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Bildung Duale Ausbildung

„Meine Berufsschule hinkt etwa ein Jahrzehnt hinterher“

Wirtschaftsreporterin
Berufsschüler Jonas Lohrmann: Hier, in seinem Lehrbetrieb, findet der 19-Jährige bessere Bedingungen vor Berufsschüler Jonas Lohrmann: Hier, in seinem Lehrbetrieb, findet der 19-Jährige bessere Bedingungen vor
Berufsschüler Jonas Lohrmann: Hier, in seinem Lehrbetrieb, findet der 19-Jährige bessere Bedingungen vor
Quelle: WELT/Jonas Lohrmann
Deutschlands duale Berufsausbildung galt einst als weltweites Erfolgskonzept. Doch mittlerweile hängt etwa die digitale Ausstattung an den Berufsschulen oft um viele Jahre hinterher. Die Erfahrungen des 19-jährigen Jonas Lohrmann zeigen, wie groß die Probleme vor Ort sind.
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Jonas Lohrmann pendelt zwischen zwei Welten. Sein Ausbildungsbetrieb Agrofert in Lutherstadt Wittenberg ist modern ausgestattet: Server, Storage-Technologien, IT-Sicherheit – alles auf dem neusten Stand der Technik. Sechsmal im Jahr steht für Lohrmann Blockunterricht in der Berufsschule in Halle auf dem Programm. Dann unternimmt der angehende Fachinformatiker für Systemintegration eine Zeitreise in die Vergangenheit.

„Die technische Ausstattung meiner Berufsschule hinkt etwa ein Jahrzehnt hinterher“, klagt Lohrmann. Jeweils zwei bis drei Schüler müssten sich einen veralteten Windows-7-Rechner teilen. Die Software würde in keinem Unternehmen so mehr verwendet.

„Die Lehrer bitten uns, wenn möglich, modernere Laptops aus den Betrieben mitzubringen“, berichtet der 19-Jährige. „Die nächste Hürde ist es dann, auf diese Laptops die behandelten Aufgaben aufzuspielen. Wir haben in der Schule noch immer kein WLAN.“

Kein WLAN, veraltete Hard- und Software – und auch die Aufgaben selbst sind längst nicht mehr aktuell. Seit August 2020 ist eine neue Ausbildungsordnung für IT-Berufe in Kraft – die passenden Lehrmaterialien aber fehlen noch. Das neue Arbeitsheft, indem die Klasse eigentlich schon seit August arbeiten sollte, soll nun erst im April erscheinen. Dann beginnen allerdings schon die Abschlussprüfungen.

Der Fall Lohrmann zeigt, was schiefläuft an Deutschlands Berufsschulen. Er wirft all die Fragen auf, die Bildungsforscher, Arbeitgebervertreter und Gewerkschaften seit Jahren stellen.

Wie katapultieren wir die duale Berufsausbildung, die einst weltweit als Vorzeigemodell galt, in die Moderne? Wie machen wir Ausstattung, Materialien und Lehrpersonal fit für die Zukunft? Wie wird die zweigleisige Ausbildung – im Betrieb und in der Berufsschule – für Jugendliche wieder attraktiver?

Immer mehr Jugendliche machen Abitur

Ende September waren nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit bundesweit noch über 73.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Und das, obwohl das Stellen-Angebot seit Jahren schrumpft und viele Betriebe angesichts fehlender Bewerber gar nicht mehr ausbilden.

So sank die Zahl neuer Ausbildungsverträge bis 2022 auf 470.000, rund 14 Prozent weniger als noch zehn Jahre zuvor. Immer mehr Jugendliche machen Abitur, immer mehr von ihnen zieht es an die Hochschulen. Die mangelhafte Ausstattung von Berufsschulen ist keine gute Werbung für einen dualen Weg.

„Auf nur einem Bein kann die duale Ausbildung nicht stabil stehen“, kritisiert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Achim Dercks. Leider würden die Berufsschulen in der politischen Diskussion oft vernachlässigt.

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„Die digitale Ausstattung ist vielerorts sehr rückständig, manchmal auch so gut wie gar nicht vorhanden.“ Sie sei allerdings neben qualifizierten Lehrkräften, verlässlichem Support und modernen Lernmedien zentral, um auch in Zukunft die nötigen Fachkräfte auszubilden.

Dercks fordert von der Politik vor allem mehr Geld. Die digitale Ausrüstung müsse ein zentrales Element des im Koalitionsvertrag angekündigten Pakt für Berufsschulen, genau wie im Digitalpakt 2.0 sein.

„Anstelle von unverbindlichen Gesprächszirkeln brauchen die Berufsschulen Investitionen, Innovationen und konkrete Maßnahmenpakete, die sie dabei unterstützen, zukünftig überall im Land technisch auf der Höhe zu sein.“

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Schüler geben Berufsschulen schlechte Noten

Große Mängel in der digitalen Ausstattung ihrer Berufsschulen beklagen auch die Auszubildenden selbst. Im aktuellen Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) vergeben vier von zehn Lehrlingen bundesweit dafür lediglich die Schulnoten „ausreichend“ und „mangelhaft“. Kein Wunder, dass sich mehr als ein Drittel auch insgesamt schlecht auf den Umgang mit digitalen Medien vorbereitet sieht.

So ergeht es auch Jonas Lohrmann. „Ich fühle mich mit meiner Ausbildung nicht bereit, ins Berufsleben zu starten“, sagt er. Er könnte sich vorstellen, SAP-Entwickler zu werden, hat darüber in seinem Betrieb und in Internet-Kursen auch einiges gelernt.

„Im Unterricht an der Berufsschule aber ist das Wort SAP nicht ein einziges Mal gefallen. Es steht nicht im Ausbildungsrahmenplan.“ Lohrmann überlegt deshalb nach der Ausbildung das Fachabitur nachzuholen und ein Informatik-Studium abzuschließen, bevor er in seinen Betrieb zurückkehrt.

„Sein Betrieb“ ist Agrofert Deutschland, ein führender Anbieter für Agrochemie. Lohrmann lernt im Wittenberger Datacenter des Unternehmens, in dem rund 30 IT-Spezialisten angestellt sind. Dort fühle er sich sehr wohl, habe aber auch gemerkt, wie viel Fachwissen ihm noch fehle.

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Im Frühjahr dieses Jahres hatte das Unternehmen einen mehrseitigen Beschwerdebrief an die Berufsschule geschrieben. Sämtliche von den Azubis beklagten Mängel waren aufgelistet.

Förderprogramm Digitalpakt Schule läuft aus

Nun sei Besserung ja auch in Sicht, beteuert Rüdiger Bauch, Leiter der berufsbildenden Schulen Gutjahr in Halle. „Mich ärgert, dass Herr Lohrmann gerade jetzt dieses Thema in den Vordergrund stellt. Das hätte uns vor zwei Jahren mehr genützt“, sagt der. Inzwischen habe seine Schule über Mittel aus dem Digitalpakt 335 Computer erhalten, die in diesen Wochen mit Software bespielt und auf die verschiedenen Räume verteilt würden.

Die Umbauten für die Verkabelung der Schulgebäude liefen auf Hochtouren. „Ich hätte mir das auch schneller gewünscht“, sagt Bauch. Aber aufgrund der Millionen-Investitionen von Stadt, Land und Bund seien umfangreiche Ausschreibungen erforderlich gewesen.

Sorgen macht sich Bauch jetzt über die Anschlussfinanzierung für die schöne neue Technik. „Alles, was hier eingebaut und geliefert wird, ist in spätestens fünf Jahren wieder alt.“

Das Förderprogramm Digitalpakt Schule, mit dem Bund und Länder seit 2019 insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt haben, läuft im Mai kommenden Jahres aus. Ob es angesichts der aktuellen Haushaltslöcher einen Digitalpakt 2.0 geben wird, ist fraglich.

Jonas Lohrmann wird von den Mitteln ohnehin nicht mehr profitieren. Die Arbeiten zur Verkabelung von Haus B, in dem sein Unterricht stattfindet, sollen erst im April kommenden Jahres abgeschlossen sein.

Schulleiter Bauch gibt sich dennoch optimistisch. „Wir haben unseren Schülern in der Vergangenheit auch mit alter Technik eine qualitativ hochwertige Ausbildung ermöglicht, wie deren guten Ergebnisse in den Kammerprüfungen zeigen.“

„Neuste Technik und ein tatsächlicher Sinn in der Praxis“

Auf gute Ergebnisse hofft auch Jonas Lohrmann. Er geht die Dinge gründlich an und hat viel Disziplin. In seiner Schulzeit saß er bis zu fünf Stunden pro Tag am Klavier, gewann Regional- und Landes-Wettbewerbe bei Jugend musiziert.

Covid machte ihm bei internationalen Anschluss-Wettbewerben einen Strich durch die Rechnung und Lohrmann wandte sich seiner zweiten großen Leidenschaft zu: der IT. „Ich hatte ein kleines Programm geschrieben und habe mich damit beim Wittenberger Data Center beworben.“

In diesen Wochen lernt Lohrmann für seine Prüfungen und freut sich auf sein Abschlussprojekt bei Agrofert. Er soll helfen, eine Software zu programmieren, die eine zentrale Anmeldung auf unterschiedlichen Firmenservern ermöglicht. „Neuste Technik und ein tatsächlicher Sinn in der Praxis, besser geht es nicht“, findet Lohrmann.

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