Idar-Oberstein: Tankstellen-Schütze erhielt Waffe von seinem Vater
Nach dem Anschlag in Idar-Oberstein werden immer mehr Details zum Täter bekannt. Mehrere Parteien geben nun der AfD eine Mitschuld.
Update von Freitag, 24.09.2021, 15.30 Uhr: Der mutmaßliche Täter von Idar-Oberstein hat die Tatwaffe offenbar vor mehreren Jahren von seinem Vater erhalten. Das zeigen Recherchen des SWR.
Der Vater des 49-Jährigen soll dem Bericht zufolge in der Vergangenheit zahlreiche Waffen besessen haben – auch illegalerweise. Wann exakt und unter welchen Umständen die Tatwaffe in die Hände des Täters gelangte, ist unklar. Die zuständige Staatsanwaltschaft äußerte sich dazu noch nicht.
Update von Donnerstag, 23.09.2021, 8.30 Uhr: Nach dem Mord an dem Tankstellen-Kassierer in Idar-Oberstein werden immer mehr Details zum Täter bekannt (s. Update v. 13.20 Uhr). Hinzu kommt, dass sich weitere Politikerinnen und Politiker zur Tat äußern. Mehrere Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker haben nun der AfD gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Mitschuld an der Radikalisierung der sogenannten Querdenken-Szene gegeben. „Die AfD ist der oberste Agent der politischen Radikalisierung in Deutschland“, sagte beispielsweise Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Auch Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, erhob schwere Vorwürfe gegen die Alternative für Deutschland: „Die AfD hat seit ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag erheblich dazu beigetragen, dass Hass und Hetze auf den Straßen und in den sozialen Medien enorm angestiegen sind“, betonte sie.
Idar-Oberstein: FDP und SPD sehen Mitschuld bei AfD – Union relativiert
Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, relativierte die AfD-Kritik: „Die Gründe für diese entsetzliche Tat allein bei der AfD zu suchen, ist zu einfach.“ Dennoch trage die Partei mit ihren „gezielten Provokationen“ zu einer starken Polarisierung der Gesellschaft bei, so Middelberg. Der geständige Tatverdächtige hatte sich jahrelang in sozialen Netzwerken mit Gewaltfantasien und rechtem Gedankengut umgeben (s. Update v. 9.00 Uhr).
+++ 13.20 Uhr: Der mutmaßliche Täter von Idar-Oberstein war dem Verfassungsschutz nicht bekannt. Das hat Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, am Mittwochmittag erklärt. Aktuell ermitteln die Behörden, laut Dreyer, wie der 49-Jährige unbemerkt an eine Waffe kommen konnte.
Im Hinblick auf Gewaltfantasien und rechtes Gedankengut, welche der geständige 49-Jährige vor der Tat auf Twitter und anderen Plattform verbreitete (s. Update v. 9.00 Uhr), sagte die Ministerpräsidentin: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“ Die Sicherheitsbehörden würden gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen, so Dreyer.
Korrektur der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hatten wir berichtet, dass Ministerpräsidentin Dreyer gesagt habe, dass der Schütze dem Verfassungsschutz bekannt gewesen sei. Dreyer hatte dies allerdings verneint.
Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.
Update von Mittwoch, 22.09.2021, 9.00 Uhr: Der mutmaßliche Täter von Idar-Oberstein verbreitete wohl Jahre lang rechtes Gedankengut und Gewaltfantasien im Internet. Das zeigen Recherchen der Denkfabrik „Center for Monitoring, Analyse und Strategie“. Demnach kam der 49-Jährige vielfach mit Tweets von AfD-Accounts in Kontakt. „Der mutmaßliche Täter teilt rechtsoffene Kanäle, kommentiert bei Trump, glaubt, dass der Klimawandel eine Lüge ist“, teilte das Institut auf Twitter mit.
Wie das ZDF berichtet, soll der mutmaßliche Täter auch in Kontakt mit AfD-Politiker Björn Höcke gestanden haben. Dem Bericht nach kontaktierte er ihn aufgrund des rechtsterroristischen Anschlags von Halle – und bezeichnete diesen als „keinen Zufall“. „Der Account liked und retweeted besonders häufig rechtsoffene Accounts, beispielsweise Hans-Georg Maaßen, Boris Reitschuster und Hartes Geld“, heißt es weiter.
Idar-Oberstein: Mutmaßlicher Täter verbreitet Gewaltfantasien - und rechtes Gedankengut
Zudem verbreitete er Gewaltfantasien: „Ich freue mich auf den nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören aber wir kommen aus dieser Spirale nicht mehr raus“, postete der 49-Jährige einst bei Twitter. Neben rechtem Gedankengut äußerte er sich auch sehr kritisch gegenüber den Corona-Maßnahmen in Deutschland. Zeit Online berichtet, dass der 49-Jährige auf dem Karriereportal LinkedIn schrieb, dass Maske-Tragen bei ihm für eine „eingeschränkte Atmung“ sorge. Dass die Ablehnung der Corona-Maßnahmen eines seiner mutmaßlichen Motive ist, wurde bereits in den ersten Verhören der Polizei klar.
Update von Dienstag, 21.09.2021, 11.00 Uhr: Nachdem ein 49-Jähriger eine 20-jährige studentische Tankstellenaushilfe in den Kopf geschossen hat, breitet sich der Hass in den sozialen Netzen aus. So verteidigen Rechtsextreme den Täter, der einfach nur „die Schnauze“ voll gehabt haben soll. Wie der Berliner Tagesspiegel berichtet, sei der Chat-Kanal auf Telegram des rechtsextremen Verschwörungserzählers Sven Liebich voll von Posts, die die Tat des Schützen verteidigen.
„Wenns die Richtigen trifft, habe ich nichts dagegen“, soll die Reaktion eines Nutzers sein. Und weiter heißt es: „Kein Mitleid. Die Leute immer mit dem Maskenscheiß nerven. Da dreht irgendwann mal einer durch. Gut so.” Der Täter hatte vor der Polizei als Begründung für seine Tat angegeben, er habe keine Corona-Schutzmaske tragen wollen.
Tankstellen-Aushilfe mit Kopfschuss getötet - Waffe des Schützen nicht legal
Derweil werden die Ermittlungen laut Staatsanwaltschaft noch einige Wochen dauern. „Wir müssen uns jetzt erstmal selbst ein klares Bild machen“, sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann am Dienstag (21.09.2021) in Mainz. In dieser Zeit wolle die Behörde keine „Wasserstandsmeldungen“ über den Ermittlungsstand abgeben. „Die Feinarbeit der Ermittlungen geht jetzt erst so richtig los.“
Mehr Klarheit erhoffen sich die Ermittler vor allem von der Auswertung der sichergestellten elektronischen Geräte des Mannes. Zu dessen Lebenssituation wollte Fuhrmann während der laufenden Ermittlungen noch keine Angaben machen. Der Mann sei noch nie irgendwo bei der Polizei aufgefallen, auch nicht als Teilnehmer einer Demonstration. „Die Waffen hat er nicht legal besessen.“ Woher sie stammten, sei noch völlig unklar.
Mann tötet Tankstellen-Aushilfe (20) mit Kopfschuss – weil er keine Corona-Maske tragen wollte
Erstmeldung von Montag, 20.09.2021, 20.15 Uhr: Idar-Oberstein – Es ist ein brutales Verbrechen, das Rheinland-Pfalz erschüttert. In Idar-Oberstein wies der junge Mitarbeiter einer Tankstelle einen Kunden darauf hin, eine Maske zu tragen und verweigerte ihm den Einkauf. Der Mann kehrte wenig später zurück und schoss dem 20 Jahre alten Studenten, der an der Tankstelle jobbte, mit einer Pistole in den Kopf.
Der 49-jährige Täter habe sich nach einer Zurückweisung beim Bierkauf derart über die Situation geärgert, dass er zuhause einen Revolver eingesteckt habe und erneut zur Tankstelle gefahren sei, um den 20-jährigen Verkäufer zu provozieren, sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann zu der Tat.
Idar-Oberstein: Tankstellen-Aushilfe „ohne zu zögern“ erschossen
Als der junge Student, der als Aushilfe an der Tankstelle arbeitete, ihn bei seinem zweiten Besuch erneut auf die Maskenpflicht hinwies, habe der 49-Jährige dem Kassierer „gezielt von vorne in den Kopf“ geschossen, sagte Fuhrmann. Das Opfer sei sofort tot gewesen. Die Tat habe der Mann „ohne zu zögern“ ausgeführt. Ihm sei klar gewesen, dass er den Mitarbeiter getötet habe. Gegen den Tatverdächtigen erging Haftbefehl wegen Mordes vor dem Amtsgericht Bad Kreuznach. Er wurde wegen dringenden Mordverdachts in Untersuchungshaft genommen.
Der mutmaßliche Täter habe die Tat gestanden. Zum Motiv habe er angegeben, dass ihn die Situation der Corona*-Pandemie stark belaste. Er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt und „keinen anderen Ausweg gesehen“, als ein Zeichen zu setzen. Das Opfer schien ihm dabei „verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe“, sagte Fuhrmann. Der mutmaßliche Täter sagte aus, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne.
Nach den bisherigen Ermittlungen hatte der 49-Jährige um 20 Uhr am Samstag (18.09.2021) den Verkaufsraum der Tankstelle ohne Maske betreten und zwei Sechserpack Bier auf den Tresen an der Kasse gestellt. Er habe die Maske vergessen, sagte er später. Der Kassierer wies den Mann auf die Maskenpflicht hin – woraufhin der Mann den Raum verließ und dabei drohend die Hand hob.
Idar-Oberstein: Tatverdächtiger kam zurück und setzte provozierend seine Corona-Maske ab
Gegen 21.25 Uhr sei er erneut in der Tankstelle erschienen – diesmal habe er eine Maske getragen, wieder ein Sechserpack Bier genommen und sei zur Kasse gegangen. „Dort setzte er die Mund-Nasen-Bedeckung ab“, sagte Fuhrmann. Der Kassierer habe den Mann erneut auf die Einhaltung der Maskenpflicht hingewiesen: Daraufhin zog der 49-Jährige einen Revolver aus der Hosentasche erschoss den 20-jährigen Mitarbeiter.
Anschließend flüchtete der Täter zu Fuß. Eine Großfahndung in der Nacht habe zunächst keine Ergebnisse gebracht, hieß es weiter. Da Aufzeichnungen der Überwachungskameras vorlagen, konnte die Polizei schnell ein Foto des Manns veröffentlichen und eine Öffentlichkeitsfahndung initiieren. Aufgrund der Gefahr, die von dem Bewaffneten ausging, hatte die Polizei davor gewarnt, im Raum Idar-Oberstein Anhalter mitzunehmen.
Am Sonntagmorgen (19.09.2021) sei der Verdächtige dann in Begleitung einer Frau vor der Dienststelle der Polizeiinspektion Idar-Oberstein erschienen, wo er von Spezialkräften festgenommen worden sei. „Wir gehen davon aus, dass er sich stellen wollte“, sagte Triers Polizeipräsident Friedel Durben. „Das ist auf jeden Fall ein besonderer Fall: Wir haben weder im Polizeipräsidium Trier noch im Land Rheinland-Pfalz eine solche Tat gehabt, die einen Zusammenhang zu Corona vermuten lässt.“
Tötung an Tankstelle: „Eine ganz unfassbare, schreckliche Tat, die hier in Idar-Oberstein passiert ist“
„Das ist eine ganz unfassbare, schreckliche Tat, die hier in Idar-Oberstein passiert ist“, sagte Oberbürgermeister Frank Frühauf (CDU). Das merke man auch an der großen Betroffenheit der Bürger vor Ort. Viele hätten an der Tankstelle Blumen und Kränze niedergelegt. „So eine Tat kann man mit nichts vergleichen. Es wird eine Zeit dauern, bis man das verarbeitet hat“, sagte er.
Den Angaben zufolge kommt der Verdächtige aus Idar-Oberstein – ebenso sein Opfer. Er sei polizeilich bisher nicht in Erscheinung getreten. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fanden die Ermittler die Tatwaffe sowie weitere Schusswaffen und Munition. Die Herkunft der Waffen muss laut Polizei noch geklärt werden.
Informationen, ob der Tatverdächtige im Milieu der Corona-Skeptiker:innen und Verschwörungsgläubigen* aktiv war, lagen vorerst nicht vor. Der Journalist und Szene-Experte Julius Geiler schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Seit anderthalb Jahren warnen viele Kollegen und Kolleginnen, die sich mit den Thema beschäftigen, vor einer radikalisierten Corona-Bewegung.“ (tvd/ktho/tu mit dpa/AFP) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.