Make Magazin 3/2017
S. 118
Baubericht
Aufmacherbild

Kurven kriegen

Musik auf Schallplatten ist systembedingt vorverzerrt und klingt an modernen Verstärkern ohne speziellen Plattenspielereingang seltsam. Unser Entzerrer-Vorverstärker biegt den Frequenzgang wieder gerade, damit man seine Vinyl-Schätzchen am PC oder mit dem restaurierten Spieler wieder genießen kann.

Wer Schallplatten in den Rechner einspielen will, stößt auf mehrere Probleme. Preisgünstig und universell kann ein batteriegespeister Entzerrer-Vorverstärker für Plattenspieler mit Magnetsystem, wie er hier als Selbstbauanleitung vorgestellt wird, die meisten davon lösen. Der Bauteilaufwand inklusive Platine beläuft sich auf maximal 30 Euro – je nachdem, was die Bastelkiste noch beisteuern kann. Der Entzerrer in der abgedruckten Form eignet sich nur für „normale“ Magnetsysteme, die zur Unterscheidung von sogenannten Moving-Coil-Systemen heute „Moving Magnet“ heißen. Zu einer Lösung für MC-Systeme später mehr.

Die Probleme

Der Frequenzgang des Musikmaterials für eine Schallplatte wird – anders als bei der CD – vor der Aufzeichnung „verfremdet“: Die Tiefen werden abgesenkt, die Höhen angehoben. Diese Frequenz-Vorverzerrung ist als sogenannte RIAA-Schneidkennlinie spezifiziert. Die erste Aufgabe eines Entzerrer-Vorverstärkers besteht darin, diesen verbogenen Frequenzganz wieder „auf linear“ zurückzubiegen. Da magnetische Tonabnehmer nur 2 bis 5 mV Ausgangsspannung liefern (Moving-Coil-Systeme gar nur ein Zehntel bis Zwanzigstel davon), hebt ein Entzerrer auch den Pegel auf die Höhe eines typischen Line-Eingangs an, wie man ihn gleichermaßen an Soundkarten oder Hi-Fi-Anlagen antrifft.

Schließt man einen Moving-Magnet-Plattenspieler ohne Entzerrer an den Line-Eingang einer Soundkarte an, hört man auch bei Vollaussteuerung nur ein leises Säuseln. Am Mikrofon-Eingang passt zwar der Pegel, aber der Frequenzgang stimmt noch nicht – zischelnde Höhen, keine Bässe. Es gibt zwar Software-Filter, die den Frequenzgang wie ein Entzerrer korrigieren könnte, doch die wenigsten Mikrofon-Vorverstärker in Soundkarten sind rausch- oder brummarm genug, dass man daran Freude hätte. Überdies sind viele Mikrofoneingänge auf Soundkarten monofon ausgeführt, also einkanalig.

Früher waren solche „Phono-Vorverstärker“ standardmäßig in Hi-Fi-Anlagen eingebaut, heute findet man sie nur noch vereinzelt in audiophil anspruchsvollen Systemen. Doch versucht man, solche Entzerrer in vorhandenen Verstärkern oder Receivern mit dem PC zu nutzen, handelt man sich oft ein höchst störendes Brummen ein, auch bei hochwertigen Anlagen: Die Anordnung bildet über die Netzspannungsleitungen eine sogenannte Brummschleife. Und da die maßgebliche Aufgabe eines Entzerrer-Vorverstärkers darin besteht, tiefe Frequenzen um rund das 100-fache zu verstärken, kann man diesen Störungen nur durch einen Hi-Fi-Transformator im Signalweg entkommen.

Die Frequenzgänge (oberes Bild) wurden mit frequenzmäßig vorverzerrtem Signal aufgenommen, sind im Idealfall also Geraden. Korrekt dimensioniert beträgt die Abweichung zwischen den Kanälen maximal 0,1 dB, vom idealen Frequenzgang weichen sie etwa 0,3 dB ab. Das untere Diagramm wurde rechnerisch ermittelt für Idealwerte (schwarz) und Abweichungen von C3/C5 um +10 % (grün) und –10 % (orange).
Durch unterschiedliche Bestückung kann die Schaltung drei verschiedene Entzerrungen vornehmen: gemäß RIAA, IEC und (von uns favorisiert) mit einem Rumpelfilterhochpass bei 10 statt IEC-konform bei 20 Hz.

Solche Trafos wiederum sind teurer als unsere Selbstbauschaltung. Erst recht, wenn man auf eine Ausführung Wert legt, die den Frequenzgang mindestens so linear hält wie unser Entzerrer-Vorverstärker. Die vielfältigen Probleme aus dem „Reich des Brummens“, die dem Nachbauer der Schaltung das Leben schwer machen können, haben mich letztlich davon abgehalten, dem Entzerrer etwas anderes als Batteriespannung zuzuführen. Der Stromverbrauch von rund 8,5 mA erlaubt mit handelsüblichen 9-V-Batterien (400 bis 500 mAh) also rund 50 bis 60 Stunden Dauerbetrieb. Typische 9-V-Akkus mit 100 bis 150 mAh lassen sich auch einsetzen und müssen alle 10 bis 20 Stunden aufgeladen werden.

Die Lösung

Der Entzerrer benutzt in jedem Kanal einen Doppel-Operationsverstärker vom Typ LM833. Der Störspannungsabstand der Schaltung liegt bei rund 75 dB. Das liegt etwa 20 dB oder Faktor 10 höher als der Störpegel, den ein keineswegs schlechter Plattenspieler vom Schlage eines Dual 504 (rund 500 Mark vor 35 Jahren) generiert, noch bevor die Nadel auf der Platte aufsetzt. Mit aufgesetzter Nadel in der Leerrille kann die „Stille“ zwischen zwei Musikstücken bis auf –45 dB unter die Vollaussteuerung „hochrumpeln“. Erschrecken Sie also nicht, wenn das viel weiter als bei Kassettenrecordern reichende Aussteuerungsinstrument Ihrer Aufnahme-Software Werte offenbart, die mehr als 40 dB (Faktor 100) schlechter als bei optimal produzierten CDs liegen. Das liegt im grünen Bereich, da ist nichts kaputt.

Das Schaltbild zeigt den rechten der beiden gleichartig aufgebauten Stereo-Kanäle. Die Pin-Nummern an den Operationsverstärkern in Klammern gelten für den linken Kanal.

In Anbetracht des geringen Preises liefert unser Entzerrer also schon fast Overkill, auch was andere Qualitätskriterien betrifft. Die Aufteilung der Filter auf zwei hintereinandergeschaltete OpAmps etwa senkt den Klirrfaktor bei hohen Frequenzen: Diese Lösung erzielt so auch bei 20 kHz noch einen Klirrfaktor von maximal 0,04 Prozent, wo die übliche Standardschaltung mit einem OpAmp bereits bei 0,4 Prozent, also dem Zehnfachen, liegt. Für die Darstellung des Frequenzganges haben wir nicht die übliche S-förmige Kurve über einen Bereich von 40 dB gewählt, weil man daran die winzigen Abweichungen nicht erkennt. Vielmehr haben wir ein im Frequenzgang gegenläufiges Signal eingespeist, sodass das Ergebnis im Idealfall also eine Gerade ist (Bilder links oben). Die obere Kurve zeigt echte Messwerte vom Prototyp, die diesem Ideal bis auf 0,3 dB nahekommen. Allerdings gelang dies nur mit per Hand vermessenen Kondensatoren C3 und C5, sodass diese weniger als ein Prozent vom Wunschwert abweichen. Der Gleichlauf zwischen den beiden Stereokanälen ist so gut, dass man die Kurven kaum noch unterscheiden kann.

Die untere Darstellung zeigt eine rechnerische Simulation der Abweichungen vom Ideal, wenn man C3 und C5 um 10 Prozent größer oder kleiner wählt – auch dann bleibt die Abweichung unterhalb 1 dB (der Bereich unter 10 Hz ist nicht mehr wichtig). Dass übrigens auch die idealisierte Referenzkurve (schwarze Linie) keine Gerade ist, liegt einerseits daran, dass wir real existierende Bauteilenormwerte eingesetzt haben, aber auch daran, dass die Filter aus R4, R5 und C3 nicht vollkommen unabhängig voneinander sind.

Neuerungen

Die RIAA hat eine Schneidkennlinie festgelegt, die der Entzerrer durch zwei Tiefpässe bei 50 und 2122 Hz und einen Hochpass bei 500 Hz kompensieren muss. Später hat die IEC eine modifizierte Kennlinie für die Entzerrung (nicht für die Verzerrung auf der Platte!) empfohlen, die Frequenzen unter 20 Hz dämpft (Hochpass).

Viel Spielraum für Kondensatoren aus der Grabbelkiste: Die Kapazitäten, auf die es ankommt, lassen sich durch Parallelschaltung zweier Kondensatoren auf Genauigkeit trimmen.

Die Verwendung eines solchen Rumpelfilters empfehle ich dringend, denn die Rumpelfrequenzen unter 20 Hz treten mit hohen Amplituden auf, die ein getreu nach RIAA korrigierender Entzerrer auch noch besonders hoch verstärkt. Das kann zu hässlichen Verzerrungen (Klirrfaktor) führen, denn OpAmps verzerren nicht erst, wenn das Ausgangssignal die Grenzen der Betriebsspannung erreicht (Clipping).

Allerdings bewirkt das IEC-Verfahren, dass die Pegel bei 20 Hz bereits um 3 dB (auf rund 70 Prozent) gegenüber dem absinken, was das Material gemäß RIAA und Schallplatte hergibt. Diesen Bereich möchte man im Zeitalter von CD und Sub-Bass-Booster in jedem Kleinwagen aber nicht missen, sodass sich als guter Kompromiss ein Rumpelfilter bei 10 Hz anbietet. Der Pegel sinkt dann bei 20 Hz nur noch um 1 dB, also rund 12 statt 30 Prozent. Die unterschiedlichen Entzerrerkurven finden Sie oben links grafisch dargestellt.

Bestückungsfragen

Die Größe von C2 bestimmt den Eingangshochpass: Wer RIAA-Gerumpel authentisch braucht, setzt statt C2 eine Drahtbrücke ein und bekommt den vollen Frequenzgang. Wer C2 zu 330 nF wählt, erhält das 10-Hz-Rumpelfilter, und wer’s IEC-konform möchte, wählt 180 nF (19 Hz).

Der Entzerrer hält die Kennlinie um so besser ein, je genauer die relevanten Bauteile in den Filtern (sie sind mit einem * gekennzeichnet) ihre Werte einhalten. Mit Widerständen und Kondensatoren, die maximal 1 Prozent vom Nennwert abweichen, kamen wir bei Testaufbauten auf Abweichungen im Bereich ± 0,3 dB.

Metallfilmwiderstände, die man schon wegen ihres geringeren Eigenrauschens den einfachen Kohleschichtwiderständen vorziehen sollte, sind mit 1 Prozent Genauigkeit ohne Schwierigkeiten und preisgünstig zu bekommen. Kondensatoren in dieser Genauigkeit sind rar. Lediglich C5 (4,7 nF) ist beispielsweise bei Conrad als 1-prozentige Polypropylen-Version einfach zu beschaffen.

Tabelle: Messwerte Entzerrervorverstärker

Wer die Kramkiste voller Kondensatoren und ein Digitalmultimeter mit Kapazitätsmessbereich hat, kann sich auch anders helfen. Selbst wer keinen genau passenden Wert findet, kann einen aus zwei parallelgeschalteten Kondensatoren kombinieren. Das Layout sieht für jede kritische Kapazität genug Platz vor, um diese aus einer Parallelschaltung zweier passender Kondensatoren zu realisieren. Jede Komponente eines solchen „Doppelkondensators“ findet überdies Bohrlöcher für die Rastermaße 5, 7,5 und 10 mm. Bei unserem Prototyp (siehe Foto auf der ersten Seite) haben wir von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Auf jeden Fall sollte man für alle im Schaltbild mit * gekennzeichneten Kondensatoren nur gewickelte Ausführungen (MKS, Polypropylen, Styroflex) nehmen und auf keinen Fall etwa keramische, da sich deren Wert durch Alterung verändern kann.

Aufbau und Betrieb

Das Schaltbild zeigt den rechten Stereo-Kanal, auf der Platine findet sich für jeden Stereo-Kanal dieselbe Schaltung – mit einer winzigen Ausnahme: Der Layout-Symmetrie zuliebe wurden die beiden Operationsverstärker im IC pro Stereokanal vertauscht. Für den rechten Kanal gelten die Pin-Nummern ohne Klammern, für den linken die eingeklammerten Werte. Entsprechend müssen die beiden ICs um 180 Grad gedreht gegeneinander bestückt werden.

Auf dem Bestückungsplan sind alle Bauteile zur eindeutigen Identifizierung mit L und R gekennzeichnet, also etwa R1L und R1R. Das Bauteil 0R0 ist ein Null-Ohm-Widerstand, sprich: eine Drahtbrücke.

Die Wendeltrimmpotis P1L und P1R erlauben eine Variation der Gesamtverstärkung um den Faktor 6. Damit kann man einerseits beide Kanäle auf exakt gleiche Verstärkung respektive Pegel einstellen, zum anderen die Signale aus dem Entzerrer im Pegel an andere Eingänge anpassen – was für den Betrieb an Hi-Fi-Anlagen interessant ist. Ohne Messmöglichkeiten können die Potis aber auch nerven. Die in Entzerrern übliche Verstärkung von 50fach bei 1000 Hz kann man daher auch mit einem 27-kOhm-Widerstand und einer Drahtbrücke (der Bestückungsplan zeigt, wie) statt der Potis fest einstellen.

Ansonsten ist die Schaltung völlig unkritisch. Wer allerdings mit den bislang benutzten Begriffen und Symbolen genauso wenig wie mit einem Lötkolben anfangen kann, der sichere sich zum Zusammenbau lieber kompetente Hilfe im Bekanntenkreis.

Den fertig bestückten Entzerrer sollte man wegen der Abschirmung vor Störsignalen (Brummen) in ein kleines Alu-Blechgehäuse (einen passenden Typ nennt die Stückliste) einbauen und die Lötseite der Platine dabei über kleine Abstandsbolzen vor Kurzschlüssen auf der Gehäuseunterseite bewahren. Am besten greift man zu Bolzen mit M3-Innengewinde, um diese über M3-Schrauben mit der Platine und das Ganze wiederum mit dem Gehäuseboden zu verschrauben. Dieses Gehäuse ist übrigens so klein, dass man es in viele Plattenspieler (deren Gehäuse in der Regel nicht abschirmen) direkt einbauen kann.

Als Buchsen für die Ein- und Ausgänge empfehlen sich Cinch-Buchsen, aber letztlich kann man auch direkt zu den Lösungen greifen, die Plattenspieler (oft genug DIN) oder Soundkarte (meist Stereoklinke) bieten. Je weniger Adapter ins Spiel kommen, desto besser.

Die symmetrischen Betriebsspannungen (±9 V) stellt man am einfachsten über zwei normale 9-V-Batterien (oder Akkus) bereit. Die beiden Betriebsspannungen sollten möglichst gleichzeitig anliegen, andernfalls könnten die ICs beschädigt werden oder zumindest eklige Pfeiftöne von sich geben. Ferner sollte man die Stromversorgung auch einfach bei Nichtgebrauch abschalten können, um die Batterien zu schonen. Eine simple Lösung ohne Extra-Schalter besteht darin, die Spannungen über eine Stereo-Klinkenbuchse zuzuführen.

Und mehr

Auf unserer Webseite haben wir noch ein Bündel mit Messhilfen, zusätzlichen Schaltungsinformationen und beispielsweise Design-Hilfe-Programmen geschnürt. So versetzen vorverzerrte Sound-Files Sie in die Lage, mit einem CD-Brenner eine Mess-CD anzufertigen. Mit Hilfe eines CD-Players und nur über die Aufnahme per Sound-Editor kann man den Frequenzgang des Entzerrers so auf rund 0,1 dB genau vermessen – und optimieren. Ferner finden Sie hier auch eine antike (sozusagen ein 80er-Jahre-Revival) Bauanleitung für einen hochwertigen Moving-Coil-Vorverstärker, also eine linear verstärkende, besonders rauscharme Vorstufe für den hier vorgestellten Entzerrer. Wer also mehr zum Thema wissen möchte als an dieser Stelle abgedruckt, sollte auf www.heise.de/ct/ftp/projekte/riaa-entzerrer/ vorbeischauen. dab