Mülheim. Für Tengelmann wird die Lage immer ernster. Der Konzern macht wöchentlich große Verluste. Und jetzt laufen auch noch Mitarbeiter über.

Die angeschlagene Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann steht vor einer entscheidenden Woche: Die Chefs der Handelsketten Edeka, Tengelmann und Rewe wollen sich an einen Tisch setzen, um in letzter Sekunde abzuwenden, was seit Monaten befürchtet wird: Die Zerschlagung der unrentablen Supermärkte von Kaiser’s Tengelmann, an dessen Ende Tausende Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren könnten.

Wie dramatisch die finanzielle Lage der Kette ist, geht nun aus einem Schreiben des Geschäftsführers von Kaiser’s, Raimund Luig, an Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub hervor. Der Brief liegt dieser Zeitung vor. „Die Umsätze sinken allein in diesem Jahr um 13,5 Prozent zum Vorjahr“, schreibt Luig. Das Geschäftsjahr werde das Unternehmen mit einem Defizit von 90 Millionen abschließen. 2017 werde sich die Lage weiter deutlich verschlechtern. „Besonders kritisch“ sei es in Nordrhein-Westfalen.

Auch in Berlin schließen Kaiser’s Märkte

Nach Luigs Darstellung laufen Mitarbeiter zu Wettbewerbern über, die sich als Nachmieter der Filialen ins Gespräch brächten. In der Mülheimer Zentrale habe es 100 Eigenkündigungen gegeben. Im Oktober müsse deshalb das Team „Nationales Qualitätsmanagement“ aufgelöst werden. Noch sei das Unternehmen unter Kontrolle. Das könne sich aber ändern, sollte die Hängepartie noch Monate oder gar Jahre weitergehen. Für einen solchen Fall könne man eine ordnungsgemäße Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes nicht mehr garantieren, schreibt der Geschäftsführer.

Tengelmann-Chef Haub indes scheint verstanden zu haben. Am kommenden Freitag will er dem Gezerre um die Zukunft der Supermärkte ein Ende bereiten. Auf einer Sitzung des Aufsichtsrats wird er eine rigorose Streichliste vorlegen: 18 Filialen sollen schon zum Jahresende schließen. Auch für 46 Filialen, die eigentlich Edeka übernehmen wollte, gibt es den Plänen zufolge ohne den Verkauf keine Zukunft. 3000 der 5000 zu streichenden Stellen entfallen auf NRW, der Rest auf Berlin und München entfallen.

Vermittler könnte ein Ex-Wirtschaftsminister werden

Dieses Szenario versuchen die Supermarkt-Bosse nun noch abzuwenden: Für das Spitzengespräch Anfang der Woche hatte auch die Gewerkschaft Verdi geworben. Stefanie
Nutzenberger, Vorstandsmitglied für den Handel bei Verdi, rief alle drei Chefs an. Als Mittler wurde Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ins Gespräch gebracht. Der 76-Jährige gibt sich bislang zurückhaltend. „Ich weiß darüber nichts“, sagte Clement dieser Zeitung und gab sich besorgt: Es könne nicht sei, dass in dieser Woche 5000 Arbeitsplätze wegfallen.

Seit zwei Jahren versucht Tengelmann-Eigentümer Haub vergeblich seine Supermärkte an Edeka zu verkaufen. Zunächst stoppte das Kartellamt die Fusion. Daraufhin legte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sein Veto ein. Dagegen wiederum hatte Rewe-Chef Alain Caparros erfolgreich geklagt. Auch Rewe hat ein Interesse daran, einen Teil der Filialen zu übernehmen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab Rewe recht. Edeka und Gabriel sind anschließend vor den Bundesgerichtshof gezogen.

Rewe könnte seine Klage zurückziehen

Caparros, dem durch die Rücknahme seiner Klage eine Schlüsselrolle zufallen könnte, gibt sich versöhnlich. In einem Brief an Tengelmann-Inhaber Haub signalisierte er Gesprächsbereitschaft. Ein Rewe-Sprecher betonte, man stehe seit jeher bereit, bei Kaiser’s Tengelmann langfristig Arbeitsplätze und Tariflöhne zu sichern. Noch ist offen, was Edeka und Tengelmann Rewe für eine etwaige Rücknahme der Klage bieten. Von den über 400 Kaiser’s-Filialen können nach Vorgaben des Kartellamts nur rund 140 an die Marktführer abgegeben werden.