Amokalarm an Kölner SchuleLehrer berichtet von bangen Minuten im Klassenzimmer

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Einsatz Gesamtschule Mülheim

Polizei und Feuerwehr sind zur Gesamtschule Ferdinandstraße in Mülheim ausgerückt.

Köln-Mülheim – Die dritte Stunde hat gerade begonnen, als um kurz nach zehn Uhr an der Gesamtschule Ferdinandstraße in Mülheim plötzlich die Klingel ertönt. Es ist ein kurzes Schellen, danach eine Pause. Dann immer wieder Klingeln, Pausen, minutenlang geht das so. Jeder hier weiß, dass dies der Code für den Amokalarm ist. „Ich habe sofort die Tür abgeschlossen und den Schülern gesagt, dass sie unter die Tische kriechen sollen“, wird ein Lehrer später berichten.

Die Fünftklässler bleiben erstaunlich ruhig. Etwas später sind draußen dutzende schwer bewaffnete Polizisten zu sehen. Einige Kinder bekommen jetzt Angst, fangen an zu weinen, berichtet der Deutschlehrer, der hier nicht namentlich genannt werden möchte. Er ahnt schnell, was später klar werden wird: dass es ein Fehlalarm ist. „Wenn hier ein Amokläufer unterwegs wäre, würden wir jetzt Schüsse und Schreie hören“, sagt er seinen Schülern zur Beruhigung. „Ich hatte selbst keine Angst und habe versucht, den Kindern das vorzuleben“, sagt der Lehrer.

Amokalarm in Köln: Auch Montessori-Grundschule evakuiert

Etwa eine Stunde sitzt er mit der Klasse unter den Tischen, bis sie das Spezialeinsatzkommando (SEK) rausholt. Raum für Raum wird durchkämmt, insgesamt 700 Menschen, darunter 600 Schüler müssen raus. Auch die benachbarte Montessori-Grundschule mit rund 270 Kindern und 30 Lehrern und Betreuern wird evakuiert.

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Die Schule liegt in der Nähe der Zoobrücke gegenüber den Messehallen. Die Schüler werden gesammelt und betreut.

Begleitet von Polizisten flüchten die Menschen von dem Gelände, gehen geordnet aber gezielt zur rund 500 Meter entfernten Messe, wo in einem Tagungsraum eilig eine Sammelstelle eingerichtet wird. Weinende Schüler sind zu sehen, neben ihnen mit Maschinenpistolen bewaffnete SEK-Beamte, dutzende Feuerwehrleute. Viele Schüler überfordert die Situation sichtlich. Vier müssen wegen Kreislaufproblemen behandelt werden, auch Psychologen sind in der Halle. Aber spätestens hier wissen alle, dass sie in Sicherheit sind. Was genau passiert ist, bleibt lange unklar.

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Mehrere Schulklassen befinden sich bereits in einer Halle der Kölner Messe

Amokalarm: Keine Hinweise auf konkrete Bedrohungslage

Schüler, Lehrer und Eltern informieren sich über Online-Medien, mehrfach twittert die Polizei, dass „keine Hinweise auf eine konkrete Bedrohungslage“ vorlägen. Gewissheit aber, dass niemand zu Schaden gekommen ist, gibt es über mehrere Stunden nicht. Umso erlöster fallen sich besorgte Freunde in die Arme, die sich erst hier wohlbehalten wiederfinden. Und umso größer ist die Erleichterung bei den Eltern, die ihre Kinder nun abholen dürfen.

Viele Grundschüler toben auf dem Boden herum, scheinen nicht zu begreifen, warum sie hier und nicht im Klassenraum sind. Lehrer laufen mit Listen von Namen umher, auf der Suche nach ihren Schülern. Ein Junge ist stolz, eine Polizeiweste anzufassen. Ein kleines Mädchen sitzt unter einem Tisch und weint, ein Lehrer versucht zu trösten.

Amokalarm: Polizei Köln gibt offiziell Entwarnung

Am frühen Nachmittag beginnt sich die Sammelstelle zu leeren. Die Polizei gibt nun auch offiziell Entwarnung. Die Schulen werden wieder freigegeben. Warum der Fehlalarm ausgelöst wurde, bleibt am Freitag unklar. Ein technischer Defekt wird vermutet. Die Polizei ermittelt.

Sicher ist nur, dass „eine tatsächliche Bedrohungslage zu keiner Zeit vorlag“, wie die Polizei mitteilt. Für alle Betroffenen endet die Woche dennoch mit einem großen Schreck. In der Halle ruft eine Lehrerin den Schülern noch zu: „Niemand wird euch böse sein, wenn ihr am Montag keine Hausaufgaben habt.“

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