Malerin Koller-Pinell in Wien :
Rot auf Schwarz auf Weiß

Von Stefan Trinks, Wien
Lesezeit: 5 Min.
Die „Nackte“ sei stilistisch zu nah an Klimts Bildern, hieß es. Aber das war ein vorgeschobener Grund für eine Ablehnung, die andere Ursachen hatte.
Wieder einmal war eine Frau vom Radar der Kunstgeschichte verschwunden. Nun entdeckt das Belvedere die um 1900 gefeierte Malerin Broncia Koller-Pinell neu.

Die Malerin Broncia Koller-Pinell reüssierte auf der Weltausstellung in Chicago 1893, wirkt aktiv an der Gründung der Neuen Secession Wien und des Sonderbunds mit und ist eine durchaus bedeutende Malerin in den Jahren der Vormoderne um 1900, weltbekannt ist sie aber nur in Österreich. Was schade ist, fehlt doch damit den talentierten Malerinnen ein weiteres Mosaiksteinchen in ihrer vom Mittelalter an bis heute nahtlosen Kunst-Geschichte.

Als Grund gegen einen bleibenden Platz in der Kunstgeschichte von Bedeutung wurde oft ihre stilistische Heterogenität angeführt, mit einem solchen windelweichen Argument müsste jedoch auch Picasso als inkonsistent und zu wenig konsequent abqualifiziert werden.

Erinnerung an eine Reise an die französische Riviera

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Werk der 1934 verstorbenen Jüdin kaum mehr erinnert. Eine kurze Rekapitulation ihrer Vita schadet nicht: 1873 im galizischen Sanok geboren heiratet sie den wohlhabenden Wiener Industriellen Hugo Koller, späterer Leiter von Elektrobosna, einem der Marktführer für Karbid-Derivate, die die Welt und insbesondere die Städte zum Leuchten bringen. Mutter und Kinder sind sehr gebildet und belesen, Broncia lässt sich in der bayerischen Hauptstadt zur Malerin ausbilden und von der damals einflussreichen Münchner Schule und hier vor allem durch Fritz von Uhde inspirieren; die Familie reist viel, besonders gern in das Licht des Mittelmeers. Im Jahr 1902 siedelt man endgültig nach Wien über, es entsteht mit dem pointillistischen „Orangenhain“ ein frühes Hauptwerk, aus der Erinnerung einer Reise an die französische Riviera entstanden.

Das pointillistische „Orangenhain“, ein frühes Hauptwerk von 1902
Das pointillistische „Orangenhain“, ein frühes Hauptwerk von 1902Belvedere

Immer weitere dieser lichtdurchtanzten Bilder entstehen, sie vernetzt sich immer mehr in der Wiener Kunst- und Kulturszene und lässt die Familien-Villa von Koloman Moser, der 1903 bereits das spektakulär modern-kubische Grabmal in Granit ihrer Familie Pineles auf dem jüdischen Friedhof gestaltete, sowie vom sogenannten Quadratl-Hoffmann ausstatten, den Hauptvertretern der Wiener Werkstätten, der Edelschmiede eines stärker geometrischen Jugendstils österreichischer Prägung und vor allem des guten und teuren Geschmacks.

Als Mäzenin ist sie für nachrückende Jungkünstler von großer Bedeutung und prägt auch ihre Tochter Silvia in der Malerei. Sie selbst kann durch die finanzielle Unabhängigkeit wesentlich freier malen als andere, die von Aufträgen abhängig sind.

Mädchen im leuchtend roten Kleid

Die beiden letzteren Punkte finden auf harmonischste Weise in ihrem ungemein modernen Porträt „Die Tochter Silvia mit Vogelkäfig“ von 1907/08 zusammen, auf dem das Mädchen im leuchtend roten Kleid sich über eine weiß lackierte Voliere beugt – natürlich aufs Edelste von den Wiener Werkstätten gestaltet und mit einer Karoverschlussplatte von Josef Hoffmann auf der uns zugewandten Vorderseite versehen –, um ihre sechs bunt gefiederten Vögel darin zu bewundern.

Während das Motiv mindestens seit Goya altbekannt ist, ist doch die Umsetzung erfrischend avantgardistisch – Silvias kirschrotes Kleid bleibt absolut flächig und hebt sich kontrastiv vom schwarz gefliesten Boden mit seinen weißen Mörtelfugen ab, die in Fluchtpunktperspektive nach hinten ziehen und konterkariert werden von den wesentlich enger getakteten Gitterstäben des Vogelkäfigs.

Um das von den Wiener Werkstätten eingeimpfte Geometrie-Fieber wieder etwas zu brechen, lässt Koller-Pinell um die abgewinkelten Füße der Kleinen ebenfalls eine weiße Kontur umlaufen, als würden sich in Einsteinscher Raumkrümmung die Mörtelfugen des pechschwarzen Fußbodens um die Füße des Töchterchens herumbiegen.

Die „Tochter Silvia mit Vogelkäfig“ von 1907/08
Die „Tochter Silvia mit Vogelkäfig“ von 1907/08Sammlung Eisenberger

1908 entsteht dann mit „Sitzende Nackte“ ein frühes Hauptwerk, das den Vergleich mit Paula Modersohn-Beckers gleichzeitiger trockener Hautmalerei nicht scheuen muss und das den ersten Skandal in ihrer Biographie verursacht, weil Frauen schicklicherweise keine Akte malen sollten – als offizieller vorgeschobener Grund war auch zu hören, die Nackte sei stilistisch zu nahe an Klimts Bildern. Dabei setzt sie den Akt nach heutigem Ermessen vollkommen harmlos ins Profil, ein warmes weiches Licht spielt auf dem Körper des Modells und bringt die modern wirkende Unterteilung des Hintergrunds in große goldfarbene und weiß-graue Farbkuben zum Leuchten.

„Selbstbildnis im japanischen Kimono“

Weit subtiler als die „Sitzende Nackte“ war jedoch Koller-Pinells frontales „Selbstbildnis im japanischen Kimono“ drei Jahre zuvor, ein Meisterwerk in Komposition und Farbgebung. Dieses Selbstporträt von 1905 irritiert zuallererst mit seinem harten Kontrast aus schwarzem Kimono und weißem Hintergrund, mithin den japanischen Grundfarben.

Auch der strenge Gesichtsausdruck der eher thronenden als sitzenden Künstlerin lässt den Blick nicht leicht ins Bild gelangen. Bald aber entdeckt man in der rauen, wenig einladenden Form bemerkenswerte Kniffe. Die Prinzessin-Leia-Frisur mit den ausladenden Haarschnecken zu beiden Seiten schimmert in derselben Schwarztönung wie der seidene Kimono, weist aber rote und grüne Glanzpunkte auf, letzteres von den Bändern in Ihrem Haar, während das japanische Gewand blaue Reflexe im Stoff zeigt, die von ihrem Rock stammen, der aus einem wie eine Stufenpyramide getreppten Tiefblau besteht.

Darüber liegt ein karmesinrotes grobstofflicheres Oberteil, worunter wiederum ein grauer Seidenstoff in der Halspartie hervorblitzt. Diese matroschkaartige Staffelung von Farben, Textilien und Stofflichkeiten wiederholt sich im Hintergrund, der auf den ersten Blick reinweiß wirkt, de facto aber hinter der Malerin grau-weiß gestreift ist und über ihren Schulterpartien zahlreiche Übermalungen und ein Gelb im Untergrund durchscheinen lässt.

Selbstbildnis von Broncia Koller-Pinell, um 1905
Selbstbildnis von Broncia Koller-Pinell, um 1905Landessammlungen NÖ

Vielleicht wegen dieses monumental und doch grundehrlich wirkenden Selbstbildnisses häufen sich in den nächsten Jahren die Porträtaufträge, doch bildet sie auch ihre Mutter à la Klimt und den Malerfreund Heinrich Schröder ab, der zeitweise gar in der Villa wohnte. Erste Ankäufe von Museen erfolgen, die Ausstellung in der Galerie Heinrich Miethke, der auch als Erster in Österreich Van Gogh ausstellt, verkauft recht gut; der Einfluss der einmal gesehenen, hernach unhintergehbaren Bilder des holländischen Prä-Expressionisten auf Koller-Pinell bleibt nicht aus und schlägt sich alsbald in wild gestrichelten Kornfeldern, Landschaften und Himmeln nieder („Die Ernte“, 1908). In der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre lassen sich auch deutlich neusachliche Tendenzen in ihrem Œuvre erkennen.

Den räumlichen Nachteil des schlauchigen und fensterlos-ungegliederten Belvedere-Saals für die Ausstellung vermögen die Kuratoren Katharina Lovecky und Alexander Klee fast auszugleichen, indem sie die Bilder durch farbige Hinterlegungen rhythmisiert an die Wände bringen und das ebenso wissensnötige wie aufschlussreiche Netzwerk Koller-Pinells schwebend in die Raummitte hängen, sodass ein fesselnder Parcours entsteht.

Gingen doch starke Inspirationen und Wechselwirkungen mit Koller-Pinells Werk von so unterschiedlichen Künstlern wie Robin Christian Andersen, dem stilistisch einflussreichen Anton Faistauer, dem Doyen des Phantastischen Realismus’ Albert Paris Gütersloh, dem frühen Karl Hofer, eben Koloman Moser und die geballte Design-Eleganz der Wiener Werkstätten, Egon Schiele, mit dem sie bis zu dessen frühen Tod befreundet ist und den sie gemeinsam mit seiner Frau Edith porträtiert, der Malerfreund Heinrich Schröder sowie Franz von Zülow aus.

Da Kunstliebhaber wegen der Roy-Lichtenstein-Ausstellung derzeit ohnehin nach Wien fahren müssen, liegt der Besuch dieser faszinierenden Schau besonders nahe. Es wäre jedenfalls ein arges Versäumnis, die facettenreiche Broncia Koller-Pinell weiterhin nur von zwei oder drei Bildern zu kennen.