Von Amsterdam nach Singapur: Ein Mann, ein Rad, ein Zelt
Mit dem Fahrrad durch 18 Länder "Wenn die Kette in der Wüste reißt, bist du erledigt"
Martijn Doolaards Leben passt in einen kleinen Pappkarton. Zumindest jenes Leben, das er ein Jahr lang führte, als er auf seinem Rad durch die Welt fuhr. "Das hier hat mir gute Dienste geleistet", er greift in den Karton, zieht ein Messer mit Lederhülle raus. "Nur: Gegen die Hunde, von denen ich ein paar Mal angegriffen wurde, hat es mir auch nicht geholfen." Er wirft es zurück in die Kiste, zu der rumpeligen Thermoskanne, der Plastikdose mit dem Kaffee, dem Fahrradflickzeug aus Indien.
Der 33-jährige Holländer hat seine Ausrüstung samt Fahrrad im Geländewagen nach Berlin gefahren, um zu erzählen, was man für eine solche Reise alles braucht: von Amsterdam bis Singapur, 16.000 Kilometer, durch 18 Länder. Eine Strecke, die sieben Schläuche und vier Ketten verschliss, die Griffe waren schon in Istanbul durch, Ersatz immer dabei, denn: "Wenn dir die Kette in der Wüste reißt, bist du erledigt".
Aber sein Gepäck war nicht wegen der Ersatzteile so schwer. Sondern weil er eine Kamera, vier Objektive, ein massives Stativ und seinen Laptop mitschleppte. Es hat sich ausgezahlt, das beweisen die Aufnahmen, die unterwegs entstanden: Aus dem Reiseblog , den der Grafikdesigner führte, ist ein via Crowdfunding finanziertes Fotobuch geworden - mit allem, was man wissen muss über Visumsregeln (komplex), Klamottenbedarf (gering) und internationale Überlebensnahrung ("Gorp", kurz für "good old raisins and peanuts", Studentenfutter eben).
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Hauptsache weit weg
Das wichtigste Utensil aber lehnt an einer Säule: sein Rad. "Ich habe es gerade neu ausgestattet", sagt Doolaard und deutet auf den Lenker, der die Triathlonversion abgelöst hat, den blitzenden Gepäckträger vorne, die noch staubfreie Lenkertasche mit der aufgenähten Hollandfahne. Dass der Ledersattel hingegen bequem eingefahren ist, und die quietschgelben Taschen schon viel ausgehalten haben, ist unübersehbar.
Den Entschluss, seinen Freelancer-Job ruhen zu lassen und loszufahren, traf er Ende 2014 von einem Tag auf den anderen. Er kaufte sich Rad und Ausrüstung, testete es auf einer Mini-Tour durch die Schweiz - und machte sich im Frühling auf gen Osten. Durch Deutschland und Rumänien in die Türkei, dann weiter gen Iran, Indien, Myanmar runter bis Singapur.
Er verliebte sich in diese Art des Unterwegsseins: "Du musst nicht über Staus, Parkplätze oder Benzin nachdenken. Und auch nicht darüber, wo du übernachtest", sagt Doolaard. Sein Zelt schlug er in transsylvanischen und burmesischen Wäldern, am Salzsee in der Türkei, in der Wüste Turkmenistans auf.
Doolards Route
Foto: Martijn Doolaard/ Gestalten VerlagDass das Ziel seiner Tour Singapur war, war eher Zufall, nicht so wichtig, Hauptsache weit weg. Denn ums Ankommen ging es gar nicht: "Es ging mir um alles dazwischen." Er habe fünf Jahre in einem erlebt, erzählt er, verknallte sich in Bukarest in eine junge Frau, geriet in Kirgisien in einen Schneesturm, der sein Rad zufror und gab in Indien fast auf, zu voll, zu eng war es ihm nach all der Zeit allein.
Sich selbst wiederentdecken
"Man muss immer im Moment bleiben", sagt Doolaard. "Wenn man losradelt und nur an Istanbul denkt, ist das ein langer Weg. Diese Lektion habe ich auf die harte Tour gelernt. Auch wenn ich stundenlang über tschechische Landstraßen fahre, muss ich etwas finden, das jetzt gerade toll ist."
Und natürlich gehören auch all die ins Klischee rutschenden Bonmots übers Träumen, die Achtsamkeit, die Liebe zur Welt zu seiner Reise: "Ich glaube nicht, dass man sich selbst finden kann", sagt der Holländer mit dem Zauselbart. "Man kann sich höchstens wiederentdecken."
Von Amsterdam nach Singapur: Ein Mann, ein Rad, ein Zelt
Gerade auch, weil er so viele Menschen traf . Er war dieser Typ mit Rad, das machte alle neugierig. Er unterhielt sich, indem er Fotos auf seinem Smartphone zeigte. Und er wurde bedauert: "Du Armer!", sagten ihm viele, so ohne Frau, ohne Kinder. "Und dann stellten sie sich neben das Rad und legten ihre Hände auf den Lenker", Doolaard greift vor sich in die Luft. "Und schon begannen sie, zu träumen." Weil sie begriffen, fügt er an, dass es möglich ist, ohne viel Geld zu reisen. "Es ist billiger, als mit dem Rucksack unterwegs zu sein."
Ein Teekocher aus Isfahan
Wenn ihn das Heimweh packte, griff er sich die Kopfhörer, die immer an seiner Lenkerstange baumelten neben dem Smartphone, das er an Tankstellen und Kiosken auflud. Und so hörte er sich durch den Soundtrack, der ihn an zu Hause erinnerte. Nun sind die Songs neu belegt: Die Lieder von "The National" mit Budapest; "Hey Ma" mit seiner Zeit in Istanbul; und auf seinem Weg durch Tschechien hörte er Radiohead rauf und runter.
Wenn er nun ans Woanders denkt, greift er zu seinen Souvenirs. Ein handgeschmiedetes Messer. Eine Gitarre. Ein Stück Salzsee. Einen Teekocher aus Isfahan. Aber der Tee, er schmeckt in Holland nicht: "Du kannst deine Erlebnisse zu Hause nicht reproduzieren", er zuckt mit den Schultern. Er hat ja sein Buch, die Bilder.
Wie sehr ihn die Reise geprägt hat, sieht man, wenn er die Ärmel seines Safarihemds hochgekrempelt hat. Auf den rechten Unterarm hat er sich das Logo seines Blogs tätowieren lassen. "Espiritu Libre" steht da in Schnörkelschrift, Schwarz wie Kettenfett.
One Year on a Bike: From Amsterdam to Singapore
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Dass er sein Rad nun umgerüstet hat, liegt an seinem neuen Plan. Er zieht wieder los. Eigentlich, erzählt er, wollte er nach Südamerika, doch vom Winter in den Winter, ach. Also plante er um - und macht sich jetzt auf in die USA. Einmal quer rüber, von Miami an die Westküste, eventuell weiter nach Kanada. Er will nun vor allem Menschen porträtieren, mit ihnen reden. Was er seinen Freunden gesagt hat? "Ich bin mal ein paar Monate weg."