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Kultur So war der Sonntagabendkrimi

Nach diesem „Tatort“ umarmen Sie jeden Baum

Redakteur Feuilleton
Die Kommissarinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) im Unterholz Die Kommissarinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) im Unterholz
Die Kommissarinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) im Unterholz
Quelle: Radio Bremen/Claudia Konerding
Im deutschen Wald möchte man lieber nicht ausgesetzt werden, wenn man die letzten Sonntagabendkrimis gesehen hat. Sieht gut aus, birgt aber Horror. Der neue Bremer „Tatort“ heißt „Angst im Dunkeln“ und verschärft die Furcht vorm finsteren Gehölz.

Vielleicht erklären wir – bevor wir uns im Dickicht dieser Geschichte verlaufen – erst einmal, was Dropping ist. Damit geht der neue Bremer „Tatort“ los, der „Angst im Dunkeln“ heißt (aber, das vorweg, keine macht). Also. Für mehr oder weniger wohlstandsverwahrloste und naturentwöhnte Jugendliche ist Dropping wohl eine relativ angesagte Methode.

Die werden mit Binden über den Augen in ein möglichst umfangreiches Stück Wald geführt. Zelte haben sie dabei und Schlafsäcke und Wasser. Nicht dabei haben sie irgendwelche elektronischen Hilfsmittel zur Orientierung und so. Und dann werden sie allein gelassen. Müssen sich finden und zurückfinden in die Zivilisation.

Aus ziemlich unerfindlichen Gründen, angeblich, weil sie selbst erst einmal ausprobieren wollen, was sie ihrem Nachwuchs später mal antun, lassen sich nun drei Frauen, Mütter von Jugendlichen kurz vor dem Abitur, im Gehölz an der bremisch-niedersächsischen Grenze aussetzen. Aus ziemlich unerfindlichen Gründen von ihren Kindern.

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Wasser haben die eigentlich gar nicht ziemlich besten Freundinnen durch Piccolo und Whisky ersetzt. Dass eine von ihnen beim Waldbaden buchstäblich in einer verhältnismäßig harmlosen Pfütze ertrinkt, weiß man ziemlich schnell. In einer ziemlich spukigen Ouvertüre begegnet man zwei ziemlich jenseitig aussehenden Frauen im Zelt, ein Schatten huscht vorbei und dann liegt da Marlene am Boden mit Schaum vor dem Mund. Für mehr oder weniger wohlstandsverwahrloste Erwachsene ist Dropping schon mal kein pädagogisches Heilmittel. Eine Mutter ist der anderen Mutter Wölfin. Könnte jedenfalls sein.

Um dem Plot von Kirsten Peters seine Vorabendkrimihaftigkeit zu nehmen, wird die Geschichte mit einigem Kunstwollen auf zwei Zeitebenen erzählt, die einem ziemlich schnell auf die Nerven gehen. Auf der einen folgen wir – erkennbar durch Einblendungen wie „36 Stunden vor Marlenes Tod“ – Ayla und Marlene und Viola durch den Wald bis zum Mord. Auf der zweiten – manchmal geradezu mit der Handkante hineingeflanscht – folgen wir den Kommissarinnen Selb und Moormann durch den Morast von Schwachhausen bis zur Aufklärung.

Willkommen in Schwachhausen

Da muss man jetzt nicht lachen. Schwachhausen ist Bremens Hochburg der bildungsbürgerlichen Wohlanständigkeit. Wussten wir selbst nach 27 Jahren Bremer „Tatort“ nicht. Klavier in jedem Wohnzimmer. Alle kennen alle, wohnen neben allen. Gutsituiert hätte man das früher mal genannt.

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Ayla und Marlene und Viola leben da. Marlene weiß immer alles besser, Viola will immer alles wissen, Ayla hat was mit Marlenes Mann. Ist natürlich alles eine neubürgerliche Scheinidylle, horrormäßiger als alles, was einem so im Wald begegnen kann. Kennt man ja. Wenn man nur lange genug Sonntagabendkrimis geschaut hat.

Linda Selb, die aufrechte Rothaarige ohne Furcht und Tadel, hat da selbst mal gelebt. Möglicherweise um unbewusst Schaden von der Scheinidylle Schwachhausens abzuwenden, kapriziert sich Selb nahezu pathologisch darauf, dass Marlene das Opfer des Handymanns ist.

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Der trieb vor acht Jahren im Bremer Wald sein Unwesen, machte Fotos von schlafenden Frauen im Zelt und postete sie herum. Eine Frau ist seitdem verschwunden. Behrens heißt der Mann. Er sieht angemessen zwielichtig aus. Und wohnt in einem Haus mit fabelhafter Fototapete im Keller – einem archetypischen Bremer Wald.

Die Fortschritte der Gehölzfotografie durch die fortschreitende Perfektionierung von Kameradrohnen konnte man schon im jüngsten Brandenburger „Polizeiruf“ bewundern. Auch da stand der Wald starr und schweigend und schaute zu, wie sich Menschen in ihm zum Wildschwein machten. Insofern hat der Sonntagabendkrimi-Koordinator der ARD „Angst im Dunkeln“ einen Bärendienst erwiesen, als er eine Waldgeschichte auf eine andere Waldgeschichte folgen ließ.

Richtig glücklich wird man weder in Bremen noch in Brandenburg mit dem, was da aus dem Unterholz der deutschen Gegenwart auf den Bildschirm gebracht wird. „Angst im Dunkeln“ verläuft sich so lang im Gehege seiner Subgeschichten, bis man trotz aller Bemühungen der bemitleidenswerten Darsteller das letzte Interesse an dieser Mischpoke verloren hat.

Man möchte, wenn es vorbei ist und selbst mitten in der Nacht, raus in den nächsten Wald. Einen Baum – Kiefer, Buche, Birke, wurscht, welchen Stamm – umarmen. Die haben wenigstens Charakter.

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