Joseph ist ein lebhafter, aber manchmal auch ängstlicher Hund. Schon bei Temperaturen ab 20 Grad bekommt die sechsjährige Englische Bulldogge Atemprobleme. Der vierjährige Jackie, ein Staffordshire-Boxer-Mix, hat dagegen mit blutigen Ohrrändern zu kämpfen.
Hui-Buh hat solche Probleme mit ihrem gesamten Bewegungsapparat, dass der siebenjährige Pocket-Bulli-Mix Schmerzmittel nehmen muss. Der dreijährige Border-Terrier Beppo muss medikamentös eingestellt werden, weil er unter Epilepsie leidet. Und Staffordshire-Boxer-Mix Tayler hat schwere Knieprobleme und ein sehr krankes Herz.

Hunde mit dysfunktionaler Anatomie

Alle diese Hunde leiden an chronischen Krankheiten, leben im Tierheim Berlin und suchen wie derzeit rund 270 ihrer dortigen Artgenossen pfötchenringend ein neues Zuhause.
Die Pfleger aus dem Tierheim in Falkenberg versuchen nicht nur, ihre Schützlinge an kompetente Menschen zu vermitteln, die wirklich gut für sie sorgen können, sondern wollen auch die Bevölkerung aufklären, was sogenannte Qualzuchten, illegaler Welpenhandel sowie Haltungsfehler Schlimmes anrichten können.

„Die Natur hat den Wolf perfekt eingerichtet“

Dabei arbeiten sie unter anderem mit dem Tierpathologen Professor Achim Gruber zusammen. Der Direktor des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin hat immer wieder Hunde mit völlig dysfunktionaler Anatomie auf seinem Seziertisch zu liegen und berichtet seit kurzem auch im Rahmen der neuen öffentlichen Vortragsreihe „Heimtierrunden“ über seine Erkenntnisse.
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„Von 356 internationalen Hunderassen machen uns mindestens 80 Prozent große Sorgen“, sagt der Tierpathologen. Was die Natur in Sachen Gesundheit perfekt beim Wolf eingerichtet hat, habe der Mensch insbesondere in den letzten Jahrzehnten durch extreme Zucht auf Extravaganzen wie besonders große und kleine Hunde, extrem kleine Nasen oder bunte Farben sehr krank und kaputt gezüchtet.
Hui-Buh aus dem Tierheim Berlin hat aufgrund seiner unnatürlichen Züchtung große Probleme mit dem gesamten Bewegungsapparat, so dass der siebenjährige Pocket-Bulli-Mix Schmerzmittel nehmen muss.
Hui-Buh aus dem Tierheim Berlin hat aufgrund seiner unnatürlichen Züchtung große Probleme mit dem gesamten Bewegungsapparat, so dass der siebenjährige Pocket-Bulli-Mix Schmerzmittel nehmen muss.
© Foto: Clara Rechenberg/Tierheim Berlin
Gruber spricht von 80 Nebenwirkungen dieses Zuchtverhaltens. Dazu gehören unter anderem sehr früher Tod der Hunde, verschiedene Krebs-Arten, Atemprobleme, Bandscheibenvorfälle. „Manche Hunde leiden an Magenblähungen, die innerhalb von Sekunden zum Tod führen können“, erklärt der Experte.
Bei den sogenannten Verzwergungen passten zudem die Organe nicht mehr zusammen, die besonders kleinen Hunde entwickelten Kniescheiben-Verlagerungen, Zahnwechselstörungen, Herz- und Leber-Krankheiten sowie Allergien.
„Die Menschen behandeln die Tiere dabei wie Produkte, deren Design man wie bei der Handyhülle einfach mal ändern kann“, beklagt der Wissenschaftler. Dazu gehörten unter anderem Farbvarianten, die in Wirklichkeit genetische Defekte sind.

Bulldoggen als Baby-Ersatz

Dazu gibt es bei den Hundefans immer neue Trends. Gruber zeigt das Bild einer Französischen Bulldogge, die gänzlich ohne Fell von ihrem Besitzer wie ein menschliches Baby auf dem Arm gehalten wird. Diese Tiere seien völlig hilflos, denn Bedürftigkeit bei Hunden sei ein unbewusstes Zuchtziel geworden, um das Pflegebedürfnis des Menschen zu befriedigen, berichtet Gruber. Der Hund auf dem Bild hat auch vorne keine Zähne, weshalb ihm ständig die Zunge aus dem Maul hängt. Durch seine Felllosigkeit leide er zudem unter Hautproblemen.
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„Vor 150 Jahren waren Hunde noch gesund und langlebig“, betont Gruber. „Danach haben wir Reinrassigkeit erfunden. In der Natur gibt es die nicht. Ein reinrassiger Hund ist durchschnittlich sehr viel kränker als ein Mischling. Reinrassigkeit ist also das Gegenteil von Qualität“, erläutert der Veterinärmediziner. Auf einer Zeitschiene mit verschiedenen Hunden und ihrer äußerlichen Veränderung über die Jahrzehnte zeigt Gruber einen Mops von 1940. „Da war er noch ein gesunder Arbeitshund und war faltenfrei. Schon die alten Chinesen wussten, wenn ein Mops Falten hat, müsste ich ihn eigentlich aus der Zucht nehmen“, erklärt Gruber.

Dackel brauchen lange Beine

In den 1990er-Jahren hätten dann die Amerikaner mit fünf Sorten Inzucht betrieben. Heraus kamen die Möpse mit viel zu kurzen Nasen, Glubschaugen oder möglichst vielen Falten, die ihr Leben lang unter gesundheitlichen Problemen litten.
Aber auch der Bernhardiner sei vor zweihundert Jahren noch ein super gesunder Rettungshund gewesen, sagt der Autor des Sachbuches „Das Kuscheltierdrama“ und zeigt auf ein Exemplar von 1840. „Dieser Hund hat 42 Menschen das Leben gerettet, das würde ein heutiger, inzwischen viel zu groß gezüchteter Lawinenhund gar nicht mehr schaffen.“ Dackel dagegen brauchen lange Beine, damit sie keine Rückenprobleme bekommen.
Den Tieren werden Mutationen angezüchtet, die man beim Menschen als Missbildungen deklarieren würde, berichtet Gruber, der auch die deutschen Standardwerke zur Tierpathologie mitentwickelt hat und als einziger Tiermediziner ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist.
Inzwischen haben Gruber und seine Mitstreiter rund 800 verschiedene Erbkrankheiten ausgemacht. „Kein Tier wurde so krank gezüchtet wie der Hund“, ist sein trauriges Fazit. Trotzdem mag Gruber das Wort „Qualzucht“ nicht verwenden, denn eine Absicht der Züchter, die Tiere bewusst quälen zu wollen, will ich ihnen nicht unterstellen.

Fetisch der Reinrasse-Zucht

Für den Experten liegt der Ausweg darin, die kranken Rassen wieder mit gesünderen Tieren zu kreuzen. „Wir müssen weg von dem Fetisch der Reinrasse-Zucht. Wir können ja alle Rassen erhalten, aber sie müssen wieder etwas anders aussehen dürfen, um gesund zu werden.“
Für Gruber verstoßen viele der jetzigen Rassestandards eindeutig gegen das deutsche Tierschutzgesetz. „Das ist ein schwerer Bruch in der Tier-Ethik, denn die Hunde haben lebenslange Schäden und Schmerzen.“
„In der Novellierung des Tierschutzgesetzes fehlt eine Aufstellung von Fehlstellungen durch Qualzuchten“, kritisiert auch Ariane Kari, Deutschlands erste Beauftragte der Bundesregierung für Tierschutz. „Ein Einfuhrverbot für solche Tiere sucht man vergeblich“, betont die Fachtierärztin.
Der Online-Handel über Social-Media-Plattformen sei nicht verboten. Kari fordert zudem einen Sachkundenachweis für Hundebesitzer schon vor dem Kauf. Mehr Wissen über die Tiere sei auch für die Halter wichtig, denn schließlich koste ein mittelgroßer, nicht gelisteter Hund in seiner Haltung seine Herrchen durchschnittlich 20.000 Euro, so die Tierschutz-Beauftragte.
Weitaus teurer kann es werden, wenn der Hund schon in jungen Jahren krank ist. Eine stationäre Erstversorgung in einer Tierklinik kann laut Tierheim-Experten schon bis zu 120 Euro kosten. Eine Laboruntersuchung mit großem Blutbild bis zu 260 Euro; eine stationäre Klinikbehandlung für einen Welpen mit Pervovirose bis zu 2500 Euro. „Die Impfung gegen diesen hochansteckenden, qualvollen und tödlichen Virus kostet dagegen nur 200 Euro“, erklärt Beate Kaminski, Sprecherin des Berliner Tierheims.

Hunde als Gebärmaschinen

Geld, das sich vor allem viele illegale Welpenhändler sparten, mit häufig fatalen Folgen. Der Deutsche Tierschutzbund geht davon aus, dass jährlich innerhalb der EU etwa eine halbe Million Hunde illegal transportiert werden. Neben reinrassigen Welpen werden vorrangig Mischlinge kleiner Rassen wie Chihuahua, Havaneser, Jack Russell Terrier und Shih Tzu angeboten.
Laut Berliner Tierschutzverein werden ihre Mütter in den Herkunftsländern wie Gebärmaschinen in kleinen Verschlägen gehalten, ohne Tageslicht und soziale Kontakte. Die Hündinnen würden aufgrund ihres Aussehens für die Vermehrung ausgesucht, nicht nach ihrer gesundheitlichen Verfassung.
So leidet ihr Nachwuchs häufig an Erbkrankheiten und Gendefekten. Auch Joseph aus dem Tierheim Berlin hat wegen seiner unnatürlichen Kurzschnäuzigkeit nicht nur bei warmem Wetter Probleme, sondern auch mit Maulkörben, wenn diese seine Atmung beeinträchtigen. „Da er eine Gefahrhund-Einstufung wegen Bissvorfällen hat, ist er jedoch darauf angewiesen“, erklärt Tierheim-Sprecherin Kaminski.
Mittlerweile akzeptiere Joseph seinen Maulkorb. Ansonsten beherrsche der English Bulldog Mix die Grundkommandos, zeige sich im Tierheim wachsam und personenbezogen. „Er liebt es, von seinen Bezugspersonen gekrault zu werden. Er macht dann auf niedlich und weiß die vertrauten Menschen mit seinem Charme zu animieren“, so Kaminski.
Joseph zeigt sich im Tierheim Berlin bei seinen Pflegern sehr personenbezogen. Er bräuchte einen festen Menschen an seiner Seite, der schon Erfahrung mit schwierigen Hunden seiner Rasse hat und ihm klare Führung gibt.
Joseph zeigt sich im Tierheim Berlin bei seinen Pflegern sehr personenbezogen. Er bräuchte einen festen Menschen an seiner Seite, der schon Erfahrung mit schwierigen Hunden seiner Rasse hat und ihm klare Führung gibt.
© Foto: Clara Rechenberg/Tierheim Berlin
Doch mit Aufregung und Stress kann Joseph nur schlecht umgehen, dann kann es passieren, dass er sich zum Beispiel in der Leine verbeißt. „Deshalb suchen wir Menschen, die schon Erfahrung mit schwierigen Hunden und seiner Rasse haben, die ihm eine klare Führung geben, sich an bestimmte Abläufe im Umgang mit ihm halten und ihm die nötige Ausgeglichenheit vermitteln“, erklärt die Tierheim-Sprecherin.
Stufen sollte Joseph nicht laufen müssen, um seinen Bewegungsapparat zu schonen. Sein künftiges Herrchen oder Frauchen braucht zudem eine Erlaubnis zum Halten und Führen von gefährlichen Hunden. „Für eine Familie mit Kindern eignet er sich nicht – eine ruhige Umgebung, ländlich oder am Stadtrand, wäre dagegen ideal.“

Mensch und Tier müssen zusammenpassen

Auch bei der Vermittlung der anderen Tiere schauen die Pfleger genau, ob Mensch und Tier und die jeweiligen Lebensumstände zusammenpassen. Manchmal sind zum Kennenlernen mehrere Besuche im Tierheim nötig. Wer einen Hund mit chronischen Krankheiten aufnimmt, kann diese Zeit seines Lebens in der Tierheim-eigenen Arztpraxis kostenlos behandeln lassen.
Jackie aus dem Tierheim Berlin ist ein lebhafter, menschenbezogener Kerl und lässt sich ruhig an anderen Hunden vorbeiführen.
Jackie aus dem Tierheim Berlin ist ein lebhafter, menschenbezogener Kerl und lässt sich ruhig an anderen Hunden vorbeiführen.
© Foto: Clara Rechenberg/Tierheim Berlin
Mit dieser Strategie wollen die Tierschützer verhindern, dass Hunde wie Joseph, Jacky, Hui-Buh, Beppo und Tayler wegen der Überforderung ihrer Besitzer erneut auf der Straße landen. Sie sollen stattdessen Menschen finden, die ihr Dasein trotz Krankheiten und Probleme wieder lebenswert machen.
Wer einem der Tierheim-Tiere ein neues Zuhause geben will, kann sich unter tierschutz-berlin.de informieren.

Süße Ware, schneller Tod

Absolute Vorsicht bei Welpenhändlern ist geboten, wenn:
1...mehrere unterschiedliche Rassen von einem Verkäufer annonciert werden.
2...Ihnen keine Fragen hinsichtlich Ihrer Tierhaltung, Ihres Wohnumfeldes und Ihrer Lebensumstände gestellt werden.
3...häufig öffentliche Orte zur Übergabe genannt werden und wenn die Übergabe vor einem Haus, einem Parkplatz oder ähnlichem stattfinden soll. Achtung: Mitunter mieten Händler aber auch kurzfristig Wohnungen zum Schein an.
4...das direkte Umfeld, die Schlaf- und Wohnstätten der Tiere unsauber, nicht gesichert und generell ungeeignet erscheinen. (Quelle: Tierschutzverein für Berlin und Umgebung)