Verkehr in den Städten:Modellstädte erteilen Gratis-ÖPNV eine Absage

Kreuzung Kaiserring: Mannheim gilt als Modellstadt bei der Erprobung, die Stickoxid-Belastung in deutschen Städten zu senken.

Blick von oben auf eine ganz normale Straßenkreuzung in einer ganz normalen Stadt: Mannheim, Kaiserring.

(Foto: Andreas Teichmann/laif)
  • Fünf deutsche Städte sollen dem Bund darlegen, wie sie die Stickstoffdioxid-Emissionen in den Griff bekommen wollen. Dann könnten sie von einer millionenschweren Förderung profitieren.
  • Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim haben Konzepte mit vielen unterschiedlichen Ideen ausgearbeitet.
  • Ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr spielt darin jedoch keine Rolle mehr.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Stefan Mayr, Stuttgart

Die Liste der Vorschläge ist lang, und es sind einige Ideen dabei, die wegweisend sein könnten. Eine Handy-App mit Bus-Ruf-Funktion etwa, städtische Zuschüsse beim Kauf von Elektro-Fahrrädern und vor allem das dicke "blaue Umweltpaket" der Stadt Reutlingen. Das enthält für Besitzer älterer Dieselautos ein Angebot im Wert von je 3 500 Euro, wenn sie im Rathaus ihren Fahrzeugschein abgeben. Nur eine Idee spielt keine Rolle mehr: Straßenbahnen und Busse zum Nulltarif.

An diesem Donnerstag endet für fünf deutsche Städte die Frist für eine seltene Offerte. Sie dürfen dem Bund darlegen, wie sie die Stickstoffdioxid-Emissionen in den Griff bekommen wollen. Es soll eine millionenschwere Förderung geben, und das nicht irgendwann, sondern quasi übermorgen. Denn die fünf Städte sollen helfen, Deutschland aus einem Schlamassel zu befreien.

Nicht von ungefähr wurden die Modellstädte erstmals in einem Brief nach Brüssel erwähnt. Vorigen Monat hatten die drei Minister Barbara Hendricks (SPD), Christian Schmidt (CSU) und Peter Altmaier (CDU), seinerzeit noch verantwortlich für Umwelt, Verkehr und Kanzleramt, die EU-Kommission zu besänftigen versucht. "So schnell wie möglich" wolle man europäische Vorgaben für saubere Luft umsetzen, schrieben sie an Umweltkommissar Karmenu Vella. "Wir erkennen den bestehenden Zeitdruck." Neue Gesetze für saubere Busse und Taxis, Vorgaben für den Schwerlastverkehr in Städten, eine Erneuerung der Fahrzeugflotte - die Liste der Vorschläge ist lang. Selbst einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr boten die Minister an, ein geradezu revolutionärer Vorschlag - alles zu erproben in den fünf Modellstädten.

Die betroffenen Bürgermeister erfuhren von ihrem Glück erst wenige Stunden bevor der Brief rausging. Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim - sie alle haben flott Konzepte ausgearbeitet. Alle fünf gehören zu jenen knapp 70 Städten, in denen der europäische Grenzwert verletzt wird; in denen Fahrverbote drohen, sollten sie das Problem nicht anderweitig in den Griff kriegen. Ihre Pläne sollen zeigen, wie's geht.

Wer den Fahrzeugschein abgibt, kann sich über Geschenke freuen

Fristgerecht haben die Städte nun teils umfangreiche Förder-Pakete geschnürt. Sie dokumentieren durchaus Entschlossenheit, den Autoverkehr zu reduzieren und so die Luftbelastung unter die Grenzwerte zu drücken. Allen voran Reutlingen. Das so genannte "blaue Umwelt-Paket" der parteilosen Oberbürgermeisterin Barbara Bosch klingt ehrgeizig und kostet geschätzte elf Millionen Euro pro Jahr. Sie will allen Haltern von Diesel-Fahrzeugen unterhalb der neuesten Euro-6-Norm ein großzügiges Angebot machen: Wer ein Jahr lang auf sein Auto verzichtet und den Fahrzeugschein abgibt, kann sich auf etliche Geschenke freuen: Die Stadt zahlt nicht nur ein Jahres-Abo für den gesamten Verkehrsverbund Neckar-Alb-Donau, das auch außerhalb der Familie übertragbar ist. Sondern auch eine Bahn Card 50 plus den Mitgliedsbeitrag für den lokalen Carsharing-Anbieter plus ein 250-Euro-Taxi-Gutscheinheft plus zehn Tagestickets für die Metropolregion Stuttgart, bei dem bis zu fünf Personen mitfahren können. Zahlen müsste das alles der Bund.

Auch Herrenberg, die kleinste der fünf Städte, hat sich einiges einfallen lassen: Oberbürgermeister Thomas Sprißler will zusammen mit den Konzernen Daimler und Bosch eine Handy-App entwickeln, die unter anderem Ride-on-Demand-Angebote testen soll. Damit könnten Bürger per Smartphone den Bus bestellen, der dann je nach Bedarf individuelle Strecken und Haltestellen ansteuert. Obendrein will Sprißler den Preis für das City-Monatsticket halbieren. Für den Kauf von Lastenrädern und E-Bikes will Herrenberg Zuschüsse lockermachen, den eigenen Fuhrpark mit Elektro-Autos und Pedelecs ergänzen. Jedenfalls, wenn der Bund mitspielt.

Kostenloser ÖPNV? Großes Echo, kleine Chancen

Die Stadt Essen kündigt neue Park-and-Ride-Plätze mit Shuttle-Bussen und zusätzliche Radwege an. Und Gratis-Busse? Allenfalls "Vergünstigungen" seien denkbar, heißt es.

Mannheim und Bonn haben ihre Konzepte noch nicht offengelegt. Doch auch bei ihnen gilt es als ausgeschlossen, dass Gratis-Busse kommen. Beide Kommunen hatten schon erklärt, dass sie das für keine gute Idee halten. Mannheims ÖPNV-Dezernent Christian Specht nannte die Idee eine "Illusion" und rechnete vor: Sollte der Verkehrsverbund Rhein-Neckar seine öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos anbieten, würde das mindestens 300 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich kosten. Auch Bonns OB Ashok Sridharan erteilte dem Nulltarif-Nahverkehr im Februar eine Absage, trotz der potenziell üppigen Förderung durch den Bund. So bleibt der kostenlose Nahverkehr die Idee mit dem größten Echo - und den kleinsten Chancen.

Tübingen will den kostenlosen ÖPNV, darf aber nicht mitmachen

Wer nun wie viel Geld für welche Projekte bekommt, ist noch offen. Das Bundesumweltministerium will die Pläne prüfen, vor allem mit Blick auf ihre Wirksamkeit in der Luft. Dies ist im Vorfeld von Modellprojekten logischerweise nicht ganz einfach. Entscheiden muss am Ende die Bundesregierung, und zwar rasch. Das haben die Minister schließlich zugesagt.

Kurioserweise gibt es eine Stadt, die die Gratis-Busse gerne sofort rollen lassen würde. Tübingen habe sogar ein durchgerechnetes Konzept dafür in der Schublade, tönt Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Aber Tübingen hat der Bund nicht als Modellstadt vorgesehen. So bleibt die Idee vom Gratis-Bus vorerst nur auf dem Papier - auf dem Briefpapier nach Brüssel.

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