Fünf Favoriten der Woche:Tanz im Nebel

Fünf Favoriten der Woche: Navigieren im Nebelmeer: Tänzer des Nederlands Dans Theater, choreografiert von Damien Jalet für das Streaming von "Mist".

Navigieren im Nebelmeer: Tänzer des Nederlands Dans Theater, choreografiert von Damien Jalet für das Streaming von "Mist".

(Foto: Rahi Rezvani)

Kunstraub als Brettspiel, unendlich vergnügliche Verse, ein Streaming-Angebot des Nederlands Dans Theater und ein Comic in Opernform: Die Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autoren

Tanz im Stream: "Mist" des Nederlands Dans Theaters

Während Omikron gerade eine europäische Tanzkompanie nach der anderen lahmlegt und Absagen von London bis Mailand erzwingt, hat das Nederlands Dans Theater in Den Haag filmisch vorgebaut. Am Samstag um 12 und um 20 Uhr streamt es auf seiner Website www.ndt.nl ein bewegtes und bewegendes Ritual: "Mist" modelliert Tänzerkörper wie archaische Skulpturen in eine verwunschene Nebellandschaft hinein. Wo sich zunächst noch zwei, drei verknotete Leiber aus milchigen Dunstwolken schieben, füllen bald Dampfschwaden das ganze Bild. Dicht und undurchdringlich wie maritime Nebelbänke schweben sie dahin.

Das 1959 gegründete Nederlands Dans Theater zählt zur Crème de la Crème des zeitgenössischen Tanzes, der Choreograf Damien Jalet zu den Grenzgängern des Fachs. Seine Kunst verflüssigt Körper und Räume, gerade erst hat ihn tout Paris für die Kreation "Planet [wanderer]" bejubelt. Das glibberige Environment des kinetischen Spektakels hat Jalet gemeinsam mit dem japanischen Visual Artist Kohei Nawa entworfen, der auch die raffinierte Trockeneis-Szenerie für "Mist" erfand. Die Inspiration kam aus der shintoistischen Tradition: Nebel symbolisiert dort den naturbelebenden Atem der Götter. Und so verschwinden nun die achtzehn Tänzer des Nederlands Dans Theaters in einem dreidimensionalen Sfumato, werden scheinbar vollkommen spurlos verschluckt. Nur um sich Zentimeter für Zentimeter wieder aus den Nebelwänden herauszubohren.

Auf den tranceähnlichen Auftakt folgt ein aufpeitschendes Intermezzo: Körper beugen und biegen sich wie pflanzliche Gebilde, werden unter Donnerkrachen und Windgeheul von unsichtbaren Elementarkräften vorwärtsgetrieben. Schlagartig versiegt die Energie, und Rahi Rezvanis Kamera streicht liebkosend über Finger, Haare, Gesichter. Aus der Vogelperspektive fügen sich helle und dunkle Gestalten wie Kettenglieder aneinander, bis das Arrangement zuletzt in einzelne Licht- und Rauchsäulen zerfällt.

"Mist" wirkt wie ein Gleichnis. Die labyrinthische Architektur mit ihren Schlieren, Schlünden und Strudeln aus winzigen Wassertropfen spiegelt unsere verwirrende Gegenwart. Wer Trost sucht, wird ihn hier finden. Dorion Weickmann

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(Foto: Reprodukt)

Der Comic "The Artist" von Anna Haifisch über einen liebenswerten Künstler

Es muss ein Gerücht sein, dass nur Künstler Geschichten über Künstler lieben. Anna Haifischs Comic-Protagonist, der im mittlerweile schon dritten Band als "The Artist" durch die Gegend schlackst und in erster Linie unerfüllbare Aufstiegsmotivationen hegt, ist jedenfalls äußerst liebenswert. "Die Welt wird sich mit seinem Namen zieren und kann ihn nicht mal buchstabieren", heißt es einmal in einem "Intermezzo" nach dem "fünften Akt" (der übrigens auf der Art Basel in Miami spielt). Denn der neueste Comic der Leipziger Illustratorin, "The Artist. Ode an die Feder" (im Reprodukt Verlag), ist in Opernform verfasst. Haifisch hatte ihr Buch mit gereimten Texten ursprünglich auf Englisch geschrieben, das Rückübersetzen aber nicht mehr selbst geschafft. Der Schriftsteller Marcel Beyer hat es schließlich ins Deutsche gebracht. Miryam Schellbach

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(Foto: Harmonia Mundi)

Eine Klassik-CD über eine galante Meisterdichterin: La Comtesse de Suze

Ein "agrément infini", ein unendliches Vergnügen, empfand der Großkritiker und misogyne Geschmacksexperte Nicolas Boileau bei den Versen der Comtesse de Suze. Die Comtesse, sie starb 1673, ist eine der wenigen Frauen, die damals schreibend reüssierten. Sie, die stolz ihren Namen auf ihre Publikationen drucken ließ, war der Star der Pariser Salons und feierte die Liebe in elegant galanten Versen, die die Frau oft als verschmähte Geliebte zeigen. Die Zeitgenossen waren süchtig nach dieser Poesie, die Musiker zu melancholisch sinnlichen Liedern inspirierte. Myriam Rignol, Angélique und Marc Maullion, dessen Bariton fein zu dieser Klangpoesie passt, haben diese Lieder auf einer Doppel-CD zusammengestellt, die den Hörer sehnsüchtig macht nach den Pariser Salons. (Harmonia Mundi). Reinhard Brembeck

Fünf Favoriten der Woche: "Tokyo Ride" von Ila Bêka & Louise Lemoine.

"Tokyo Ride" von Ila Bêka & Louise Lemoine.

(Foto: Bêka & Lemoine)

Fürs Fernweh: Der Film "Tokyo Ride"

Das neue Jahr beginnt ausschließlich mit Vorsätzen, die sich leicht umsetzen lassen und die Spaß machen. Deswegen: weniger Netflix-Trash a la "Emily in Paris" gucken, dafür mehr Filme mit Substanz. Zum Beispiel "Tokyo Ride" von den Filmemachern Ila Bêka und Louise Lemoine. Denn in den 90 Minuten schaffen es die beiden, Ryue Nishizawa, einem der interessantesten Architekten der Welt, so nahe zu kommen, dass man beginnt zu verstehen, warum der Japaner in seinem Werk die gebaute Welt immer wieder auf den Kopf stellt. Für die Doku hat sich das Filmemacherduo, das seit einigen Jahren großartig leichtfüßige Architekturfilme macht, in den alten Alfa Romeo von Nishizawa gequetscht und sich bei strömendem Regen durch Tokio kutschieren lassen. Und alles, was hinter den beschlagenen Fenstern zu sehen ist, weckt sofort Fernweh. Laura Weißmüller

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(Foto: Berliner Antike-Kolleg)

Kunst-Detektive: Das Brettspiel "Taskforce: Saving Antiquities"

Vor 200 Jahren wurde Heinrich Schliemann geboren, aber für die weniger heroischen Aspekte seiner Ausgrabungen interessiert man sich erst seit jüngster Zeit. Auch sonst fragte bislang kaum jemand, wie dieses und jenes Stück ins Museum kam. Das hat sich geändert mit den Debatten um NS-Raubkunst, den Gurlitt-"Schatz", den Parthenon-Fries und um Kunst aus Europas Kolonien. Überrascht stellt man nun fest, dass die Geschichte eines Kunstwerks interessanter sein kann als das Werk selbst, wenn auch nicht immer so schön. Die Wissenschaftler des Berliner Antike-Kollegs trauen ihrer früher als dröge geltenden Disziplin Provenienzforschung sogar so viel Unterhaltungswert zu, dass sie daraus mit Unterstützung des Volkswagenwerks nun das Brettspiel "Taskforce: Saving Antiquities" gemacht haben. Was hat es auf sich mit der Perle, die in einem Online-Auktionshaus angeboten wird? Woher stammt das zweifelhafte Relief, das eine Sammlerin einem Museum als Leihgabe überlassen will? Diese und andere Fälle müssen die Spieler mit Hilfe einer Reihe von Experten aufklären. Nach und nach tragen die Kunst-Detektive, darunter eine Archäologin, eine Polizistin, ein Professor und andere, ihr Wissen und die Hinweise, die sie finden, zusammen. Das Relief war in einer Privatsammlung in Göttingen ausgestellt. Diese Art von Kopfschmuck kennt man als Grabbeigabe von Würdenträgern. Und, oha, der italienische Zoll hat die Ausfuhr nie genehmigt! Zwischendurch werfen Strafkarten die Ermittlungen immer wieder zurück. Weil die Kita geschlossen ist, muss sich der Kurator um seine Kinder kümmern, nun muss es ohne seine Expertise weitergehen. Ein Serverabsturz hat das Labor außer Gefecht gesetzt. Öffentlicher Druck erhöht den Stresslevel.

Das nächste "Siedler" wird "Saving Antiquities" wohl nicht werden. Und bevor die Spieler darangehen, das Geheimnis der Perle und das Rätsel des Reliefs zu lösen, werden nicht wenige an einer anderen harten Nuss scheitern: den komplexen Spielregeln. Trotzdem: Dass Wissenschaftler ihre Zeit statt in den nächsten Vortrag in ein witzig und liebevoll gemachtes Spiel stecken, um den Nachwuchs zu begeistern, ist unbedingt zu begrüßen. Jörg Häntzschel

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