Nach Inter, HDI und Nürnberger

Liegt der Ausschließlichkeitsvertrieb wieder im Trend?

Mehrere Versicherer werben aktuell offensiv um neue Vertreter, andere bemühen sich im Stillen um eine Stabilisierung ihrer AO. Ist der Exklusivvertrieb trotz sinkender Vermittlerzahlen und schlechtem Image im Aufwind?

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17:04 Uhr | 08. April | 2024
Liegt bei den Versicherern der Ausschließlichkeitsvertrieb wieder im Trend?

Ein Bild aus vergangenen Zeiten oder ein Blick in die Zukunft? Nachdem Versicherungsvertreter lange als aussterbende Art galten, befindet sich der Exklusivvertrieb mittlerweile bei vielen Versicherungsunternehmen wieder im Aufwärtstrend.

| Quelle: Hispanolistic

Es ist ein Paradoxon, dass sich gerade in der Versicherungsbranche abspielt. Mittendrin: Der Exklusivvertrieb der Unternehmen, also die klassischen Versicherungsvertreter. Seit über zehn Jahren sinkt die Anzahl der registrierten Versicherungsvermittler, wobei dieser Schwund quasi allein auf das Konto der Vertreter geht. Das hat verschiedene Gründe – unter anderem haben viele Versicherer in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um im Maklervertrieb zu wachsen, etwa durch den Ausbau der Betreuung für die ungebundenen Vermittler. Wer von außen auf die Branche blickt, mag zudem an die jährlichen Umfragen denken, wonach Versicherungsvertreter unter allen Berufen regelmäßig das niedrigste gesellschaftliche Ansehen genießen. Etwas provokant könnte man sagen: Es ist ein Job, den immer weniger Menschen attraktiv finden und das sieht man auch an den Zahlen.

Das Paradoxe ist nun, dass seit etwa einem Jahr mehrere Versicherer den ambitionierten Plan verfolgen, in diesem personellen Ödland wieder zu wachsen. Konkrete Beispiele sind die Inter und die Nürnberger, die jeweils im dreistelligen Bereich Agenturen zubauen wollen – über die Pläne beider Versicherer hatte procontra jeweils exklusiv berichtet.

HDI will auf drei Säulen wachsen

Auch HDI Deutschland hatte vor rund einem Jahr Wachstumspläne im Bereich der Ausschließlichkeitsorganisation (AO) verkündet. Konkrete Zahlen wollte man nun auf unsere Nachfrage zwar nicht mitteilen, man befinde sich jedoch auf einem guten Weg und sei zufrieden mit den Entwicklungen.

Doch wie kommt die HDI an die neuen Leute, wenn die Vermittlerzahl allgemein sinkt und noch andere Anbieter auf der Pirsch sind? „Wir stärken unseren Exklusivvertrieb durch Zubau aus den eigenen Reihen mit gezielten Bindungskonzepten“, antwortete uns ein Sprecher. Und: „Natürlich gehören auch Anwerbungskonzepte für branchenerfahrene wie auch Angebote für Quereinsteiger dazu.“ Es wird also durchaus versucht, Vertreter von anderen Versicherern abzuwerben. Ein Konkurrenzkampf, den auch der Nürnberger Vertriebsvorstand Andreas Politycki kürzlich im procontra-Interview betonte. Und der HDI-Sprecher sagte: „Der Markt ist in Bewegung und das merken wir auch." Deshalb würde man die eigenen Vertreter beim Auf- oder Ausbau ihrer Agentur bei Bedarf „an die Hand nehmen“ oder bei ihrem wichtigen Schritt ins Unternehmertum eng begleiten.

Aber handelt es sich bei HDI, Nürnberger und Inter nun um Einzelfälle oder sind ihre Pläne exemplarisch für einen AO-Aufwärtstrend innerhalb der Versicherungsbranche? Unsere Redaktion hat verschiedene Hinweise dazu erhalten, welche weiteren Versicherer sich derzeit im Wettkampf um neue Vertreter engagiert sein sollen. Deshalb haben wir bei BGV, Gothaer, Helvetia, Provinzial, Versicherungskammer Bayern und Zurich nachgefragt. Die BGV wollte unsere Fragen aber lieber nicht beantworten und von der Helvetia haben wir auf unsere Anfrage überhaupt keine Reaktion erhalten.

Von den übrigen vier Unternehmen formuliert zwar keines so eindeutige aktuelle Wachstumsziele wie HDI, Inter und Nürnberger. Am „war for AO-talents“ nehmen sie aber ganz offensichtlich teil. So sagten uns Gothaer (derzeit rund 1.500 Vertreter), Provinzial (rund 1.300) und VKB (keine Angabe), dass es ihr Ziel ist, die aktuelle Personenstärke im Exklusivvertrieb stabil zu halten. Die VKB verweist in diesem Zusammenhang auf die allgemeine Entwicklung der AO in der Branche sowie die Herausforderung des demografischen Wandels. Bei der Gothaer könne die Anzahl der Vertreter nur gehalten werden, weil jährlich rund 100 neue Kolleginnen und Kollegen hinzukommen würden. „Damit gleichen wir die Fluktuation durch Demografie und andere wirtschaftliche Faktoren erfolgreich aus“, sagte Michael Biermann, Leiter Vertragsmanagement und Vertriebsakademie im Vertrieb der Gothaer.

Die Zurich (rund 1.500 Vertreter) konstatierte, sie wachse schon seit 2017 in der AO und habe bisher jährlich um zwei bis drei Prozent zugelegt. „Wir verfolgen kein Wachstum rein auf Vertriebsköpfe“, erklärte Kai Müller, Bereichsvorstand Zurich Exklusivpartner und Maklervertrieb, auf procontra-Nachfrage. Vielmehr seien Qualität und Produktivität der Vermittler entscheidend. So oder so ähnlich ist es auch von den anderen befragten Versicherern zu hören. Zwar sei es grundsätzlich nicht leicht, genügend neue Leute zu finden, lautet der Tenor. Mit dem Image des Vermittlerberufs habe das aber nichts zu tun, geben sich alle Versicherer überzeugt.

Nur eine kurzfristige Schönung der Vertriebszahlen?

Doch wo kommt er eigentlich her, der neue Aufwärtstrend für die AO? Aus Führungskreisen innerhalb der Versicherungsbranche konnte procontra vernehmen, dass die abrupten Aktionen mehrerer Versicherer auf die zuletzt stark gestiegenen Schadenkosten zurückzuführen sind. Zum einen sei die AO aufgrund geringerer Provisionssätze einfach günstiger als das Maklergeschäft, so die Hinweise. Und zum anderen würde ein Ausbau des Exklusivvertriebs mehr Stabilität und Planbarkeit für die Vertriebszahlen versprechen.

Aber stimmt das denn? Geht es beim aktuellen AO-Aufwärtstrend mehr um Kennzahlen als um den Vertriebsweg an sich? Eine Nachfrage, die alle Versicherer ausweichend bis gar nicht beantworten. Am klarsten formuliert es noch die Gothaer: „Ein eigener Exklusivvertrieb ist für einen Versicherer eine verlässliche, planbare und loyale Größe.“ Laut der HDI spielt der genannte Aspekt beim AO-Ausbau keine Rolle. Zudem sprechen alle von procontra befragten Versicherer in Bezug auf die AO von einem zukunftsträchtigen Vertriebsweg.

Ob der Aufwärtstrend in der AO also bereits die ganze Branche erreicht hat und ob es bald wieder deutlich mehr Versicherungsvertreter geben wird, lässt sich nicht eindeutig sagen. Zumindest ein erster Ausschlag ist aktuell bereits auszumachen: Im ersten Quartal 2024 ist die Gesamtzahl der Versicherungsvertreter um rund 400 Personen gestiegen.