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AFFÄREN / OTTO PHILIPP BRAUN Teure Erde

aus DER SPIEGEL 29/1969

Mit seinen Pauken und Trompeten reiste das Heeresmusikkorps 5 vom Standort Koblenz 245 Kilometer weit nach Kassel in die Karolinenstraße.

Aus Baden-Baden kam Brigadegeneral Hans Asmus, aus Bonn der Vortragende Legationsrat Dr. Klaus Leuteritz vom Auswärtigen Amt, aus La Paz, dem Regierungssitz des südamerikanischen Staates Bolivien, war Federico Nielsen-Reyes als Sonderbotschafter herbeigeeilt.

Und der Kasseler Standortoffizier, Korvettenkapitän Christel Ebert, verlas einen »Sonderstandortbefehl« über »Umfang und Zeitfolge des Zeremoniells«, zu dem die Heeresmusiker am letzten Mittwoch das »Volksgebet von Bürke« (Tempo-Anweisung:« Sehr feierlich") und Händels Largo bliesen.

Eine Ehrenwache aus sechs Offizieren der Bundeswehr und ein Ehrenzug, 31 Mann stark, war aufgezogen. Unter Trommelbegleitung ging es --Montur: großer Dienstanzug -- von der Karolinenstraße auf den Kasseler Hauptfriedhof.

Dort hatte tags zuvor General Asmus, Chef der 1. Luftwaffendivision, ungewohnte Handarbeit verrichtet und mit einer Gartenschaufel ein paar Handvoll Friedhofserde in ein Tongefäß (Preis: 200 Mark) gefüllt.

24 Stunden später wandelten sich Erde samt Tontopf unversehens zu einem Stück Geschichte: Die Krumen wurden mit militärischem Glanz zu sterblichen Überresten erklärt -- zu »Resten« des in Kassel 1798 geborenen und dort vor hundert Jahren gestor-

* Hinter der Urne (v. l.): Brigadegeneral Asmus, Boliviens Bann-Botschafter Gustavo Schacón, Sonderbotschafter Reyesbenen Otto Philipp Braun, der es zwischendurch zum bolivianischen Großmarschall gebracht und an der Seite des südamerikanischen Volkshelden Simón Bolivar siegreich gegen die spanischen Kolonialherren gefochten hatte.

Dem Sonderbotschafter Nielsen-Reyes war der Staatsakt nicht neu. Vor 30 Jahren hatte er als Legationssekretär seiner Berliner Gesandtschaft schon einmal ein »Braun-Festival« (so Beamte der Kasseler Stadtverwaltung) mitgemacht -- nur wurde damals »ein dreifaches Sieg Heil auf Deutschland und seinen großen Führer Adolf Hitler« ausgebracht, und die Ehrenwache stellte die SA.

Letzten Mittwoch zitierte Boliviens Bonner Botschafter Gustavo Schacón am Braun-Grab »Einigkeit und Recht und Freiheit«. Als Symbol für solche Werte möchte das bolivianische Militärregime den teuren Toten künftig gern zu Hause haben, und die Regierenden in Bonn fanden, daß -- so AA-Legationsrat Leuteritz -- »mit dieser Geste ein Goodwill erreicht« werden könnte. Leuteritz: »Das zahlt sich aus, das kann man in Geld gar nicht ausdrücken.«

Die Kasseler Stadtväter allerdings empfanden ob der sonderbaren Ausgrabung »Beklemmung«, wie Pressesprecher Hans Pippert formulierte, und Oberbürgermeister Dr. Karl Branner (SPD) distanzierte sich: »In welchem Stil das Verteidigungsministerium das macht, ist nicht unsere Sache.

Der Stil stand in keiner Dienstanweisung. Standortoffizier Ebert, der die Heldenfeier ein ganzes Jahr lang vorbereitet hatte: »Es gibt bei uns noch keine Vorschrift, wie man die Reste rausholt. Wir haben einfach eine zurückgespulte Beerdigung gemacht.

So betete Pfarrer August Kraft: »O Gott, in Gnaden steh' mir bei.« General Asmus salutierte, nahm den nagelneuen Tontopf mit frischer Erdkrume entgegen, übergab ihn dem Urnenträger Oberleutnant Stegmann, und auf ging's zurück zur Friedhofspforte. Standortbefehl: »Musikkorps und Ehrenzug machen rechtsum und präsentieren, Blickwendung. Urnenträger und Brigadegeneral Asmus gehen mit Urne und Ehrenzug und Musikkorps vorbei und besteigen wartenden Pkw. Abfahrt.«

Die Urne auf dem Schoß und nicht im Kofferraum wo sein Fahrer sie verstauen wollte, fuhr Asmus in seinem Dienst-Opel sodann heim ins Stabsquartier.

Am 24. Juli wird er mit einem Lufthansa-Jet nach La Paz fliegen (1.-Klasse-Preis für Hin- und Rückflug: 6456 Mark) und die Kasseler Erde dem bolivianischen Staatspräsidenten Dr. Luis Adolfo Siles Salinas in die Hand drücken.

Oberstleutnant Heinrich Lübbert vom B onner Verteidigungsministerium auf die Frage, was die Erdbewegung alles in allem gekostet habe: »Ich halte das durchaus für vertretbar, selbst wenn es in die Zehntausende ginge.«

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