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Taubenberg

So hat Sicherheit auf der B31 Vorfahrt

Lindau / Lesedauer: 6 min

Die Lindauer Zeitung sucht Lösungswege
Veröffentlicht:19.04.2018, 14:09

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23. Dezember 2017: Ein 41-jähriger Autofahrer stößt frühmorgens auf Höhe Taubenberg auf der B 31 frontal mit dem entgegenkommenden Kombi eines Vaters zusammen. Den Rettungskräften bietet sich ein Bild des Grauens. Beide Fahrer werden in den Wracks eingeklemmt. Der 41-Jährige stirbt noch an der Unfallstelle, der 52-Jährige Vater wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Seine Söhne kommen mit dem Schock davon.

Kein Einzelfall. Auf der B31 kracht es immer wieder – und zwar auf der ganzen Strecke. Viele Lindauer meiden die Straße aus Angst, in einen Unfall verwickelt zu werden. „Ich fahr da gar nicht mehr. Für mich heißt die Todesstraße“, sagt eine Lindauerin in der Facebook-Gruppe „Du weißt, dass Du aus Lindau bist“. Eine andere ergänzt: „Ich tucker lieber durch die Orte und fahr früher los.“ Viele berichten von gefährlichen Überholmanövern, Rasern und brenzligen Situationen. Und alle sind sich einig: „Tote und Verletzte gab es schon zu viele.“


Mehr Sicherheit mit Fahrerassistenzsystemen: Michael Fieseler, Sprecher von Continental Lindau.

Die B31 ist eine der vielbefahrensten Bundesstraßen Deutschlands. 2017 waren laut Polizei durchschnittlich 21 900 Fahrzeuge pro Tag unterwegs. Obwohl es dort immer wieder schwere Unfälle gibt, gilt der bayerische Teilabschnitt offiziell nicht als Unfallschwerpunkt, wie Daniel Stoll von der Polizei Lindau betont. Es gebe jedoch einige Stellen, an denen die Polizei „Unfallhäufungen“ verzeichne: die Auffahrt Sigmarszell, wo im Oktober 2017 deswegen eine Ampel gebaut wurde, die Auffahrt Schönbühl (B12), bei der im Laufe dieses Jahres die Einfahrtsspur Richtung Friedrichshafen verlängert wird, und auf Höhe Taubenberg, wo die Schutzplanken verlängert und der Bewuchs im Seitenraum zurückgeschnitten wurden.

Missachtung des Sicherheitsabstandes ist Hauptunfallursache

Betrachtet man die Unfallursachen, so gibt es eine Überraschung: Die Hauptunfallursache ist laut Stoll die Missachtung des Sicherheitsabstandes, gefolgt von Verstößen gegen das Rechtsfahrgebot. „Erst dann kommen mit großem Abstand Fehler beim Überholen und Verstöße gegen die Vorfahrt“, sagt Stoll. Geschwindigkeitsüberschreitungen stellten laut Unfallstatistik „kein relevantes Problem“ dar. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den schweren Unfällen: Hier ist mit großem Abstand (mehr als 60 Prozent) ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot die Unfallursache Nummer eins. Erst weit danach kämen Fehler beim Überholen.

Problematisch ist laut Polizei und Straßenbauamt Kempten das hohe Verkehrsaufkommen und der Kolonnenverkehr. „Dadurch sinkt die Konzentration“, sagt Stoll. „Gerade wenn es nur langsam voran geht, steigt die Gefahr, dass der Fahrer unaufmerksam wird und dann Fehler macht“, sagt Werner Schmid vom Staatlichen Bauamt Kempten. Wenn man ewig hinter einem Laster herfahre, fange man eben an, am Radio oder am Handy rumzuspielen.

Bleibt die Frage, wie die Straße menschliche Fehler besser verzeihen kann. Weitere Geschwindigkeitsbegrenzungen neben der Anschlussstelle Sigmarszell (70 km/h) und am Tunnel Diespoldsberg (80 km/h) hält Stoll für „nicht zielführend“. Da die gefahrenen Geschwindigkeiten nicht hoch sind, seien auch Geschwindigkeitskontrollen und feste Blitzer nach Ansicht der Polizei keine Lösung. Auch ein totales Überholverbot lehnt Stoll ab, da es an einigen Stellen gute Sichtweiten gebe. Ein stellenweises Überholverbot – wie es bald bei Kressbronn verwirklicht wird – , halte er jedoch für „denkbar“. Genau die falsche Botschaft bringe laut Schmid eine Beschilderung mit Hinweis auf sichere Überholmöglichkeiten auf der Autobahn: „Nutze jede Überholmöglichkeit, denn so richtig geht’s erst nach sieben Kilometern.“

Keine schnelle Lösung

Die Unfallkommission, bestehend aus Vertretern des Staatlichen Bauamtes, Polizei und unterer Verkehrsbehörde (Landratsamt), hält den Ausbau des Streckenabschnitts für die wirksamste Maßnahme. Auch wenn diese erst wieder im Frühsommer tagt, sagt Schmid schon jetzt: „Ein vierstreifiger zweibahniger Querschnitt ist wesentlich sicherer als der vorhandene.“ Als Gründe hierfür nennt er die bauliche Mitteltrennung, den Abbau des Überholdrucks und die geringe Ermüdungsgefahr.

Doch bis der gebaut wird, müssen sich die Autofahrer noch gedulden. Das Problem: Der Ausbau wurde im Bundesverkehrswegeplan vom Freistaat Bayern angemeldet, nicht jedoch vom Baden-Württemberg. Schmid wagt derzeit „keine Prognose“, wann im bayerischen Bereich die Planungen aufgenommen werden können.

Der dreispurige Ausbau verspreche laut Schmid auch keine schnelle Lösung: Da auch hier ein Eingriff in private Grundstücke erforderlich wäre, wäre der Aufwand ähnlich groß wie beim vorgesehenen vierspurigen Ausbau. Selbst der Einbau einer Mittelleitplanke lasse sich nicht ohne eine Verbreiterung der Straße umsetzen, betont Schmid.

Der beste Beifahrer ist die Technik

Der Mensch ist laut Dekra Verkehrsstatistik in weit über 90 Prozent der Unfälle verantwortlich. Experten aus verschiedenen Gebieten setzen daher große Erwartungen in die Technik. Michael Fieseler, Unternehmenssprecher von Continental Lindau, führendes Unternehmen bei Fahrerassistenzsystemen, ist überzeugt: „Fahrerassistenzsysteme helfen Unfälle zu vermeiden.“


Yvonne Roither

Laut Dekra Verkehrssicherheitsreport ließe sich fast die Hälfte der Unfälle vermeiden oder zumindest reduzieren, wenn alle Fahrzeuge mit entsprechenden Systemen ausgestattet wären. Der Verkehrssicherheitsrat verfolgt sogar die „Vision Zero“: Bis 2050 soll es nahezu keine Verkehrstoten mehr geben. Auf dem Weg dorthin spielt die Technik eine große Rolle.

Notbremsassistent, Toter-Winkel-Warner, Verkehrszeichenerkennung, intelligenter Tempomat und 360- Grad-Kamerasysteme unterstützten nicht nur den Fahrer in alltäglichen Situationen, sondern „stehen bereit, um in kritischen Situationen einzugreifen“, sagt Michael Fieseler. Die Technik diene dazu, typische menschliche Verhaltensweisen auszugleichen. „Sie lässt sich nicht ablenken, ermüdet auch nicht und reagiert ohne Schrecksekunde.“ Fieseler erwartet sich vom Notbremsassistenten, der bei vielen Neufahrzeugen schon zur Grundausstattung gehört und bei neu zugelassenen Lastwagen Pflicht ist, einen ähnlich signifikanten positiven Einfluss auf die Unfallzahlen wie bei Sicherheitsgurten, ABS, Airbags oder elektronischer Stabilitätskontrolle.

Nicht fehlerfrei

Der demografische Wandel mit zunehmend älteren Fahrern ist ein weiteres Argument für mehr Fahrzeugsicherheit. Wichtig sei hier, dass die Technik „intuitiv und selbsterklärend“ sei. Dann werde sie auch genutzt.

Doch auch die Technik ist nicht fehlerfrei. Fahrerassistenzsysteme unterstützen den Fahrer, sie nehmen ihn aber nicht aus der Verantwortung, betont der Experte. Die tödlichen Unfälle in jüngster Zeit mit selbstfahrenden Autos haben bei manchen die Erwartungen in das vollautomatisierte Fahren gebremst. Für Fieseler wird es dann ein Erfolg, wenn bei der Entwicklung die „Robustheit und Zuverlässigkeit solcher Systeme“ im Fokus stehe.

Kommentar: Es ist auch unsere Aufgabe, für mehr Sicherheit zu sorgen

Jeder Unfall ist einer zu viel. Hinter jedem Toten steht eine menschliche Tragödie. Eine, die vielleicht zu vermeiden gewesen wären. Aber sind wir doch mal ehrlich: Wer von uns ist nicht schon mal gedankenverloren Auto gefahren, hat noch schnell aufs Handy geguckt oder doch noch überholt, weil die Zeit wieder einmal knapp war? Wie oft hatten wir einfach nur Glück?

Die B31 ist weniger das Problem als der Mensch, der auf ihr fährt. Der kann wahrlich jede Hilfestellung in Form von technischer Unterstützung brauchen. Und auch die Straße sollte möglichst viele seiner Fehler verzeihen. Aber auch der vierspurige Ausbau, sollte er denn kommen, wird nicht alle Probleme auf der B31 lösen. Es ist auch unsere Aufgabe, für mehr Sicherheit auf der Straße zu sorgen. Dazu gehört vor allem, im Straßenverkehr mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen und uns auf das zu konzentrieren, was wir im Moment machen: Autofahren.