Endlich die Prostata verstehen: Wo sie sitzt, wofür sie gut ist – und wieso häufige Ejakulationen das Organ vor Krebs schützen

Wer «Prostata» hört, denkt meist an Krebs und Blasenprobleme. Dabei könnte man genauso gut an Liebe, Lust und Fruchtbarkeit denken. Ein positiver Blick auf das männliche Fortpflanzungsorgan.

Eva Mell (Text), Anja Lemcke (Infografik) 5 min
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«Nehmen Sie das Ding doch einfach raus. Wofür ist die Prostata überhaupt gut? Die macht doch nur Probleme»: Stephan Roth, Professor für Urologie am Helios-Universitätsklinikum Wuppertal und Autor des Buchs «Der Prostata- und Blasen-Guide», hat immer wieder Patienten, die so reden. Männer, die sofort an Krebs oder zumindest an erhöhten Harndrang denken, wenn sie das Wort Prostata nur hören. Dabei könnten sie genauso gut an Lust und Liebe denken.

Denn die Prostata ist mehr als ein Krebskandidat. Wofür sie gut ist? Sie ist unabdingbar für die Fortpflanzung. Höchste Zeit für einen positiven Blick auf ein völlig unterschätztes Körperteil des Mannes.

Ein walnussgrosses Organ unter der Blase

Man könnte sie fast übersehen, die Prostata. Klein wie eine Walnuss und nur etwa 20 Gramm leicht, sitzt sie direkt unter der Harnblase. «Sie sieht ein wenig aus wie ein Flusssystem, das man vom Flugzeug aus beobachtet – mit einem grossen Hauptfluss und vielen kleinen Nebenflüssen»: So beschreibt es George Thalmann, Professor für Urologie am Berner Inselspital und ehemaliger Präsident der Schweizer Gesellschaft für Urologie. Der Hauptfluss ist die Harnröhre, um die sich die Prostata ringförmig schliesst. Die Nebenflüsse sind die feinen Drüsen, die aus der Prostata in die Harnröhre münden.

Die Harnröhre nutzen Blase und Prostata gemeinschaftlich. Es ist ein Musterbeispiel fürs gelingende Teilen: Fliesst Urin, hält die Prostata still. Steht der Samenerguss bevor, verschliesst ein Muskel die Blase. Dann produziert die Prostata ein Sekret, das die Harnröhre durchspült und von Resten des sauren Urins befreit: den Lusttropfen.

Und nun geht es los: Aus den Samenleitern gelangen die Spermien aus den Hoden in die Harnröhre. Auch die Samenbläschen leiten eine Flüssigkeit hinein – und aus den Drüsen der Prostata gelangt ebenfalls ein Sekret dorthin.

Die Prostata

Die Prostata

All diese Zutaten werden in der Harnröhre wie in einem Küchenmixer vermischt, bevor sie hinausgeschleudert werden. Die Spermien machen übrigens höchstens 5 Prozent dieses Cocktails aus. 65 Prozent der Flüssigkeit stammen aus den Samenbläschen und 30 Prozent aus der Prostata. Ohne die Sekrete wäre die Befruchtung schlicht nicht möglich.

Wozu es so viel Beigemisch braucht? Die Antwort ist einfach: Die Spermien haben einen weiten und beschwerlichen Weg vor sich. Und was benötigt man auf einer langen Reise? Genau: Proviant, Treibstoff und einen Erste-Hilfe-Koffer.

Ohne Prostata-Sekret keine Befruchtung

Den Proviant bietet die Flüssigkeit aus den Samenbläschen. Sie enthält energiereiche Fructose, von der die Spermien auf ihrem Wettrennen bis zur Eizelle zehren. Dieses Rennen zieht sich mitunter lange hin. Rund eine Woche lang können die Spermien dank ihrem Reiseproviant überleben – damit erhöht sich die Chance, dass sie auf eine befruchtungsfähige Eizelle treffen.

Ein Inhaltsstoff aus dem Prostata-Sekret, das Spermin, schützt die DNA der Samenzellen vor Schäden. Es ist so etwas wie der Erste-Hilfe-Kasten, mit dessen Hilfe die Reisenden gesund bleiben. Zugleich bietet es eine Art Treibstoff, denn es löst die Bewegungen der Spermien aus. Aber nur dank dem prostataspezifischen Antigen PSA haben die Spermien auch wirklich freie Fahrt: Dieses Eiweiss aus dem Sekret der Prostata verflüssigt das Ejakulat und den Schleim in der Gebärmutter. Dadurch kommen die Spermien ans Ziel.

Auf ein Organ, das den Cocktail für die Fruchtbarkeit mixt, will Mann doch nun wirklich nicht verzichten. Aber der Patient, den der Urologe Stephan Roth zitiert, hat ja durchaus recht: Die Prostata kann Probleme bereiten. Zu den häufigsten gehören laut dem Professor für Urologie: ein schwacher Harnstrahl, häufiger Harndrang mit nur geringen Mengen Urin, Blasenentzündungen.

Wenn die Prostata Probleme macht

«Wenn ein Patient solche Symptome schildert, kann das an einer vergrösserten Prostata liegen», sagt Stephan Roth. Und eine wachsende Prostata ist keine Seltenheit. Bei den meisten Männern wird das Organ mit zunehmendem Alter grösser – im Extremfall so gross wie eine Grapefruit. Warum das so ist, ist laut Stephan Roth und George Thalmann noch weitgehend unklar. Wahrscheinlich spielt die Balance der Hormone eine Rolle.

Die gute Nachricht: Eine grosse Prostata kann völlig unauffällig bleiben. Wächst sie nach aussen, verursacht sie keine Beschwerden. Doch engt sie die Harnröhre ein, kann die Blase ihren Job nicht mehr erledigen.

Das Abflussrohr für den Urin wird dann so eng, dass der Blasenmuskel schwer arbeiten muss, um wenigstens geringe Mengen hindurchzupressen. Womöglich bleibt dabei Restharn in der Blase zurück. In diesem stehenden Gewässer aus Urin können sich Bakterien vermehren – es kommt zu Blasenentzündungen.

Die vergrösserte Prostata

Die vergrösserte Prostata

Das ist lästig, aber behandelbar, zum Beispiel mit Medikamenten. Über die Therapie entscheiden Arzt und Patient im Einzelfall.

Nicht immer ist das Organ schuld

Weil die Prostata aber ein Image als Problemorgan hat, meinen Stephan Roths und George Thalmanns Patienten auch bei vielen anderen Blasenproblemen, die Ursache liege im Fortpflanzungsorgan.

Zum Beispiel vermuten immer wieder Patienten von Stephan Roth Prostataprobleme, wenn sie nachts ungewöhnlich viel Wasser lassen müssen. «Das kann aber auch andere Ursachen haben», sagt der Urologe und erklärt: «Das kann zum Beispiel daran liegen, dass die Männer Atemaussetzer und dadurch einen gestörten Schlaf-wach-Rhythmus haben. In der Folge haben sie einen Mangel an einem Hormon, das während des Schlafs die Harnausschüttung hemmt.» Die Prostata ist also längst nicht immer schuld.

Am besten ist es natürlich, das Fortpflanzungsorgan mixt einfach Ejakulat und bleibt im Übrigen absolut unauffällig. Und der gesundheitsbewusste Mann kann tatsächlich etwas tun, um seine Prostata zu schützen.

Ejakulieren schützt die Prostata

George Thalmann und Stephan Roth empfehlen vor allem eine gesunde, ausgewogene Ernährung, zum Beispiel die mediterrane Diät, die vor Krebs schützen könne. Und sie haben noch einen Tipp: häufiges Ejakulieren.

Tatsächlich zeigten zwei Studien aus den USA einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Samenergüsse und dem Krebsrisiko: Wer gemäss eigenen Angaben regelmässig und oft ejakulierte, erkrankte seltener an Prostatakrebs.

Natürlich sind solche Ergebnisse, die auf Selbstangaben beruhen, mit Vorsicht zu geniessen. George Thalmann gibt zu bedenken: «Nirgends wird so viel gelogen wie bei der Sexualität.» Doch er fügt hinzu: «Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft scheinen häufige Ejakulationen vor Prostatakrebs zu schützen.» Stephan Roth lässt sich auf Grundlage der bisherigen Studien gar zu einer Zahl hinreissen: «15 Samenergüsse pro Monat sind sicher besser als nur 5.»

Warum das so ist, muss die Forschung erst noch beantworten. Stephan Roth: «Es gibt bis anhin zum Beispiel die Stagnationshypothese. Sie besagt, dass die Prostata sozusagen in ihrem eigenen Gift ertrinkt, wenn die Flüssigkeit nicht regelmässig ausströmt.» Und George Thalmann sagt: «Mir erzählen immer wieder Patienten, dass ihre Ejakulation mit Schmerzen einhergeht, wenn sie länger keine mehr hatten. Das könnte für diese Hypothese sprechen. Eventuell kommt es zu einem Sekretstau.»

Wer die Prostata schützen will, sollte sie also nutzen.

Nebenwirkungen der Prostata-Operation

Und was wäre, wenn Stephan Roth die Prostata seines Patienten tatsächlich einfach entfernen würde? «Man sollte immer nur operieren, wenn es sein muss», sagt er und fügt hinzu: «Glauben Sie keinem Handwerker – und das sind operierende Urologen –, wenn er sagt, da passiere nie etwas. Bei allen Operationen bleibt ein Restrisiko.»

Zu möglichen Nebenwirkungen zählen der Verlust der Zeugungsfähigkeit und Inkontinenz, also ein unkontrollierter Urinabgang. Bei einer Radikaloperation kann es zu einer Beeinträchtigung der Erektionsfähigkeit kommen.

Wenn möglich, sollte die Prostata bleiben, wo sie ist. Denn sie macht beileibe nicht nur Probleme. Im Gegenteil: Sie sorgt gemeinsam mit dem komplexen Beckenboden unermüdlich dafür, dass Mann sich nicht nur möglichst wenig mit seinem Untenrum beschäftigen muss, sondern auch mit Freude zum Erhalt der Menschheit beiträgt.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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