Prozess gegen Silvio S.:"Was hast du mit meinem Kind gemacht?"

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Von "unbegreiflichen Straftaten" spricht der Richter. Für die Morde an den Jungen Elias und Mohamed erhält Silvio S. beinahe das härteste Urteil, das das deutsche Strafrecht vorsieht.

Von Sophie Burfeind, Potsdam und Oliver Klasen

Der Richter ist gerade dabei vorzulesen, welche Qualen ihr vierjähriger Sohn erleiden musste, da hält es Aldijana J. - die Mutter von Mohamed - nicht mehr auf ihrem Sitz im Gerichtssaal. Sie springt auf, versucht auf die Anklagebank zuzustürmen und schreit mit heiserer Stimme durch den Raum: "Du Arschloch! Was hast du mit meinem Kind gemacht?"

Sicherheitsleute halten sie zurück, dann läuft sie schluchzend aus dem Saal - und Silvio S., der Angeklagte, wischt sich mit einem Papiertaschentuch den Schweiß aus den Augen.

Äußerlich gefasst nimmt er das Urteil auf

Lebenslange Haft wegen zweifachen Mordes an Mohamed und dem sechsjährigen Elias, zusätzlich die besondere Schwere der Schuld - das ist das Urteil, das der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter und seine Kammer am Ende dieses Prozesses fällen.

Es ist nahezu das härteste, was das deutsche Strafrecht vorsieht. Eine Entlassung auf Bewährung nach 15 Jahren ist damit deutlich erschwert. Lediglich die von der Staatsanwaltschaft geforderte Sicherungsverwahrung, die vorgesehen ist, um die Allgemeinheit vor extrem gefährlichen Tätern zu schützen, halten die Richter bei Silvio S. nicht für geboten. Ein Gutachter hatte S. nicht als typischen Wiederholungstäter gesehen. Der Staatsanwalt ließ offen, ob er deshalb gegen das Urteil Revision einlegen wird.

Um 10.12 Uhr betritt der Angeklagte den Gerichtssaal. Er hält sich einen Pappordner vor das Gesicht, um sich vor den Fotografen zu schützen, die zu Anfang Bilder machen dürfen. Anwesend sind neben Mohameds Mutter auch dessen ältere Schwester sowie die Mutter des getöteten Elias und ihr Lebensgefährte.

Mit blassem Gesicht sitzt Silvio S. auf der Anklagebank, dem schmalen Mann im blauen T-Shirt sieht man nicht an, was in ihm vorgeht. Äußerlich gefasst nimmt er das Urteil auf. Danach sitzt er drei Stunden lang fast regungslos auf der Anklagebank, blickt den Richter an, schüttelt nur ab und zu den Kopf oder verbirgt das Gesicht in seinen Händen.

Von "unbegreiflichen Straftaten" spricht Horstkötter. "Sie haben zwei Kinder entführt, ihrer Freiheit beraubt, sexuell missbraucht und nach unserer Erkenntnis vorsätzlich in der Absicht getötet, die vorausgegangenen Straftaten zu verdecken. Sie haben alles seit Langem geplant, eine Tasche mit Werkzeugen mitgeführt. Sie sind kein Mensch, der spontan handelt", so der Richter.

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Der mutmaßliche Mörder von Mohamed und Elias entschuldigt sich am letzten Verhandlungstag. Die Verteidigung fordert lebenslänglich - ohne anschließende Sicherheitsverwahrung.

Mohameds Mutter spricht er ein Schmerzensgeld in Höhe von 20 000 Euro zu. Zudem soll S. für Folgeschäden bei ihr und der älteren Schwester des Jungen aufkommen. Anschließend zitiert er aus den polizeilichen Vernehmungen und referiert die Lebensumstände von Silvio S. Es ist, das wird in der Urteilsbegründung deutlich, das Leben eines Mannes, der sich nie richtig von seinem Elternhaus abgelöst und der nie einen Platz gefunden hat in der Gesellschaft. In der Schule ausgegrenzt, mehrere Lehren abgebrochen, keine sozialen Kontakte, den Job als Wachmann vor allem deshalb angenommen, weil man dabei möglichst wenig mit Menschen zu tun hat.

Silvio S. hört sich das alles an, schüttelt mehrmals den Kopf und zerknüllt das Papiertaschentuch in seiner Hand. Während des gesamten Prozesses hat er geschwiegen. Erst am letzten Verhandlungstag vergangene Woche wandte er sich mit einer kurzen Erklärung an die Familien der getöteten Jungen: "Es gibt kein Wort auf der Welt, das beschreiben könnte, wie leid es mir tut. Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es tun. Ich selbst aber kann mir das nicht verzeihen", heißt es darin.

Konkrete Angaben zum Tathergang macht er vor Gericht nicht. So muss es sich auf die polizeilichen Vernehmungen stützen und auf die objektiven Beweise für die Schuld des Angeklagten. Silvio S., das sieht das Gericht als erwiesen an, lockt Elias im Juli 2015 in sein Auto, als der Sechsjährige vor dem Wohnhaus seiner Familie in Potsdam spielt. Über seine letzten Stunden ist so gut wie nichts bekannt. Klar ist nur: Das Kind stirbt nach Ansicht eines Gerichtsmediziners durch "gewaltsames Ersticken". Die Leiche des Jungen vergräbt Silvio S. in einer Kleingartenanlage.

Nur wenige Monate später, Anfang Oktober, fährt S. zu dem als Flüchtlingsunterkunft genutzten Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. Es ist der Höhepunkt der Flüchtlingskrise, S. weiß um die chaotischen Zustände dort. Der vierjährige Mohamed steht mit seiner Mutter in einer Schlange von Menschen, die um Sozialleistungen bitten. S. lockt ihn in sein Auto, im Wohnhaus seiner Eltern misshandelt er den Jungen und erdrosselt ihn mit seinem Gürtel - aus Angst, seine Eltern könnten das weinende Kind hören. Die Leiche legt er in eine Plastikwanne und bedeckt sie mit Katzenstreu.

Als seine Mutter ihren Sohn einige Wochen später auf Fahndungsfotos erkennt, stellt sie ihn erst zur Rede und schaltet dann die Polizei ein. Bei seiner Festnahme sagt S. aus, noch einen weiteren Jungen getötet zu haben - Elias.

Einem Gutachter zufolge ist Silvio S. voll schuldfähig, er leide weder an einer psychischen Erkrankung, noch sei er pädophil. Die beiden Kinder habe er vor allem aus einem Grund als Opfer ausgewählt - weil sie wehrlos gewesen seien.

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