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Vaccinated Travel Lane "You are not allowed to leave your room" – Wie ich als geimpfter Tourist in Singapur die perfekte Überwachung erlebte

Pool auf dem Dach des Marina Bay Sands Resort
Statt Schwimmen lieber Fotos für Instagram: Der Infinity-Pool auf der Dachterrasse im 57. Stock des Marina Bay Sands Resort wird im Moment nur von Einheimischen besucht.
© Till Bartels
Ausgewählte Flüge ermöglichen den Singapur-Besuch ohne Quarantäne. Aber ohne Smartphone-Apps, mehreren PCR-Tests und Kontrollen geht nichts. Wie lückenlos die Überwachung funktioniert, hat unser Autor selbst erleben müssen.

Der gut dreizehnstündige Flug von Frankfurt nach Singapur liegt hinter mir, inklusive einer speziellen Einreiseprozedur als einer der ersten Teilnehmer der Vaccinated Travel Lane (VTL) zwischen Deutschland und dem Stadtstaat. Längst liege ich im Hotelbett und warte auf das Ergebnis des PCR-Tests, der noch am Changi-Airport gleich nach der Ankunft erfolgte. Zehn Minuten vor Mitternacht klingelt zum zweiten Mal an diesem Abend das Telefon auf dem Nachttisch.

Es meldet sich eine Stimme vom Singapore Safe Travel Office. "You are not allowed to leave your room". Ja, ich weiß. Nur hatten ein seit Frankfurt mitreisender Kollege und ich uns kurz nach Ankunft gegenseitig unsere direkt gegenüberliegenden Zimmer gezeigt – ein einminütiges No-Go, wie sich herausstellt. Den Videokameras auf dem Hotelflur scheint die Kurzvisite demnach nicht entgangen zu sein.

Big brother is watching you

Mit diesem und dem bereits zuvor erfolgten Kontrollanruf (mehr dazu lesen Sie hier) fühle ich mich beobachtet. Später erfahre ich, dass die Teilnehmenden der "Vaccinated Travel Line" auf einem speziellen Flur des Hauses untergebracht sind – und unter Beobachtung stehen. Werde ich auch den nächsten Tag im Hotelzimmer verbringen müssen, wann auch immer das Ergebnis vom PCR-Test vorliegt?

Irgendwann schlafe ich ein, bis mich ein E-Mail-Ton noch vor Morgengrauen weckt: PCR-Testergebnis negativ. Meine Kurzquarantäne ist beendet, ich kann das Zimmer zum Frühstück verlassen und mich ab sofort in Singapur frei bewegen.

Gehören zum gegenwärtigen Stadtbild: drei von 3000 Safe Distancing Ambassador, die aufpassen, dass sich Menschen an belebten Orten nicht zu nahekommen.
Gehören zum gegenwärtigen Stadtbild: drei von 3000 Safe Distancing Ambassador, die aufpassen, dass sich Menschen an belebten Orten nicht zu nahekommen.
© Till Bartels

Neben der Kaffeetasse liegt "The Straits Times", Singapurs große Tageszeitung. Auf der Titelseite lese ich die Überschrift: "First flight from Germany under quarantine-free scheme lands in S'pore". In dem Artikel wird Steven Ler zitiert, der Präsident der National Association of Travel Agents in Singapur, dass "der erste VTL-Flug nach dem erfolglosen Flugkorridor mit Hongkong ein Durchbruch" sei.

Der Stadtstaat setzt große Erwartungen in die Ankunft des Premierenfluges der Vaccinated Travel Line. Die von der Fläche her fast so große Metropole wie Hamburg mit ihren sechs Millionen Einwohnern ist auf Internationalität, Austausch und Tourismus angewiesen. Das multiethnische Singapur gilt seit der Unabhängigkeit von Malaysia im Jahre 1962 als Boomtown, als wichtigster Finanzplatz Asiens und globales Logistikzentrum, vom Container-Business bis zur Luftfahrt.

Wie der kleinste Staat Südostasiens unter den Grenzschließungen seit Ausbruch der Pandemie leidet, zeigt ein Blick auf die Passagierzahlen des viel gelobten Changi Airport, eine der Verkehrsdrehscheiben innerhalb Asiens, aber auch zwischen Australien und Europa. Wurden 2019 noch 68,3 Millionen Passagiere abgefertigt, waren es in den ersten sieben Monaten dieses Jahres nur 1,1 Millionen Fluggäste.

"Licht am Ende des Tunnels"

"Wir hängen sehr von der Erreichbarkeit ab", sagt mir Keith Tan, der Chief Executive vom Singapore Tourist Board. Die Stadt ist auf weltweite Verbindungen und freie Reisemöglichkeiten angewiesen, womit er sich nicht nur auf Geschäftsleute bezieht, sondern auch auf Touristen. Vor der Pandemie 2019 gehörte Singapur mit 19,11 Millionen Besuchern pro Jahr zu den Top-Ten unter den beliebtesten Städtereisezielen der Welt.

Für Herrn Tan ist die Vaccinated Travel Travel Lane ein "wichtiger Meilenstein" auf dem Weg zur Normalität. Doch er gibt zu, dass die Anforderungen für den VTL-Pass zu kompliziert sind. Ich sei eines der Versuchskaninchen, meint er augenzwinkernd. "Erst Mitte der 2020er Jahre erwarten wir eine Rückkehr zu dem Besucher-Niveau wie vor Covid-19", schätzt der Chef des Fremdenverkehrsamtes die Entwicklung ein.

Mithilfe dieser Geräte, die elektrostatisch geladenen Nebel erzeugen, werden in Singapur Hotelzimmer desinfiziert.
Mithilfe dieser Geräte, die elektrostatisch geladenen Nebel erzeugen, werden in Singapur Hotelzimmer desinfiziert.
© Till Bartels

Nicht alle 69.575 Hotelzimmer stehen wegen der ausbleibenden Singapur-Besucher leer. Ein Teil nimmt Rückkehrer nach Singapur auf, die sich unabhängig vom VTL-Programm in eine zwei- bis dreiwöchige Quarantäne begeben müssen und so lange ihr Hotelzimmer nicht verlassen dürfen. Die jeweilige Unterkunft wird ihnen zugewiesen, für die Kosten inklusive Verpflegung muss jeder selbst aufkommen – ein fast unüberwindbares Hindernis, das meist nur nach Auslandsreisen wegen familiärer Notfälle in Anspruch genommen wird.

Die Regierung unterstützt diese Häuser mit Pauschalbeträgen. Noch hat knapp die Hälfte der 422 Hotels in Singapur geschlossen. Zu denen, die wieder sehnlichst auf Gäste warten, gehört auch das legendäre Raffles Hotel. Das 1899 errichtete Kolonialhotel wurde erst nach zweijähriger Renovierung im August 2019 wiedereröffnet. "Sie sind für uns ein Licht am Ende des Tunnels", begrüßt ein Mitarbeiter in der Lobby die ersten aus dem Ausland eintreffende Gäste nach der 18-monatigen Zwangspause.

Ich möchte mir nur das Haus ansehen und einen Blick in die neugestaltete Writers und Long Bar werfen, wo vor Corona am Tag bis zu 1000 Singapore Slings ausgeschenkt wurden. Bei meinem letzten Besuch war der Boden übersät mit Erdnussschalen. Schon am späten Vormittag wurden hier Cocktails getrunken; der Laden war mit angeschickerten Gästen von den US-Kreuzfahrtschiffen gerammelt voll. Jetzt sind nur zwei Tische besetzt, die Lautsprecher verstummt.

Alles auf Abstand

Trace Together App
Sceenshots der in Singapur stets aktivierten Trace Together App (Mitte) und zwei erfolgten Anmeldungen per QR-Code und Bluetooth (links und rechts).
© Screenshot Trace Together App

Wegen Corona muss alles gesitteter zugehen, auch darf in sämtlichen Restaurants und Bars der Stadt keine Musik abgespielt werden. Durch die Beschallung werde die Konversation lauter, mehr Aerosole zirkulieren, so die Erklärung. Und wer um 22.30 Uhr seinen Wein oder das Bier noch nicht ausgetrunken hat, dem wird das Glas sanft entzogen. Die Begründung: Bei zu langem Alkoholausschank könnte man sich zu nahe kommen und die Abstandregeln nicht mehr einhalten.

Für die Nachverfolgung der Kontakte sorgt Singapurs Trace Together App, die man sofort nach der Einreise auf dem Handy aktivieren muss. Ohne die digitale Anmeldung kann kein Hotel, Shop, Museum oder Gebäude betreten werden. Anders als die Luca-App in Deutschland ist das Konzept lückenlos durchgezogen. Und der Zugang zum Internet ist in Singapur um Längen besser als in Deutschland.

Singapurs Zauberwort: Staycation

Unter dem Ausbleiben internationaler Gäste haben die Hostels und Billigunterkünfte am meisten gelitten. In diesem Segment mussten Häuer schließen, für immer. Gehobenere Hotels setzen mit Sonderangeboten dagegen auf Einheimische. So haben Fünf-Sterne-Häuser wie das Raffles oder das Marina Bay Sands ihre Zimmerpreise teilweise um die Hälfte gesenkt. Sie unterstützen damit den aktuellen Urlaubstrend "staycation", eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen "stay" (bleiben) und "vacation" (Urlaub). Besonders an Wochenenden gönnen sich Paare eine Auszeit im eigenen Land und genießen den Luxus.

Alter Schlüsselladen
Jan Chow von Offbeat Tours 'N' Trails führt durch Nachbarschaften, besucht Wohnblocks und kennt kleine Geschäfte wie diesen Schlüsselladen, den vom Fortschritt bald hinwegfegt werden wird.
© Till Bartels

Die Regierung hat jedem Einwohner auf seine Singpass-App, dem digitalen Ausweis der Singaporeans, ein Guthaben in Höhe von 100 Singapur-Dollar eingerichtet. Der Betrag von umgerechnet 63 Euro darf nur für Hotels, Attraktionen oder Stadtführungen verwendet werden, nicht aber für die Begleichung der Rechnung in Restaurants. 70 Prozent lösen den staatlichen Obolus für Hotels ein.

Einer, der davon profitiert, ist Jan Chow, der ungewöhnliche Entdeckungstouren durch das andere Singapur anbietet. "Vor Corona gab es keinen lokalen Tourismus", sagt er. "Jetzt entdecken die Leute ihre eigene Stadt". Er hat die Krise als Chance genutzt und erst im vergangenen Jahr seine kleine Firma Offbeat Tours 'N' Trails gegründet.

Bunte Peranakan-Häuser in dem Viertel Joo Chiat
Heimat der Peranakan-Kultur: Die Shophouses in den Vierteln Joo Chiat und Katong.
© Till Bartels

Ebenso interessieren sich durch den Lockdown mehr Singaporeans für die Vergangenheit, wie zum Beispiel für die Peranakan, eine südostasiatischen Hybridkultur, mit chinesischen und malaiischen Wurzeln. Statt über ein verlängertes Wochenende nach Bali zum Baden zu fliegen, machen sie Fahrradtouren, stoßen in alten Stadtvierteln auf die typische Peranakan-Architektur und begeben sich auf Spurensuche der eigenen Familiengeschichte.

"This is the last warning"

An meinem dritten Tag in Singapur steht der zweite PCR-Test an. Dazu geht es ins Raffles Medical Hospital, wo ich mich nicht per Handy, sondern an einem der Dutzend Schaltern registrieren muss. Das erweist sich mit dem Personal als kompliziert. Durch Masken, Sichtschutz und Akzente im Englischen verstehen wir uns akustisch schlecht. Einer der vier (!) jungen Mitarbeiter am Schalter streckt seinen Kopf immer wieder um die Plexiglasscheibe herum, sehr dicht an den meinen – Nähe statt Distanz, lautet die improvisierte Devise. Nach 20 Minuten hat er endlich alle meine Daten in sein Notebook getippt, und ich darf zum Nasenabstrich. Kosten: 94,10 Singapur-Dollar, umgerechnet cirka 60 Euro.

Einige Stunden später sitze ich in einem Bus, als mein Handy klingelt. Eine Nummer mit der Landesvorwahl +65 meldet sich, eine sehr ernste Stimme vom Singapore Safe Travel Office: Ich rechne mit der Durchsage meines Testergebnisses – ist der jetzt etwa positiv ausgefallen?

Vaccinated Travel Lane: "You are not allowed to leave your room" – Wie ich als geimpfter Tourist in Singapur die perfekte Überwachung erlebte

Weit gefehlt. Es geht um die eingangs geschilderte Situation im Hotel vor 44 Stunden. Ich hätte mit meinem Fehlverhalten gegen Paragraph XY der VTL-Bestimmungen verstoßen. "Das ist die letzte Warnung." Andernfalls müsse ich das Land mit sofortiger Wirkung verlassen, "auf eigene Kosten". Das sitzt.

Singapur zeigt sich von einer anderen Seite, jenseits der glitzernden Fassaden und Konsumtempel. Der Zwischenfall bestätigt das Image, das der Stadtstaat so gerne abstreifen würde: Singapur als "fine city". Wobei das Wort "fine" nicht als Kompliment gemeint ist, sondern auf das Wort "Geldstrafe" anspielt.

Es ist der Ort, wo Einfuhr und Handel von Kaugummis verboten sind, das Spucken in der Öffentlichkeit und das Verspeisen von Fast Food in Bussen und Bahnen mit empfindlichen Bußgeldern belegt wird. Die von meinen ersten Singapur-Besuchen in den 1990er Jahren bekannten T-Shirts mit den aufgelisteten Verboten und Geldstrafen sind zwar aus den Souvenirläden längst verbannt, aber das rigide System greift nach wie vor durch.

Wasserfall in The Jewel
Momentanes Reiseziel für Singaporeans am Flughafen Changi: Während in den Terminals kaum Passagiere einchecken, herrscht in The Jewel Hochbetrieb. Der Gebäudekomplex ist eine Mischung aus Einkaufszentrum, Freizeitattraktion und künstlichem Dschungel mit einem 40 Meter hohen Indoor-Wasserfall unter der Glaskuppel.
© Till Bartels

Pilotfunktion für weitere Korridor-Flüge

Fazit: Nach den ersten Tagen im Testbetrieb der Vaccinated Travel Lane besteht durchaus Bedarf zum Optimieren der Abläufe. Gerade für ältere Reisende, für die der Umgang mit Smartphone eher Neuland als eine Selbstverständlichkeit ist, müssten die digitalen Hürden vereinfacht werden.

Die VTL-Flüge zwischen Deutschland und Singapur haben eine Pilotfunktion für weitere Öffnungen im Reiseverkehr zu weiteren Destinationen. Bei der ersten Lane handelt es sich um keine Einbahnstraße. Sie kurbelt insbesondere das Reisen der Singaporians nach Deutschland an.

So wie Betty, die ich vor meinem planmäßigen Rückflug am Changi Airport treffe. Ihre Tochter studiert in England. Seit zwei Jahren haben sich Kind und Eltern wegen Corona nicht gesehen. Zwischen beiden Ländern sind Flüge ohne 14-tägige Quarantäne nicht absehbar. So hat Betty jetzt für die Weihnachtszeit einen VTL-Flug nach Deutschland gebucht. Ihre Tochter wird aus London dazukommen. Frankfurt wird dann dank der Vaccinated Travel Lane zum Ort der lang ersehnten Familienvereinigung.

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