Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Gigi schläft nicht, nicht jetzt

Wie sich das wohl anfühlt, Italiens letzte Hoffnung zu sein? Die WM ist futsch, bleibt die Champions League, und auch dort ist es alles andere als selbst­verständlich für Juventus Turin und die AS Roma, die Viertelfinals zu erreichen. Dass Vorjahresfinalist Juve heute inLondon gegen Tottenham Hotspur noch nicht mal als Favorit antritt, liegt am verpatzten Hinspiel. In Turin hatten die Gastgeber schnell 2:0 geführt, dann übernahmen die Spurs das Zepter und schafften ein Unentschieden.

Jenseits des beschämenden Ergebnisses offenbarte die Vorstellung sämtliche Hemmnisse, mit denen Juventus indieser Saison zu kämpfen hat. Das von Massimiliano Allegri trainierte Team, das noch vor einem Jahr zumindest die beste Defensive in Europa stellte, zeigt nach dem Wegzug Leonardo Bonuccis (zur AC Milan) Schwächen in der Hintermannschaft. Dazu ein Mittelfeld, in dem Weltmeister Sami Khedira nicht gerade als Ideenmotor glänzt – und eine für Juventus-Verhältnisse allzu launische Offensive.

Das Virus grassiert umgekehrt

Für die Serie A reicht das alles – fast. Auch nach der 2:4-Klatsche gegen die AS Roma am vergangenen Wochenende bleibt Napoli ein harter Konkurrent. International müht man sich gewaltig. Früher hiess es: Wenn Juventus Schnupfen hat, kriegt die Nationalmannschaft eine Grippe, weil der Turiner Club traditionell die meisten Spieler in die Squadra azzurra entsandte. Heute hat man das Gefühl, das gelte umgekehrt. Das Aus für das Nationalteam in der WM-Qualifikation lastet auf Juventus und womöglich nicht nur auf den Italienern im Team.

Besonders schwer trägt Gianluigi Buffon daran, Torhüter und Captain. In gleicher Funktion wirkte Buffon auch bei den Azzurri, aber nach der Niederlage gegen Schweden im WM-Playoff im November hatte er einen tränenreichen Abschied von der Nationalelf genommen. Jetzt will er für die Testspiele gegen England und Argentinien Ende März zurückkehren. Die Entscheidung wurde von Luigi Di Biagio verkündet, dem U-21-Trainer, der derzeit auch als Interimscoach der A-Auswahl fungiert. Einen neuen Nationaltrainer hat Italien nämlich immer noch nicht.

Die Audienz bei der «Familie»

Die Reaktionen auf Buffons Rücktritt vom Rücktritt sind gespalten. Einerseits bildet der beliebte Captain unbe­stritten das Rückgrat der Mannschaft, sowohl bei Juve wie bei den Azzurri. Buffons Charisma reicht weit über den Strafraum hinaus. Andererseits verhindert der 40-Jährige nach Ansicht der Kritiker einen Neuanfang. Er selbst hatte vor Monaten angekündigt, im Mai seine Aktivkarriere bei Juventus beenden zu wollen. Doch in letzter Zeit wird Buffon nebulös, wenn er darauf angesprochen wird. Er müsse zuerst mit Präsident Andrea Agnelli sprechen, erklärt er immer wieder, als handele es sich bei diesem Gespräch um eine lang vorher anzuberaumende Audienz. Dabei ist Buffon so eng mit Agnelli, dass er gar Patenonkel der jüngsten Präsidententochter ist, also fast schon Familienmitglied. Dazu passt, dass Agnelli, der selbst nur zwei Jahre älter ist als sein 40-jähriger Captain, geduldig beteuert, natürlich bestimme Gigi selbst über seine Zukunft.

«Ein Grosser wie Gigi darf nicht einfach so nach einer Niederlage gegen Schweden abtreten», glaubt Di Biagio, der Lückenbüsser beim Nationalteam. Wenn schon, dann mindestens ein Halbfinal gegen Deutschland! Nach dieser Logik darf Buffon genauso wenig von Tottenham geschlagen die Champions League verlassen. Wie würde das denn aussehen? Gerade noch zum besten Welttorhüter gekürt und dann von Hugo Lloris entthront? Der ist zwar Rekordtorhüter der Franzosen, die zur WM fahren. Aber Gigi ist Gigi, weswegen schon mal die beruhigende Nachricht verkündet werden sollte, dass der Auftritt gegen Tottenham im Wembley-Stadion nicht sein letzter sein soll auf europäischer Bühne.

Den Appetit wieder anregen

Oder doch? Und was meint eigentlich Massimiliano Allegri dazu? Nun, der Juve-Coach ist gerade vor allem damit beschäftigt, irgendwie die Motivation in seinem Team zu halten. Nach sechs Meistertiteln in Serie und zwei verlorenen Champions-League-Endspielen in drei Jahren ist das für Allegri unstreitig die grösste Herausforderung. Und wer weiss, wie oft er selbst und Buffon ins­geheim daran gedacht haben, dass der Schlusspfiff in Cardiff, nach dem 1:4 im Final 2017 gegen Real Madrid, eigentlich der beste Moment für einen Abgang gewesen wäre.

Jetzt schlägt man sich halt so durch. «Wir sind nicht die Favoriten!», hatte Allegri nach dem Hinspiel getobt, so sauer wie selten zuvor. Tatsächlich hat Juventus im Rückspiel viel aufzuholen, die Wettbüros sehen Tottenham vorn. Den Engländern fehlt die taktische Finesse der Italiener, deren Routine, ja Abgebrühtheit. Für sie spricht, dass sie schlicht mehr Hunger haben und die bessere Offensive. Bei Juve setzt man – Mario Mandzukic ist angeschlagen, Gonzalo Higuain in einer melancholischen Phase – auf Paulo Dybala (24), einen Spezialisten später Siegtore. Zuletzt schlug der Argentinier in der Nachspielzeit gegen Lazio zu, die Partie am Samstag endete 1:0 und war ein Beispiel für jenen Calcio cinico, den man mit Alle­gri längst überwunden glaubte: den Gegner betäuben («narcotizzare» heisst diese aparte Taktik) und dann bei der ersten und letzten Gelegenheit schachmatt setzen.

Ob das auch in London funktioniert? Einer jedenfalls wird ganz bestimmt nicht schlafen: Gigi Buffon in seinem Kasten. Nicht jetzt. Nicht gegen Tottenham.