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Schauspielerinnen erinnern ältere Menschen in Paderborn an früher

Gedichte auf dem Dach

Paderborn (WB). Von jedem Menschen bleibt etwas in Erinnerung – und wenn es Birnen sind. Mit dieser tröstlichen Botschaft aus dem Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ beendete Barbara Fressner am Freitag eine außergewöhnliche Lesung.

Dietmar Kemper

Johannisstift-Mitarbeiterin Petra Weber bedankt sich im Namen der Bewohner mit Blumen bei den Schauspielerinnen Claudia Sutter (links) und Barbara Fressner.
Johannisstift-Mitarbeiterin Petra Weber bedankt sich im Namen der Bewohner mit Blumen bei den Schauspielerinnen Claudia Sutter (links) und Barbara Fressner. Foto: Dietmar Kemper

Auf dem Dach eines Altenheimes trug die Paderborner Schauspielerin zusammen mit ihrer Kollegin Claudia Sutter fünf klassische Balladen vor. Mit viel Ausdruck in der Stimme und dazu passender Gestik und Mimik. Sowohl für das Theater Paderborn als auch für das Sankt Johannisstift war es eine Premiere. Nachdem am Donnerstag „Der Handschuh“ und „Die Bürgschaft“ von Schiller sowie Goethes „Erlkönig“, Droste-Hülshoffs „Der Knabe im Moor“ und eben Fontanes Gedicht im Innenhof zu hören gewesen waren, hingen am Freitag elf Seniorinnen und Senioren im Alter zwischen 68 und über 90 auf der schmucken Dachterrasse des Carl-Böttner-Hauses an den Lippen der beiden Schauspielerinnen.

Außergewöhnliche Kooperation

Theater und Pflegeeinrichtung waren die außergewöhnliche Kooperation gerne eingegangen. „Wir wollten etwas Karitatives machen“, sagte der Dramaturg des Theaters, Daniel Thierjung, am Freitag. Das Sankt Johannisstift wiederum wollte den älteren Menschen eine schöne Abwechslung im Alltag verschaffen und erreichen, „dass etwas Bekanntes wieder aufploppt“, wie es die Mitarbeiterin Stefani Josephs ausdrückte.

Erinnerungen an die Schulzeit sollten also aufkommen, und das Konzept ging auf. Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner sprachen still die Zeilen mit. Und es sind ja auch wahrlich Zeilen für die Ewigkeit. „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte“: Wer kennt diese Worte aus Schillers „Bürgschaft“ nicht?

20 Minuten Abwechslung

Auch bei Menschen mit Demenz könnten Gedichte einiges bewirken, weiß Stefani Josephs: „Sie sorgen für Momente der Klarheit.“ Das Paderborner Theater habe gezielt Klassiker mit Wiedererkennungseffekt ausgewählt, betonte Daniel Thierjung. Ein ganzes Theaterstück aufzuführen, wie in der normalen Spielzeit im Großen Haus, hätte den technischen Rahmen gesprengt, erläuterte er. So dauerte die Lesung am Ende gut 20 Minuten. Thierjung könnte Gedichte stundenlang hören, schon als Kind hatten sie ihn in Gestalt von Hörspielkassetten begeistert: „Gedichte waren für mich die Einstiegsdroge ins Theater.“

Coronavirus erschütterte Seniorenheim und Theater

Senioreneinrichtung und Theater haben gemeinsam, dass das Coronavirus den Alltag zuletzt gehörig durcheinandergewirbelt hat. Im Pflegeheim waren die Bewohner isoliert, da ihre Angehörigen sie nicht besuchen konnten. Im Theater wiederum mussten seit März zahlreiche Vorstellungen ausfallen.

Barbara Fressner und Claudia Sutter erhielten am Donnerstag und Freitag die Gelegenheit, an einem anderen Ort aufzutreten. „Ich komme aus Österreich und kannte den ‚Ribbeck‘ gar nicht“, erzählte Barbara Fressner. So lernte sie bei der Gelegenheit noch etwas dazu. Die Auftritte vor den älteren Menschen fand sie „total schön“, und Ähnliches würde sie sich wünschen, sollte sie selbst irgendwann in ein Seniorenheim kommen. Von der Gerontofachkraft Petra Weber bekamen Fressner und Claudia Sutter bunte Sträuße geschenkt. Das passte, denn Gedichte sind die poetischen Blumen der Literatur.

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