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Musiker kommt nach Bremen Martynas Levickis: Botschafter und Abenteurer mit dem Akkordeon

Schon als Kind zog Martynas Levickis mit dem Akkordeon durch Litauens Wälder und ahmte Vogelrufe nach. Heute ist der 33-Jährige weltweit Botschafter seines Instruments. Gerade auch für klassische Musik.
06.04.2024, 05:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Sebastian Loskant

Herr Levickis, Sie spannen gerade in einem Ferienhaus in Marbella aus. Sind Sie ein Strandurlauber?

Martynas Levickis: Nein, aber die See und das Klima sind mir wichtig. Ich mag eher einen Erholungsmix, erkunde die Umgebung und die kulturellen Sehenswürdigkeiten. Morgen besuche ich zum Beispiel ein Museum.

Treiben Sie auch Sport?

Nur Yoga, das genügt mir.

Sie sind im klassischen Konzertsaal derzeit der populärste Akkordeonist überhaupt. Treffen Sie noch auf Veranstalter oder Hörer, die sagen: Das ist kein seriöses Instrument, das gehört in die Volksmusik?

Es gibt auch im Litauischen diese abwertenden Wörter wie Schifferklavier und Quetschkommode. Und es gibt auch Menschen, die es nicht mögen, wenn ich ein Klavierstück von Bach auf dem Akkordeon spiele. Für mich ist das aber kein Problem mehr. Das Akkordeon hat so viele Seiten – ich möchte sie alle zeigen. Folk ist nur eine davon. Für mich ist es inspirierend, das Publikum auf eine Reise mitzunehmen, die vom einfachen Volkslied bis zu ernster Klassik, von Piazzolla bis zu Lady Gaga und virtuoser Moderne reicht. Das Akkordeon lässt sich vielseitig einsetzen, das macht auch Menschen verschiedenster musikalischer Herkunft neugierig. Ich verstehe mich als Botschafter meines Instruments, und das funktioniert von Brasilien bis China.

Sie sind mit drei Jahren zum Akkordeon gekommen. Wie kam das?

Es gab bei uns zu Hause kein Klavier. Ich sah einen Pianisten in einer Fernsehshow und fing an, mit den Fingern auf der Tischplatte mitzuspielen. Der Tisch wurde mein Klavier. Unsere Familie ist nicht musikalisch vorgeprägt, meine Mutter, bei der ich aufgewachsen bin, ist Köchin. Aber sie tat das nicht als Spielerei ab, sondern suchte nach einem Instrument für mich. Ein Klavier konnte sie sich nicht leisten. Anfang der 90er-Jahre, direkt nach der Unabhängigkeit, war die wirtschaftliche Lage in Litauen schlecht. Aber ein Patenonkel schenkte mir ein Kinderakkordeon. Darauf habe ich mir autodidaktisch litauische Volkslieder beigebracht.

Es wird erzählt, dass Sie damit auch im Wald gespielt haben.

Das ist richtig. Ich bin in einer kleinen Stadt mit 1000 Einwohnern großgeworden, und in den Ferien wohnten wir immer in einem Sommerhaus dicht am Wald. Ich mochte die Atmosphäre, bin dort mit dem Kinderakkordeon herumgewandert und habe versucht, Vogelrufe nachzuahmen. Ich habe das Instrument sehr spielerisch entdeckt.

Wie begann denn Ihre Ausbildung?

Als ich acht Jahre alt war, fand die Familie eine Lehrerin für mich; meine Mutter zog mit mir in die Stadt, in der die Lehrerin wohnte. Die gewöhnte mir alle Fehler ab, die ich mir beim Selbstlernen beigebracht hatte – das war zuerst extrem entmutigend. Ich hatte mir ein Zwei-Finger-Suchsystem angewöhnt, sie wollte verständlicherweise, dass ich regulär mit allen fünf Fingern übe. Zwei Jahre hatte ich wenig Lust zu üben und kam kaum weiter. Bis ich das erste Mal im Konzert auftrat: Da merkte ich, die Bühne ist mein Leben. Von da an übte ich zwölf Stunden am Tag und nahm an Wettbewerben teil. In der neunten Klasse wechselte ich auf eine Musikschule – für meine Karriere war das gut, für meine Allgemeinbildung nicht. Aber das hole ich nach: Ich habe viele Bücher dabei, die ich lese.

Sie traten 2010 in der Fernsehshow „Lithuania Got Talent“ auf und wurden der Sieger. Was war der Grund für Ihre Teilnahme: Sie waren 19 und brauchten das Geld?

Das auch. Zuallererst wollte ich, dass alle Welt mein Instrument liebt, aber das Preisgeld konnte ich ebenfalls gut gebrauchen. Ich studierte bereits an der Royal Academy of Music in London – und meine Mutter war verzweifelt, weil wir kein Geld dafür hatten. Ein Mäzen aus Vilnius hatte mir ein Startkapital gegeben, das war nach sechs Monaten aufgebraucht. Ich habe mich geniert und an dieser Prestige-Uni niemandem von meinem TV-Auftritt erzählt. Die Professoren und Kommilitonen haben es trotzdem herausgekriegt. Zu meiner Überraschung waren sie sehr stolz auf mich.

Für einen Wettbewerb in Chicago sind Sie dann in die USA gereist – mit 20 britischen Pfund in der Tasche. Sind Sie ein Abenteurer?

Ja, ich glaube schon. Im Leben wie in der Musik. Damals habe ich sehr arm gelebt, hatte allerdings immer wieder das Glück, wundervolle Unterstützer zu finden – gerade auch nach dem TV-Auftritt. Ich hatte Fans auf Youtube, die haben mir den Flug in die USA bezahlt, Akkordeonfreunde, die ich nie kennengelernt habe. Vom Preisgeld in Chicago konnte ich dann weiterstudieren.

In einem Video im Netz kann man Sie mit einem Hund sehen, dem Sie auf einem Akkordeon vorspielen, das auf beiden Seiten Knopftastaturen hat. Da wird einem wieder bewusst, wie viele Akkordeon-Arten es gibt. Welches Instrument bevorzugen Sie?

Es gibt tatsächlich viele verschiedene Traditionen. Das Akkordeon wurde vor 200 Jahren in Wien erfunden, in Deutschland kam bald das Bandoneon dazu, viele Länder entwickelten eigene Versionen. Für das Repertoire, das ich spiele, verwende ich große Konzertinstrumente in verschiedenen Farben mit Klaviertastatur rechts und Knopftastatur links. Ich spiele am liebsten Instrumente aus einer italienischen Manufaktur in Castelfidardo, sie haben eine besondere Klangqualität.

Es gibt die Anekdote, dass Sie mal ein Akkordeon auseinandergebaut haben, um zu sehen, wie es funktioniert. Sie konnten es aber nicht wieder zusammensetzen. Woran lag das?

Ich mag es, Dinge mit den Händen zu erkunden. Heute bin ich ein geschickter Bastler, konstruiere Tische oder gestalte Lichtdesign. Aber damals war ich ein Kind. Ich wollte wissen, wie es funktioniert, nahm mir eine Harmonika vor und musste feststellen, dass die Konstruktion doch ziemlich kompliziert ist.

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Nach Auftritten 2018 und 2021 beim Musikfest Bremen spielen Sie erstmals in der Glocke, und zwar im Duett mit der koreanischen Geigerin Bomsori. Das ist eine spezielle Kombination, für die Sie etliche Arrangements geschrieben haben. Sehen Sie sich auch als Komponist?

Früher hätte ich Nein gesagt, heute sagte ich: Ja, ich bin auch ein Komponist. Komponieren führt mich auf ein anderes technisches und künstlerisches Niveau. Ich fühle mich inzwischen sicher, auch sinfonisches Repertoire wie Vivaldis "Sommer" oder Mahlers "Adagietto" für mich zu arrangieren. Und im Duett ist mir wichtig, dass wir gleichberechtigte Partner sind. Das Akkordeon übernimmt nicht nur die Begleitfunktion.

Wie viel üben Sie?

Null Stunden in dieser Ferienwoche. Während einer Tournee sechs Stunden am Tag.

Sie haben erzählt, dass Ihre Mutter Köchin ist: Was muss sie kochen, wenn Sie zu Hause sind?

Heute koche ich meist für sie. Gern französisch oder asiatisch, es darf dann aber nicht zu scharf gewürzt sein.

Das Gespräch führte Sebastian Loskant.

Info

Das Konzert mit Martynas Levickis findet am Mittwoch, 10. April, 20 Uhr, in der Glocke statt.

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Zur Person

Martynas Levickis (33)

spielt seit dem dritten Lebensjahr Akkordeon. Er hat in London und San Sebastian studiert. 2010 gewann er die Akkordeon-Weltmeisterschaft und einen Talentwettbewerb im litauischen Fernsehen. Seine erste CD kam 2013 auf Platz eins der englischen Klassik-Charts. Seit 2022 lebt er "zur Probe" in Berlin.

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