstaunlich genug – ging Kimmich unüberhörbar verbal an. Er müsse sich «nicht alles gefallen lassen», sagte Gündogan nach dem Match; das Mass, so insinuierte er, sei irgendwann einfach voll.

Stratege und Torjäger: Ilkay Gündogan.

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In der Premier League ist Gündogan anerkannt

Auf den ersten Blick war es eine alltägliche Szene – auf den zweiten ist sie durchaus bedeutsam. Denn in ihr drückte sich aus, was die Karriere von Ilkay Gündogan begleitet. Sein Problem liegt weniger darin, auf welcher Position er am besten aufgehoben ist. Fakt ist, dass der Fussballer Gündogan, der in der vergangenen Woche den FA-Cup-Final mit seinen Toren entschieden hat, ein vielseitig einsetzbarer Spieler ist, sein herausragendes Spielverständnis ihn aber für strategische Aufgaben prädestiniert.

Josep Guardiola, sein Klubtrainer, hat dies schon lange begriffen. Die Rolle, die der Coach ihm zugewiesen hat, könnte prominenter nicht sein. Gündogan ist der Captain der Mannschaft, die am Samstag in Istanbul gegen Inter Mailand nach der Champions-League-Trophäe greift.

Die Wertschätzung, die ihm in der Premier League zuteilwird, könnte also kaum grösser sein. Nur sieht es in Deutschland ein wenig anders aus, in dem Land, für dessen Nationalmannschaft Gündogan in 66 Länderspielen immerhin 17 Tore erzielt hat – und doch längst nicht das ist, was man als eine unumstrittene Grösse bezeichnen könnte. Genau deshalb hat diese Szene im Viertelfinal gegen die Bayern ihre Aussagekraft. Was muss sich dieser Mann noch alles bieten lassen, damit man in dem Land, in dem er aufgewachsen ist, seine Qualitäten erkennt?

Es ist kompliziert mit den Deutschen und Gündogan, geboren in Gelsenkirchen, fussballerisch sozialisiert in Bochum, gross herausgekommen im BVB, mit dem er vor zehn Jahren erstmals in einem Champions-League-Final stand. Verletzungen hemmten seine Karriere oft in einer Phase, als diese gerade im Begriff war, Fahrt aufzunehmen. Dass Guardiola die Qualitäten Gündogans während seiner Bundesliga-Zeit als Bayern-Coach erkannte, verwundert nicht: Der Katalane schätzt Spieler, die auch unter Bedrängnis nicht den Kopf verlieren.

Nur wie passt dies mit Gündogans Wahrnehmung in Deutschland zusammen? Wie kommt es, dass seine Fähigkeiten zwar registriert, aber keineswegs in jenem Masse honoriert werden, wie sie es verdient hätten?

Der Trainer Josep Guardiola weiss, was er an Gündogan hat.

Der Trainer Josep Guardiola weiss, was er an Gündogan hat.

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Auch Kroos und Özil kennen die Probleme

Zum einen ist es sicher die ständige Konzentration auf den deutschen Rekordchampion Bayern München. Auch Toni Kroos, der mit Real Madrid viermal die Champions League gewann, könnte lange davon berichten, dass zweierlei Massstäbe gelten, wenn einer für die Bayern spielt oder aber für einen auswärtigen Spitzenverein. Der deutsche Blick auf Profis im Ausland ist nicht selten kritischer. Mesut Özil, einst bei Real Madrid und Arsenal, konnte in Deutschland ebenfalls nur selten auf das Wohlwollen des Publikums und der Experten zählen.

In Sachen Kroos allerdings waren die Dinge vergleichsweise einfach gelagert: Es lag an einer gewissen Provinzialität des Publikums. Bei Gündogan ist es komplexer. Wie Kroos ist er nicht mehr allwöchentlich im Blick der deutschen Fussballfreunde. Zudem hat die Wahrnehmung des mittlerweile 32-Jährigen eine politische Färbung.

Im Mai 2018, kurz vor der WM in Russland, war Gündogan bei jenem berüchtigten Treffen zugegen, zu dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in London erfolgreiche türkischstämmige Fussballer eingeladen hatte. Gündogan überreichte dem Politiker ein Trikot mit der Widmung: «Für meinen Präsidenten», was genügte, um in Deutschland eine Debatte vom Zaun zu brechen.

Anders als Özil, der in der Folge immer mehr wie eine Sprechpuppe Erdogans wirkte, hat sich Gündogan nie eindeutig politisch positioniert. Einmal nur war er in der Folge unvorsichtig genug, als er auf Instagram ein Foto mit einem Like versah, das die türkische Nationalmannschaft nach einem Sieg in salutierender Haltung zeigte, während die türkische Armee zeitgleich gegen Kurden vorging.

Die «Welt» machte aus Gündogan gar einen pathologischen Fall, nannte ihn einen «Überzeugungstäter». Dass Gündogan sich rasch entschuldigte und darauf verwies, der erhobene Daumen habe seinem Kumpel Cenk Tosun gegolten, der ein Tor erzielt hatte, taugte kaum zur Entlastung.

Insofern hat Gündogan eine Menge erlebt als deutscher Nationalspieler türkischer Herkunft mit grossem Erfolg in Manchester. Und es war sicher kein Zufall, dass der sonst eher besonnene Gündogan und der notorische Krakeeler Joshua Kimmich im April aneinandergerieten. Denn die beiden sind zwar Gefährten im Nationalteam – aber in gewisser Weise auch Konkurrenten.

Kimmich besetzt in der Nationalmannschaft die Position des defensiven Mittelfeldspielers, genauso wie im FC Bayern. Sofern Leon Goretzka fit ist – und das ist immer seltener der Fall – bildet Kimmich mit diesem gerne ein Duo in der Landesauswahl und im Klub.

Nationaltrainer Flick findet keinen angemessenen Umgang

In einem Mittelfeld mit diesen zwei Tonangebern ist es schwierig für Gündogan, einen Platz zu finden. Hansi Flick, der Trainer der deutschen Nationalmannschaft, machte dies nie deutlicher als im Match gegen Japan an der Weltmeisterschaft in Katar, als er Gündogan in der zweiten Hälfte vom Platz nahm, um Goretzka einzuwechseln. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Partie von Gündogan geprägt gewesen, er hatte sein Team in Führung gebracht. Mit seiner Auswechslung kam ein Bruch ins Spiel – dieser war der Anfang vom Ende für die deutsche Mannschaft.

In keiner Szene verdeutlichte sich die Planlosigkeit des Trainers Flick klarer. Er machte eine Konzession an die Münchner Achse und opferte für sie seinen besten Mann. Die Frage, was Gündogan sich noch alles gefallen lassen muss, ist aus dessen Sicht nur legitim. Nur: Wird er eine Antwort darauf erhalten, die ihn zufrieden stellt? Oder wird man erst begreifen, was er hätte wert sein können, wenn er nicht mehr bereit ist, für Deutschland zu spielen?