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Die Lage am Montag Liebe Leserin, lieber Leser,

SPD-Chef Martin Schulz muss sich derzeit viel Spott anhören, weil er seine Worte, er werde niemals eine Koalition mit der Union eingehen, aufessen muss wie einen steinharten Laib Brot. Dabei war die Kanzlerin ebenso unvorsichtig, bevor sie sich in die Sondierungen über eine mögliche Jamaikakoalition stürzte. "Es ist offenkundig, dass die SPD auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig ist", sagte Angela Merkel Anfang Oktober auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. "Wir sollten deshalb keine weiteren Gedanken darauf verschwenden."

Heute nun will die CDU-Spitze in Berlin über die anstehenden Gespräche mit den Sozialdemokraten nachdenken. Vielleicht fragt zur Abwechslung mal jemand Merkel, warum sie so rasend schnell ihre Meinung geändert hat.

Das Dogma der Grünen

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Keine Partei quält sich so mit der Diskrepanz zwischen Dogma und Realität wie die Grünen. In der Praxis sind sie längst eine arrivierte bürgerliche Kraft, was sich zuletzt in den Jamaika-Sondierungen zeigte, wo die Grünen so konstruktiv waren, dass es der Kanzlerin ganz warm ums Herz wurde. Der einzige Sponti am Tisch hieß Christian Lindner. Immer dann allerdings, wenn Personalfragen anstehen, geht es zu wie in den Achtzigerjahren. Robert Habeck würde gerne neuer Parteichef werden, was eine gute Idee ist, weil ihm zumindest in Schleswig-Holstein gelungen war, den öden Flügelproporz aufzulösen.

Genau dieser aber droht nun wieder auf dem Bundesparteitag im Januar: Habeck gilt als Realo und braucht deshalb nach der grünen Logik eine linke Frau an seiner Seite. Die stünde mit Simone Peter bereit, aber nicht mal die Linken in der Partei wollen die Amtszeit der Parteichefin verlängern. Zwar kandidiert nun auch Annalena Baerbock, eine talentierte Umweltpolitikerin aus dem Bundestag. Die allerdings gehört wie Habeck dem Realo-Flügel an.

Kampf gegen den inneren Söder

Falls Sie heute zu früh aufgestanden sind und sich noch einmal ein Stündchen aufs Ohr hauen wollen, kann ich Ihnen als Einschlafhilfe die Interviews von Markus Söder empfehlen. Seit er sich am vergangenen Montag im Machtkampf gegen Horst Seehofer durchgesetzt hat, ist Söder auf allen Kanälen, und er klingt, als würde er sich nicht als neuer bayerischer Ministerpräsident bewerben, sondern als Deutschlands oberster Paartherapeut. Von den Schlachten der letzten Wochen will er gar nichts mitbekommen haben, und für Seehofer ist er voll des Lobes. Man werde eine "Verantwortungsgemeinschaft" bilden. Was immer das nun heißt.

Wenn man so will, hat sich Söder zuletzt mit offensiver Langeweile den Weg in die Staatskanzlei freigekämpft. Ich habe Söder immer als einen Mann kennengelernt, dem kein Spruch zu martialisch war, sein Problem war vor allem sein chronischer Testosteronüberschuss. Seit allerdings die Bundestagswahl so desaströs für die CSU ausgegangen ist, übt sich Söder in stiller Demut. Kaum ein Zitat, das auf seine Ambitionen schließen ließ. Die Partei probte den Aufstand gegen Seehofer, aber Söder schien merkwürdig unbeteiligt. Dass er am Ende gegen Seehofer gewann, liegt vor allem daran, dass es Söder gelungen ist, den Söder in sich zu bezwingen.

Gewinner des Tages...

Foto: Martin Schutt/ dpa

...ist Frank-Walter Steinmeier. Heute startet der Bundespräsident zu einer Reise nach Afrika. Es ist die erste in seiner fast einjährigen Amtszeit, bei der es ihm herzlich egal sein kann, ob sie nun Niederschlag in der deutschen Presse findet oder nicht. Lange hat Steinmeier nach einem Thema für seine Präsidentschaft gesucht und nicht gefunden, was auch daran lag, dass er im Vergleich zu seinem wortgewandten Vorgänger Joachim Gauck wirkt wie ein braver Staatssekretär, der ans Rednerpult gezwungen wird, weil der Chef gerade nicht kann.

Nun hat nicht Steinmeier ein Thema gefunden, sondern ein Thema ihn: In den Wirren nach dem Platzen der Jamaika-Gespräche war er es, der im Gestus des strengen Landesvaters Union und vor allem die SPD dazu ermahnte, die Republik nicht führungslos vor sich hintreiben zu lassen. Ob die Große Koalition zustande kommt, steht noch in den Sternen, aber Steinmeier schwebt schon jetzt, wie mein Kollege Marc Hujer beobachtet hat. Allerdings ist Glück in der Politik immer nur ein Zustand des Augenblicks: Was, wenn Steinmeier am Ende als Vater eines Bündnisses gilt, das besser nie das Licht der Welt erblickt hätte?

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Einen schönen Montag wünscht,

Ihr René Pfister