RIPE77: Von der Kunst, IPv6-Adressraum zu verbrennen

IPv6-Adressen gibt es wie Sand am Meer, was manchen Operator verleitet, mit Adressraum zu prassen. Das kann die Lebensdauer des Protokolls drastisch verkürzen.

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IPv6
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Von
  • Monika Ermert

340 Sextillionen Adressen lassen sich mit den dafür vorgesehenen 128 Bits in IPv6 darstellen. Bis jetzt haben die fünf IP-Adressvergabestellen gerade mal eine dünne Rahmschicht aus dem fett gefüllten Topf vergeben. Diesen Topf auszulöffeln, sollte eigentlich 50 bis 100 Jahre dauern. Doch das Verbrennen von Adressbits kann den Prozess erheblich beschleunigen, warnte der IPv6-Experte Benedikt Stockebrand, einer der Vorsitzenden der IPv6-Arbeitsgruppe des RIPE, beim 77. Treffen der europäischen Adress-Selbstverwaltung in Amsterdam.

Wenn die Leute die Zahl 340 282 366 920 938 463 463 374 607 431 768 211 456 hören, werden sie überaus großzügig bei der Nutzung von IP-Adressen, sagte Stockebrand in Amsterdam. Adressen als solche kann man nicht signifikant "verschwenden", aber sobald Daten in Adressen eingebettet werden, halbiert jedes dafür verwendete Bit den verfügbaren Adressraum. "Die vielen IPv6-Adressen zu verbrennen, dauert. Bits verbrennen geht dagegen schnell“, rechnet Stockebrand vor.

Benedikt Stockebrand mahnt auf dem RIPE77-Treffen, Adressbits in IPv6 nicht zum Kodieren anderer Information zu missbrauchen. Sonst sei der riesige IPv6-Adressraum schon viel früher als erst in 50 bis 100 Jahren ausgeschöpft.

(Bild: Monika Ermert)

Weil jedes einzelne nicht zur Adressierung verwendete Bit das nutzbare Adressvolumen für sich halbiert, lassen 8 Info-Bits es folglich auf ein 256stel schrumpfen. So lässt ein Operator in einem vermeintlich harmlosen, kleinen Schritt gleich enorme 99,6 Prozent des ihm zugeteilten Adressraums verdampfen. Das ihm typischerweise zugeteilte /32-Netz schrumpft effektiv auf ein /40, aus 232 Subnetzen (rund 4,3 Milliarden), die er vergeben könnte, werden 224 (gut 16,8 Millionen). Sollten die Adressverwalter deshalb irgendwann dazu übergehen müssen, kleinere Netze zu delegieren, dürfte bei IPv6 dasselbe Schlussverkaufsgedrängel losgehen wie vor wenigen Jahren bei IPv4.

Stockebrand fühlte sich nicht zuletzt durch Vorschläge der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) zu den Kalkulationen animiert. Die ITU diskutiert aktuell Vorschläge zu IPv6-Adressierungsplänen, die gleich bis zu 16 Bits für IPv6-fremde Dinge missbrauchen wollen. Eine Idee sieht vor, Telefonnummernpläne im IPv6-Adressraum abzubilden. Allein dieses Vorhaben würde den riesigen IPv6-Adressraum um ein halbes Prozent schrumpfen lassen. "Auf die Art verkürzen wir dann die Zeit bis zum Ende von IPv6 leicht auf zwei Dekaden oder weniger", erklärte Stockbrand.

Schon die ganz normale "Verschwendung" sorgt für einen schnelleren Runout: Manche Institutionen strukturieren ihren Adressraum nicht anhand ihrer Netztopologie, sondern analog zur eigenen Organisation und sehen dabei gleich großzügige Reserven auf allen Ebenen, von der zentralen IT über verschiedene regionale oder lokale Standorte bis hin zu Abteilungen oder Teams vor. Problematisch sei ebenso, für Hierarchiestufen stets gleich 4 Adressbits herzunehmen, wenn auch weniger genügen würden, weil sich diese leicht auf die bei IPv6 gebräuchlichen Hex-Ziffern abbilden lassen.

Nicht zuletzt gibt Stockebrand zu bedenken, dass der zögerliche Umstieg auf IPv6 den tatsächlichen Bedarf derzeit noch kaschiert. Seine Empfehlung: Flachere Hierarchien in den Adressierungskonzepten und darauf zu verzichten, am Ende auch noch die Mailadresse des AdminC in der IPv6-Adresse zu kodieren.

Gleichzeitig sei es durchaus in Ordnung, wenn Kunden von ISPs ein /48-Netz bekommen, selbst wenn sie erstmal nur 1000 Geräte ins Netz bringen wollen. Wenn die Adressierungsmöglicheiten von IPv6 deshalb schon in 40 statt 80 Jahren zur Neige gingen, sei das kein Problem, meint Stockebrand. Bis dahin kann man sich ja Gedanken über ein neues Protokoll machen, denn IPv6 wird anno 2058 auch schon stramm aufs Rentenalter zugehen. Aber dass Provider beim RIPE NCC große Adressräume anfordern, ihren Kunden hingegen nur ein /62 zugestehen, sei nicht so recht einzusehen. (ea)