Auto

Mehr Plaste als der Trabant Bayer K67 - Kunststoffauto aus dem Westen

Der K67 wirkt mit seinen 60 Jahren auch heute noch erstaunlich modern und so gar nicht aus der Zeit gefallen.

Der K67 wirkt mit seinen 60 Jahren auch heute noch erstaunlich modern und so gar nicht aus der Zeit gefallen.

(Foto: Covestro)

Kunststoff-Karosserien sind kein Hexenwerk, ein ganzes Auto inklusive Bodengruppe aus Plastik zu fertigen dagegen schon. Zusammen mit BMW hat sich Bayer in den 60er-Jahren an dieses bis heute einmalige Experiment gewagt.

Das Heck des K67: eingezogen wie seinerzeit bei der Corvette.

Das Heck des K67: eingezogen wie seinerzeit bei der Corvette.

(Foto: Michael Gebhardt)

Ein Auto komplett aus Kunststoff? Na klar, der Trabbi! 1957 begann in Zwickau die Fertigung des Trabant, dessen Karosserie aus bis zu 100 Lagen Baumwollresten aus der UdSSR bestand, die mit Phenolharz getränkt wurden. Sogar noch ein paar Jahre früher dran war die Corvette, die bis heute der glasfaserverstärkten Kunstharz-Karosserie treu geblieben ist. Und trotzdem war es eine Sensation, als Bayer 1967 auf der Kunststoffmesse in Düsseldorf mit dem K67 das erste Vollkunststoff-Auto der Welt präsentierte.

Das Besondere am K67 ist nicht nur die in leuchtendem RAL-2000-Orange lackierte Karosserie aus Kunststoff - auch die Bodengruppe ist aus glasfaserverstärktem Epoxidharz gefertigt, der Tank aus rotationsgegossenem Polyamid, und zum allerersten Mal kommt auch ein Armaturenbrett aus geschäumten Polyurethan zum Einsatz. Eine Revolution, deren Anfänge gar nicht mehr so genau nachvollziehbar sind.

Der Tankdeckel des K67 ist natürlich nicht aus Kunststoff.

Der Tankdeckel des K67 ist natürlich nicht aus Kunststoff.

(Foto: Michael Gebhardt)

Es muss zu Beginn der 60er-Jahre gewesen sein, als Blech, Stahl und Glas noch den Autobau dominierten. Der damalige BMW-Manager Paul Hahnemann und der einstige Bayer-Vorstand Hermann Holzrichter trafen aufeinander, warum, weiß heute keiner mehr genau. Sicher aber ist, dass die beiden, wahrscheinlich bei einem edlen Tropfen aus dem Bayer-eigenen Weinkeller, eine gemeinsame Vision entwickelten. Sollte der Leverkusener Chemie-Gigant die Kunststoffentwicklung für ein Auto übernehmen, so die Ansage des Münchners, den sie wegen seiner Vorliebe für besondere Projekte auch Nischen-Paule nannten, wird BMW die Fahrzeugtechnik bereitstellen.

Nur einer fährt noch

Eine Idee, die die beiden Geschäftsmänner fortan nicht mehr los lassen sollte. Vor allem für die Ingenieure der einstigen Bayer-Kunststoff-Sparte Material Science, die inzwischen als eigenständiges Unternehmen - Covestro - zum weltweit führenden Anbieter für die Grundstoffe Polyurethan und Polycarbonat aufgestiegen ist, war es eine einmalige Chance, die Autoindustrie auf den Kunststoff-Geschmack zu bringen und damit die eigenen Auftragsbücher zu füllen.

Auch im Innenraum setzte man beim K67 ganz auf Kunststoffe.

Auch im Innenraum setzte man beim K67 ganz auf Kunststoffe.

(Foto: Michael Gebhardt)

Einmal beschlossen, hat sich ein ganzes Team begeisterter Forscher darangemacht, den nach seinem Erscheinungsjahr kurzerhand K67 getauften Plastik-Flitzer zu entwickeln. Schließlich ging es den ehrgeizigen Vorständen nicht darum, einen nach Modellbau-Manier zusammengeflickten Prototypen auf die Räder zu stellen, sondern ein serienreifes Auto zu entwickeln, das eine Straßenzulassung erhalten kann. Schon damals schrieb der Gesetzgeber dafür vor, dass mindestens fünf Fahrzeuge gebaut werden mussten - und das diese die einschlägigen Crash-Tests zu überstehen hatten. Denen sind drei der fünf gebauten Exemplare zum Opfer gefallen, ein weiteres Fahrzeug steht inzwischen im Deutschen Museum in München. Einen einzigen K67 aber gibt es noch, der regelmäßig aus der Leverkusener Covestro-Garage ins Freie entlassen wird und frischen Fahrtwind durch seinen Kühlergrill einatmen darf.

Strahlende Schönheit

Genau der stand an jenem heißen Sommertag zu einer Ausfahrt ins Bergische Land bereit und strahlte mit der Sonne um die Wette. Der Zahn der Zeit, so scheint es, hat kein bisschen am K67 genagt. Weder am Kunststoff, der so frisch ausschaut, als wäre er gerade erst dem Chemielabor entsprungen, noch am Design. Hans Gugelot, der unter anderem auch den Braun Elektrorasierer und die Hamburger S-Bahn entworfen hat, zeichnete persönlich die filigranen Linien des K67 und hat italienischen Sportwagen-Stil mit französischem Charme verbunden.

Der Autor mit dem K67 auf du und du.

Der Autor mit dem K67 auf du und du.

(Foto: Michael Gebhardt)

Vor allem auf die Details hat der Designer und Architekt Wert gelegt, an denen das Auge unweigerlich hängenbleibt und sich gar nicht sattsehen kann. Die schier unendlich lange Motorhaube zum Beispiel, die aufgesetzten Talbot-Spiegel mit integrierten Blinkern, die nicht vorhandenen Türgriffe, der in die C-Säule eingelassene Tank-Deckel, die schmale Front mit den runden Scheinwerfern, das weit nach hinten gerückte Greenhouse, die flach abfallende Dachlinie mit der gläsernen Kuppel und das eingezogene Heck mit den BMW-typischen 60er-Jahre-Rundleuchten. Die Liste an schmückendem Zierrat ist schier endlos.

Der Duft der Vergangenheit

Langsam streichen die Finger über die weichen Kanten, zweimal, dreimal, viermal schleicht der Autor staunend um den Wagen, der jetzt endlich wieder auf die Straße darf. Die Lizenz dazu hat er, frisch aufgeklebt bescheinigt die TÜV-Plakette auf dem LEV-K-67-H-Kennzeichen, dass das Kunststoffauto auch heute noch allen Sicherheitsvorschriften entspricht. Nach dem Anlassen weht einem allerdings erst einmal der Duft der Vergangenheit um die Nase. Benzin liegt in der Luft, ein Geruch, der reicht, um bei jeder modernen Abgasnorm-Prüfung durchzufallen.

Das Triebwerk hat BMW zum K67 beigesteuert.

Das Triebwerk hat BMW zum K67 beigesteuert.

(Foto: Michael Gebhardt)

Zum K67 aber gehört er wie das Zweitakt-Knattern zum Trabant. Schließlich ist der K67 kein ausgefeilter High-Tech-Computer, sondern ein richtiges Auto. Eins, das mit vollem Körpereinsatz gefahren werden will, wie man beim Einlegen des ersten Ganges und erst recht beim ersten Bremsversuch deutlich spüren kann. Der Bremskraftverstärker heißt Oberschenkel-Muskel, die Servolenkung wird durch den Bizeps ersetzt.

Vertraute Technik

Und trotzdem: Schon nach wenigen Kilometern wirkt der K67 vertraut. Vielleicht liegt es daran, dass die Technik unter dem Blech - pardon: Kunststoff - nicht unbekannt ist: Für den Antrieb sorgt der gleiche Zwei-Liter-Sauger, der auch im BMW 2000 zum Einsatz kam und dessen Erbauer es sich nicht haben nehmen lassen, sich auch im K67 mit dem weiß-blauen Propeller-Logo auf dem Schalthebel des Viergang-Getriebes zu verewigen.

120 Pferde beflügeln den ultraleichten K67.

120 Pferde beflügeln den ultraleichten K67.

(Foto: Michael Gebhardt)

Dass der Vierzylinder mit seinen 120 PS wahrlich leichtes Spiel mit dem K67 hat, merkt man schnell. Schließlich wiegt das Bayer-Auto - Kunststoff sei Dank - nur schlappe 850 Kilogramm und damit weniger als ein aktueller Smart. Das, zusammen mit der windschnittigen Form, befähigt den Leverkusener zu beachtlichen 190 km/h Höchstgeschwindigkeit; in den 60er-Jahren ein respektabler Sportwagenwert. Ob er die heute auch noch erreicht? Die Frage wird unbeantwortet bleiben, denn der Autor hat es nicht ausprobiert. Zu groß ist die Angst, dass die Kraft im rechten Bein doch nicht reicht, um den Wagen wieder sicher zum Stehen zu bringen, und der Respekt vor dem letzten ersten Vollkunststoff-Auto der Welt.

Kunststoff ist auf dem Vormarsch

Das ist schließlich selbst sechs Jahrzehnte nach seiner Premiere eine Besonderheit. Auch wenn Kunststoffe aus dem Fahrzeugbau heute nicht mehr wegzudenken sind, machen sie derzeit doch einen recht geringen Teil aus. Gerade mal 15 Prozent eines Neuwagens werden aus Polycarbonat, -propylen, -urethan und Co. gefertigt. Der Durchbruch, den sich die K67-Väter für die Kunststoffbranche gewünscht hatten, lässt also noch auf sich nach warten.

Die aktuelle Entwicklung spielt Plaste-Experten wie Covestro allerdings in die Hände, denn mit zunehmender Elektromobilität und Automatisierung treten die Kernkompetenzen des Kunststoffbaus wie Gewichtsreduktion, sichere Batterieumhausungen, Durchlässigkeit für Radarstrahlen oder individuelles Design weiter in den Vordergrund. Und wer weiß: Vielleicht wagen sich die Leverkusener ja wieder einmal an ein eigenes Auto. Einen ersten Vorgeschmack haben sie mit der Neuzeit-Studie K2016 immerhin schon gegeben.

Quelle: ntv.de

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