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M. Streck: Last Call Was japanische Puffs und Kekse im Kanzleramt mit dem Brexit zu tun haben

In Deutschland heißt Nein auch Nein. In Japan heißt Ja oft Nein. Und in Großbritannien heißt Brexit ganz entschieden Jein. Eine kleine Kulturreise.

Vor Jahren war ich einmal in Japan. Japan ist das Land des Jein. Das ist gelegentlich problematisch. Einmal rief ich gemeinsam mit einem Freund und Kollegen ein Taxi, das uns zurück ins Olympische Dorf von Nagano bringen sollte. Das Pressedorf, unvergessen, hieß Yanagimachi. Ein sehr werter Kollege einer sehr angesehenen deutschen Zeitung hasste Yanagimachi so sehr, dass er vor seiner Abreise nach Deutschland ernsthaft erwog, in den Flur zu scheißen. Das tat er am Ende doch nicht. Aber schon deshalb ist mir Yanagimachi unvergesslich.

Wir bestiegen das Taxi, sprachen Yanagimachi unserer Meinung nach mehrmals unfallfrei aus, der Taxifahrer nickte und sagte "hai". "Hai", das lernten wir zügig im Laufe der nächsten dreiviertel Stunde, kann aber auch durchaus Nein bedeuten oder einfach auch gar nichts. Wir fuhren und fuhren und nach 45 Minuten waren wir in etwa dort angekommen, wo wir eingestiegen waren. Dort stiegen wir dann auch wieder aus.

Wenige Tage zuvor hatten wir bereits erfahren, dass man in Japan nie Nein sagt, aber Ja eben auch nicht richtig. Wir waren auf dem Weg zum Essen, verirrten uns in der Altstadt, sahen dort zu unserer Freude keine Touristen und fühlten uns richtig erhaben. Zwei Europäer ganz tief in Japan.

Abenteuer im Puff

Wir waren schön doof. Enterten ein Etablissement, aus dem es köstlich roch, sahen am Tresen einen Mann sitzen, vor dem ein Teller stand, dessen Essen wunderbar aussah. Die Damen hinter dem Tresen kicherten, sprachen aber kein Wort Englisch. Wir deuteten auf den Teller des Mannes, setzten uns, bestellten ein Bier, das wir auch bekamen. Und ich bekam obendrein von einer der kichernden Damen einen Telefonhörer in die Hand gedrückt.

Der Mann am anderen Ende sprach Englisch und fragte mich überaus höflich, was wir wollten. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass wir gerne etwas essen wollten. Da lachte der Mann und sagte, wir könnten dort wirklich alles kriegen, und würden unseren Besuch gewiss nicht bereuen, aber kein Essen. Er war da sehr entschieden für japanische Verhältnisse. Nach einiger Zeit dämmerte mir endlich, dass wir in einem Puff gelandet waren, ich bedankte mich recht herzlich bei dem Japaner am anderen Ende, reichte den Hörer zurück, die Damen bekamen unsere Konversation nun in ihre schöne Sprache übersetzt und kicherten noch mehr.

Nachdem wir unser Bier zügig geleert hatten, bedeuteten wir den Damen recht deutsch und unverblümt, dass wir auf weitere und andere Dienstleistungen keinen besonderen Wert legten. Das verstanden sie, geleiteten uns auf die Straße, kicherten und winkten uns nach, und vorbeieilende Japaner müssen gedacht haben, dass die beiden Europäer viel Spaß hatten im Puff. Hatten wir auch. Aber immer noch Hunger.

In Großbritannien ist nicht alles so einfach wie in Deutschland

So ging das immer weiter vor fast 20 Jahren in Japan. Ein Missverständnis folgte auf das nächste Missverständnis.

Diese Episoden kommen mir dieser Tage wieder häufiger in den Sinn, wenn ich an die Bedeutung des simplen Ja und Nein denke. Japaner und Briten sind sich nämlich darin sehr ähnlich. Natürlich gibt es im Englischen das simple Yes und das simple No. Aber das heißt ja noch nichts. In Irland ist es vergleichsweise einfach. Wenn einem in Irland eine Tasse Tee angeboten wird und man gerne eine Tasse Tee hätte, sagt man aus lauter Freundlichkeit so lange Nein, bis die Gastgeber das dritte Nein einfach ignorieren und sagen, sie würden sich sowieso selbst eine machen und für den Besuch gleich mit.

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In Deutschland ist es auch vergleichsweise einfach. Wenn einem in Deutschland eine Tasse Kaffee angeboten wird und man gerne eine hätte und aus lauter Freundlichkeit Nein sagt, kriegt man auch keine. Nein heißt in Deutschland nein. Ich hatte das völlig vergessen. 

Unbedingt Kekse nehmen

In Großbritannien ist es nicht so einfach. Nein heißt keinesfalls nein. Und Ja heißt auch keinesfalls Ja. Die Briten sind in dieser Hinsicht die Japaner Europas. Das führt gerade vor und während der EU-Scheidungsverhandlungen zu Missverständnissen. Die Briten, konzidierte der BBC-Korrespondent Damien McGuiness neulich in einem hübschen Beitrag würden einfach nicht glauben können, dass Angela Merkels Nein zu irgendwelchen Zugeständnissen auch wirklich ein Nein meint. Ist aber so. Er schlug deshalb seiner Landsfrau May vor, unbedingt Kekse zu nehmen, wenn im Kanzleramt bei Gesprächen über den EU-Austritt in Berlin Kekse gereicht werden sollten. Ein Nein zu Keksen, meint auch Nein zu Keksen. In Deutschland zumindest.

Andererseits ist es so, dass Theresa Mays "Brexit means Brexit" auch keiner mehr so richtig mehr ernst nimmt, seit Frau May der japanischen Autofirma Nissan versicherte, dass Brexit means Brexit eigentlich Jein meint Jein meint. Nissan hatte unverhohlen damit gedroht, den Standort Großbritannien zu verlassen. Nun bleiben sie doch. Die Briten fragen sich deshalb, was ihre Regierung den Asiaten wohl versprochen hat. Der für den Deal zuständige Minister, Greg Clark, weigert sich jedenfalls den Inhalt seines Briefes an die japanischen Autobauer preiszugeben. Wegen des schönen Wetters bleibt Nissan bestimmt nicht. Es muss um großzügige Versprechungen und viel Geld gegangen sein. Denn Japaner können ja nicht Nein sagen.

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