Große Zentralbanken der Welt :
Wer senkt die Zinsen zuerst?

Von Christian Siedenbiedel, Frankfurt, Philip Plickert, London
Lesezeit: 4 Min.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell: Die EZB könnte diesmal überraschen.
Japans Abschied von den Negativzinsen lenkt den Blick auf die anderen Notenbanken. Was machen nun Amerikas Fed, die EZB und die Bank of England?

Die Welt dürfte vor der nächsten Zinswende stehen. Während die japanische Notenbank ihre Leitzinsen anhebt und sich damit nun auch von den Negativzinsen verabschiedet, stellt sich für die anderen großen Notenbanken vielmehr die Frage, wann die erste Zinssenkung kommt. An diesem Mittwoch steht bei der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed) die nächste Zinssitzung an. Die Bank of England will am Donnerstag über ihren weiteren Kurs entscheiden. Und bei der Europäischen Zentralbank (EZB) steht die nächste Zinssitzung für den 11. April auf dem Plan. Bei allen dreien dürfte noch keine Zinssenkung beschlossen werden. Trotzdem erwarten die Finanzmärkte konkretere Hinweise darauf, wie lange es bis dahin noch dauern soll.

Einerseits warnt der Internationale Währungsfonds (IWF), die Notenbanken sollten den Sieg über die Inflation nicht zu früh feiern. Ähnlich äußerte sich der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Agustín Carstens, am Montag auf einer Veranstaltung des Center for Financial Studies in Frankfurt. Andererseits sehen sich die Notenbanken mit immer mehr drängenden Stimmen konfrontiert, die Wirtschaft bei sinkender Inflation zumindest nicht unnötig lange mit hohen Zinsen zu belasten.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell hatten die Zinsen zuletzt abermals unverändert gelassen. Lagarde hatte allerdings eine erste Zinssenkung im Juni in Aussicht ­gestellt. Einzelne Mitglieder des EZB-Rates hatten auch die Möglichkeit einer ersten Zinssenkung im April offengelassen. Das österreichische Ratsmitglied Robert Holzmann dagegen forderte, die EZB solle mit der ersten Zinssenkung auf die Fed warten. Dem aber hatte Lagarde widersprochen, die EZB müsse ihre Entscheidung unabhängig von den amerikanischen Kollegen treffen und nur an den Erfordernissen im Euroraum ausrichten.

Wer nun die Zinsen zuerst senkt, EZB oder Fed, ist unter Analysten umstritten. Bislang war die Fed bei den meisten Entscheidungen vorwegmarschiert. Das könnte diesmal aber anders sein, sagt Michael Hünseler, Chefanlagestratege der LBBW Asset Management. „Angesichts der im Vergleich eher schwachen Wirtschaft in der Eurozone könnte uns die EZB dieses Mal überraschen“, sagte er. Er rechne mit einer ersten Zinssenkung der EZB um 0,25 Prozentpunkte im Juni. Die Fed könnte im selben Monat ihre Zinsen senken, meint Hünseler – aber eventuell auch erst im Juli.

Die aktuellen Inflationsdaten schlössen dagegen eine unmittelbare Zinsmaßnahme bei der Fed-Sitzung am Mittwoch aus: „Zwar wird sich die Fed alle Optionen offenhalten, aber der Ton dürfte verhaltener ausfallen“, sagte Hünseler: „Auch wenn sowohl Fed-Chef Powell als auch EZB-Chefin Lagarde zuletzt durchblicken ließen, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft mit Zinssenkungen rechnen können – die Überzeugung, dass der Zeitpunkt jetzt schon gekommen ist, dürfte nicht allzu groß sein.“

Die britische Notenbank hält sich mit einer Zinswende noch zurück, bis die Anzeichen für eine gesunkene Inflation klarer werden. Das haben führende Vertreter der Bank of England unterstrichen. Auf ihrer Sitzung am Donnerstag wird das geldpolitische Komitee daher wohl nicht am Leitzins von 5,25 Prozent rühren, auf dem er seit Herbst 2023 steht. „Der Fokus wird diesmal auf dem Abstimmungsverhalten liegen“, sagt Peter Schaffrik, Makrostratege von der kanadischen Großbank RBC. Bei der Sitzung im Februar hatten zwei MPC-Mitglieder der Notenbank sogar noch für einen höheren Leitzins gestimmt. Diese Falken-Fraktion dürfte nun wohl verstummen.

Wann senkt die britische Zentralbank den Leitzins?

„Die Bank of England dürfte jetzt vorsichtig optimistisch sein, dass die Inflation sich in die richtige Richtung bewegt“, sagt Henry Cook von der japanischen Großbank MUFG. Im Februar sei die Inflationsrate im Vereinigten Königreich vermutlich von 4 auf 3,5 Prozent gesunken, prognostiziert Pantheon Macro­economics. An diesem Mittwoch wird das Statistikamt seine Zahlen veröffentlichen. „In den kommenden Monaten wird die Gesamtrate deutlich fallen, bald schon auf oder unter 2 Prozent“, sagt Schaffrik. Das liege aber vor allem an sogenannten Basiseffekten, wenn hohe Preissteigerungsraten für Energie im April aus der Jahresstatistik fallen.

Die sinkende Gesamtrate dürfte für die Notenbank Spielraum für eine erste Zinssenkung schaffen. Doch wann beginnt sie damit? Am Markt sind die Einschätzungen zwischen Juli und August gespalten, also nach den erwarteten Zinsschritten von EZB und Fed. Der Ökonom Sanjay Raja von der Deutschen Bank erwartet im Juli einen ersten Zinsschritt. Andere Institute wie Royal Bank of Canada, UBS oder MUFG rechnen erst im August damit, wenn das geldpolitische Komitee neue Macro-Prognosen vorlegt. „Die große Frage ist, wie es dann weitergeht mit der Inflation“, sagt Schaffrik: „Wie viel intrinsischen Preisdruck gibt es?“

Ein Schlüsselfaktor dafür liegt nach Ansicht der Notenbanker und Ökonomen am Arbeitsmarkt. „Der Arbeitsmarkt kühlt etwas ab, das nimmt Druck weg“, erklärt Cook von MUFG. Die Zahl der ­offenen Stellen ist gesunken. Doch der britische Arbeitsmarkt gilt noch immer als „leer gefegt“, betont RBC-Ökonom Schaffrik. Unternehmen bieten deutlich höhere Löhne, um Mitarbeiter zu gewinnen oder zu halten. Das nominelle Lohnwachstum hat sich zuletzt zwar auf knapp 6 Prozent abgeschwächt. Aber auch das liegt aus Sicht der Bank of England höher, als mit dem Inflationszielwert von 2 Prozent vereinbar ist. Bleibt der Preisdruck eher hoch, so könnte die Erwartung am Kapitalmarkt von bis zu drei Zinsschritten in diesem Jahr zu hoch sein.