Waiblingen

Waiblingen: Wer sich weigert, wird enteignet? Ärger um Süddeutsche Erdgasleitung

Erdgasleitung
Durch ihre Gärten im Felsenberg zwischen Waiblingen und Hegnach wird die Süddeutsche Erdgasleitung gezogen (v. l. n. r.): Jürgen Wiedmann, Andrei Becker, Alexander Becker, Wilhelm Becker, Pia Friebel und Maurice Thum. © Gabriel Habermann

34 Meter der hoch gewachsenen Hecke sind es, die im Garten von Maurice Thum weichen müssen. Dicht und schützend ist sie jahrelang gewuchert, bietet Vögeln und Kleintieren einen Unterschlupf. Doch im Oktober vergangenen Jahres hat Thum, der Besitzer eines Gartens im Felsenberg zwischen Waiblingen und Beinstein ist, erfahren, dass auf seinem Grundstück gebaut werden soll. Die Süddeutsche Erdgasleitung verläuft auf ihrem Weg von Lampertheim in Hessen nach Bissingen in Bayern auch durch Waiblingen. Und es ist nicht nur Thums Garten, der zur Baugrube wird: Zahlreiche Stücklesbesitzer auf dem Felsenberg sind betroffen – und fühlen sich vom zuständigen Unternehmen Terranets im Stich gelassen. Unsere Redaktion hat sich mit einigen von ihnen getroffen. Erneut.

Seit dem letzten Treffen mit der WKZ hat sich nur wenig getan

Bereits im Dezember 2023 berichteten die Nachbarn vom Felsenberg von ihren Erfahrungen mit Terranets und der Firma DMT Engineering Surveying aus Herne, die im Auftrag von Terranets tätig ist. Einer von ihnen berichtet, dass sich seitdem nicht viel getan habe. „Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden“, sagt Alexander Becker. Auf seinem Grundstück müssen etwa zehn Meter der Auffahrt zur Ablagerung von Erdaushub verwendet werden. Zum besseren Verständnis wollte Alexander Becker einen Termin mit dem zuständigen Abteilungsleiter von DMT ausmachen. Doch der vertröstet ihn immer wieder, so Becker. „Er verschiebt alle ausgemachten Termine.“ Anfangs hat Alexander Becker noch Verständnis für die Begründungen, die der Abteilungsleiter ihm und auch den anderen Grundstücksbesitzern nennt. Doch diesem Verständnis weicht nach ein paar Wochen Frust. Becker möchte nicht, dass auf seinem Grundstück Erde abgelagert wird, er werde den Vertrag auch nicht unterzeichnen. Einmal habe er gefragt, was passiere, wenn er nicht einwillige. Da werde er enteignet, sei die Antwort gewesen.

Tatsächlich bestätigt Terranets auf Anfrage: „Für den sehr seltenen Fall, dass es nicht zu einer Einigung mit den Eigentümern kommt, kann terranets bw die benötigte Fläche (...) in Anspruch nehmen.“ Das bedeute, dass eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit im Grundbuch erwirkt werde, die es erlaubt, die Leitung zu errichten und zu betreiben. Das Eigentum des Flurstücks bleibe dabei unverändert. Würden Flächen nur temporär für den Bau benötigt, erfolge dies bei fehlender Zustimmung im Wege einer Besitzeinweisung. „Selbstverständlich erfolgt auch im Rahmen einer Enteignung oder Besitzeinweisung eine Entschädigung.“

Der Versand der Unterlagen in Waiblingen erfolgt zeitversetzt

Im Gegensatz zu Maurice Thum hat Alexander Becker recht früh Vertragsunterlagen erhalten, bereits im Oktober 2023. Darin wird durch einen Gestattungsvertrag geregelt, dass der Flurstückseigentümer „den Bau, Betrieb, Belassung und Nutzung einer Leitung für Gas und/oder Wasserstoff“ gestattet. Darüber hinaus hält der Vertrag auch die Entschädigung des Eigentümers fest. Eine Kopie liegt unserer Redaktion vor.

Darin steht zum Beispiel, dass „überschüssiger Aushub (...) nach Wunsch des Grundstückseigentümers diesem zu überlassen, nach dessen Weisung in der Umgebung der Rohrleitung einzuplanieren oder abzufahren“ ist. Alexander Becker hat wie auch seine Brüder Andrei und Wilhelm Becker, deren Grundstücke direkt nebenan sind, viel Zeit und Geld in seinen Garten gesteckt. Auch bei Andrei Becker soll Aushub gelagert werden. Er berichtet, dass er die Erde aber nicht auf seinem Grundstück lagern oder einarbeiten möchte. Er will von der Abfuhr Gebrauch machen.

Auch er schildert im Gespräch von den Kommunikationsproblemen mit DMT Engineering. Einmal aber habe er dann doch einen Termin mit dem zuständigen Abteilungsleiter bekommen. Der soll ihm mündlich versichert haben, dass der Aushub nicht auf seinem Grundstück gelagert werde, wenn er das nicht möchte. Andrei Becker habe daraufhin auf einen schriftlichen Vermerk bestanden – doch bis heute nichts davon gesehen. Der Mitarbeiter sei seitdem auch für ihn nicht mehr erreichbar.

Dass manche Gartenbesitzer einen Vertrag haben und andere nicht, ärgert die Nachbarn. Einige von ihnen haben nur zufällig erfahren, dass die SEL durch die Gärten gebaut werden soll – und nicht, weil sie einen Vertrag erhalten hätten. So geht es auch Maurice Thum.

Versand im Rems-Murr-Kreis soll im Mai erfolgen

Auf die Frage, warum es in der Kommunikation mit den Gartenbesitzern zu solchen Verzögerungen kommt, antwortet Terranets: „Wir intensivieren derzeit den Wegerechtserwerb auf der Trasse von Löchgau bis Ludwigsburg.“ Der flächendeckende Versand der Vertragsunterlagen im Rems-Murr-Kreis sei erst für Anfang Mai vorgesehen. Im Rahmen unserer Recherche im Dezember räumte Terranets allerdings ein, mit dem Versand im Verzug zu sein.

Die zeitverzögerte Verteilung der Vertragsunterlagen im Felsenberg hat die Garteninhaber verunsichert. Warum erfolgte der Versand nicht zeitgleich? „Seit 2023 wurden einzelne Eigentümer kontaktiert, da deren Flurstück für Vorarbeiten wie archäologische Ausgrabungen oder der Errichtung der Rohrlagerplätze betroffen sind. In diesen Fällen wurden bereits Vertragsunterlagen verschickt. Der flächendeckende Versand der Verträge findet nun in den nächsten Wochen statt“, antwortet eine Pressesprecherin von Terranets.

Die Gartenbesitzer im Felsenberg wünschen sich eine klare Kommunikation seitens beider Unternehmen und vor allem: erreichbare Ansprechpartner. Dass die Leitung verlegt wird, sei nicht das Hauptproblem – sondern die Form der Kommunikation, findet Maurice Thum. Ein Stück weit geht es aber natürlich auch um die Zerstörung der Gärten. Eine große Hecke, die über Jahre gewachsen ist und das Gartengrundstück von Maurice Thum vor Sturmböen und dem Lärm der nahe liegenden Bundesstraße schützt, einfach zu roden? Das tut dem Inhaber weh. Er selbst hat Terranets bereits andere Lösungsvorschläge unterbreitet – doch das Gefühl, damit jemanden zu erreichen, hat er nicht.

Bohrung, Einzelrohrverlegung: Individuelle Lösung möglich?

Maurice Thum hat erfahren, dass Terranets die Leitung an einigen Orten per Bohrung verlegen möchte. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte er diese Idee gegenüber unserer Redaktion geäußert. Terranets BW gab durchaus zu, dass Bohrungen anderswo umgesetzt werden. Laut Pressestelle bestehen dafür aber zwingende Gründe. „Das sind beispielsweise die Querung von Bahnstrecken, Autobahnen und Bundesstraßen sowie von geschützten Biotopen.“ Eine Bohrung unter Gärten erfordere an deren Enden tiefe Baugruben, die ebenfalls einen Eingriff in die Umwelt darstellten. Und: „Die unterirdische Verlegung mit Bohrungen ist teurer als die offene Verlegung im Rohrgraben.“

Noch heute zweifelt Thum daran, dass eine Bohrung wirklich umweltschädlicher wäre als der Aushub. „Schließlich werden so Unterschlüpfe für die Vögel zerstört.“ Auch wenn Terranets die Grundstücke danach rekultivieren möchte – so schnell wachse keine ganze Hecke nach, gibt Thum zu bedenken. Er selbst habe nach hoch gewachsenen Hecken zum Nachkauf recherchiert – und welche gefunden. Das würde ihm entgegenkommen, doch Terranets wolle lieber eine neue Hecke pflanzen, berichtet er. Weil es günstiger sei, so seine Vermutung.

Bauarbeiten: Nachbarn vom Felsenberg wünschen sich mehr Mitspracherecht

Bezüglich der Bauarbeiten in ihren Gärten und der damit verbundenen Rekultivierung wünschen sich die Nachbarn vom Felsenberg etwas mehr Mitspracherecht. Terranets indes behauptet, durchaus für individuelle Lösungen bereit zu sein. „Kein vom Bau Betroffener soll schlechter gestellt sein als vor dem Bau.“ Bei allen Grundstücken mit Sondernutzung, dazu gehören auch Kleingärten, werde der Schaden durch einen unabhängigen Fachgutachter ermittelt. Neben der Bohrungsvariante fragt Thum beim zuständigen Abteilungsleiter auch nach einer Einzelrohrverlegung. Dafür müssten nur 15 statt 34 Meter seiner Hecke weichen, berichtet er. Man habe ihm gesagt, dass diese Idee geprüft werde. Doch bis heute hat Thum noch nichts gehört.

Trassenverlauf der SEL im Regierungsbezirk Stuttgart genehmigt

Grundsätzlich ist der Trassenverlauf der SEL im Regierungsbezirk Stuttgart rechtskräftig planfestgestellt und durch das Regierungspräsidium Stuttgart genehmigt. Auf Nachfrage der Felsenberg-Anwohner hat das Unternehmen mittlerweile auch Pflöcke in die Erde gehauen, um den Verlauf der Trasse und des Schutzstreifens zu visualisieren. Darüber hinaus soll es noch weitere Infomärkte geben, auf denen Experten „an verschiedenen Themenstationen zum Rechteerwerb, den bauvorbereitenden Maßnahmen, dem Leitungsbau sowie Maßnahmen zum Schutz von Boden und Natur“ informieren. Begleitend dazu werde Eigentümern und Bewirtschaftern eine Exkursion an die bereits fertiggestellte Neckarenztal-Leitung angeboten.

34 Meter der hoch gewachsenen Hecke sind es, die im Garten von Maurice Thum weichen müssen. Dicht und schützend ist sie jahrelang gewuchert, bietet Vögeln und Kleintieren einen Unterschlupf. Doch im Oktober vergangenen Jahres hat Thum, der Besitzer eines Gartens im Felsenberg zwischen Waiblingen und Beinstein ist, erfahren, dass auf seinem Grundstück gebaut werden soll. Die Süddeutsche Erdgasleitung verläuft auf ihrem Weg von Lampertheim in Hessen nach Bissingen in Bayern auch durch