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Studentenblog: Die Welt verbessern – aber richtig

Von Henrike Wiemker
Lesezeit: 6 Min.
Die Studenten Fabienne und Fritz wollen nicht einfach Gutes tun, sondern auch möglichst viel dabei bewirken. Sie orientieren sich an der Philosophie des „Effektiven Altruismus“. Wie weit führt der?

Fabienne und Fritz wollen nicht einfach Gutes tun, sondern auch möglichst viel dabei bewirken. Für ihre Entscheidungen befragen sie die Wissenschaft, ihre Philosophie heißt „Effektiver Altruismus“. Ein Besuch.

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Wenn jemand sagt, er wolle die Welt verbessern, klingt das in der Regel utopisch. Ähnlich wie der pauschale Wunsch nach Weltfrieden hat das Vorhaben einen Beigeschmack: Verträumtes Vor-sich-hin-Phantasieren, gepaart mit Tatenlosigkeit.

Fabienne und Fritz aus Düsseldorf wollen das mit der Weltverbesserung trotzdem versuchen, und sie vermitteln dabei durchaus den Eindruck, als sei es für sie eine realistische Aufgabe. Auf der Suche nach einer Lösung geht das Paar so rational und effektiv wie möglich vor. „Das Ziel ist, Leiden zu mindern“, sagt Fabienne, „und Effektivität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir an unser Ziel möglichst nah heran kommen wollen.“

Fabienne und Fritz bezeichnen sich als Effektive Altruisten und gehören damit zu einer Bewegung, die in den späten 2000er Jahren entstanden ist. Einer ihrer wichtigsten Standorte ist Oxford, wo Fabienne drei Jahre lang Psychologie studiert hat. Dort lehrt auch der 29 Jahre alte William MacAskill, Professor für Philosophie, der im letzten Jahr eines der populärsten Bücher über die Bewegung herausgebracht hat: „Gutes besser tun“, das im März auf Deutsch erschienen ist.

Im Titel steckt schon die Kernaussage des Effektiven Altruismus'. Die Bewegung untersucht, in welcher Weise sich Geld, Zeit und Können einer Person möglichst wirksam zur Verbesserung der Welt einsetzen lassen. Dabei bedient sie sich nach eigenem Verständnis der wissenschaftlichen Evidenz, etwa durch kontrollierte randomisierte Studien, die die Effekte von Hilfsprojekten untersuchen. Auch der Einfluss einzelner Berufsgruppen oder Personen auf das Weltgeschehen soll messbar gemacht werden. So ist als eine der frühesten Organisationen aus der Bewegung die Stiftung „Givewell“ hervorgegangen, die Wohltätigkeitsprojekte auf ihre Effektivität hin untersucht. Einige Bekanntheit hat auch die Berufsberatung „80000 Hours“ erlangt, die all jenen Orientierung zu geben versucht, die während ihrer Arbeitszeit (durchschnittlich sind es 80.000 Stunden im Leben eines Menschen) möglichst wirksam die Welt verbessern wollen.

Das kann weitreichende Folgen haben: Fabienne etwa ist durch die Auseinandersetzung mit dem effektiven Altruismus und „80000 Hours“ zu dem Ergebnis gelangt, dass sie künftig einen anderen Berufsweg einschlagen möchte. „Ich wollte in die klinische Psychologie gehen und Therapeutin werden“, sagt die 21-Jährige mit gleichbleibend sachlich-warmer Stimme, „ich weiß auch, dass mir der Beruf gefallen würde. Aber ich wäre darin ziemlich ersetzbar.“ Ihre Aussage verweist dabei auf eine der Leitfragen des Effektiven Altruismus': Wie viel Aufmerksamkeit bekommt ein Problem bereits und welchen Zusatznutzen würde es bringen, sich an dessen Lösung zu beteiligen?

Die millionste Psychotherapeutin zu sein, hat demnach weniger Effekt, als zum Beispiel in einem Thinktank den effektiven Altruismus selbst bekannter zu machen. Fabienne hat deswegen den Masterstudiengang „Human Decision Science“ gewählt, der ihr mehr Wege offen hält, wie sie meint, auch in die Politik hinein. Sie ziehe jetzt „viel mehr Dinge in Betracht“, die sie früher „für total langweilig“ hielt. So spielt sie mit dem Gedanken, für eine Weile das Marketing in der freien Wirtschaft kennenzulernen. „Ich denke, da kann ich sehr vieles lernen, was später auch in anderen Bereichen nützlich sein könnte“. Wieder nennt sie das Ziel, „den effektiven Altruismus bekannter zu machen“.

Auch Fritz plant seine Berufslaufbahn auf der Basis von „80000 Hours“. Er studiert Medieninformatik und wollte eigentlich in die Kreativbranche. Doch „80000 Hours“ rät wegen zu großer Konkurrenz und schlechter Bezahlung davon ab - was nicht unbedingt eine revolutionäre Erkenntnis ist. Schon überraschender: Informatik wird explizit empfohlen. „Zumindest wenn man sich dafür interessiert“, fügt Fritz hinzu und folgert weiter: „Dort kann ich vermutlich viel Geld verdienen, das ich dann an effektiv arbeitende Hilfsorganisationen spenden kann.“ In der „EA“-Bewegung wird diese Logik als „Earning to give“ bezeichnet. Ein einzelner, der dank seiner Begabung, seiner Interessen und seiner Ausbildung das Potenzial hat, viel Geld zu verdienen und damit auch viel zu spenden, bewirke auf diese Weise oft mehr, als wenn er seine Arbeitskraft direkt einer Hilfsorganisation zur Verfügung gestellt hätte.

Jedes Jahr empfiehlt „Givewell“ acht wohltätige Organisationen, die besonders effektiv arbeiteten. Aktuell gehören dazu die „Against Malaria Foundation“, die mit Hilfe von Mückennetzen die Verbreitung von Malaria eindämmt, sowie die „Deworm the World Initiative“, die Tabletten gegen Wurmkrankheiten verteilt. Als Kriterien werden unter anderem „Transparenz“ und „Kosten-Effektivität“ der jeweiligen Organisation genannt. Wichtig ist auch, dass Belege für die Wirksamkeit von Maßnahmen erbracht werden.

Am meisten überrascht hat Fritz die Einstellung, die der Effektive Altruismus dem Arztberuf entgegenbringt. „Ich habe lange überlegt, Arzt zu werden, gerade weil ich gerne etwas Sinnvolles tun und anderen helfen wollte“, sagt der 22-Jährige. Weil es aber in weit entwickelten Ländern bereits so viele Ärzte gebe, bewirke jeder weitere dort nur noch vergleichsweise wenig, so schreibt William MacAskill sinngemäß in „Gutes besser tun“. Dabei stützt er sich auf Überlegungen des Mediziners Gregory Lewis, der auf Basis von Statistiken zu beziffern versuchte, wie viele Menschenleben ein Arzt je nach Einsatzland in seiner Berufslaufbahn retten kann. Dabei hat er einzelne Staaten betrachtet, ohne jedoch die Verteilung der Ärzte innerhalb der Staaten mit einzubeziehen, die zum Beispiel für Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gebieten sorgt. Auch hier ist das Ergebnis leicht nachvollziehbar: Als Arzt in einem Entwicklungsland kann man natürlich deutlich mehr bewegen als in einem Industrieland, erst Recht, wenn man dort sein Wissen weitergibt. Lewis' Pointe aber besteht darin, dass nicht jeder, der möglichst viele Menschenleben retten möchte, Mediziner in einem Entwicklungsland werden muss. Es könne oft sogar effektiver sein, in einem entwickelten Land möglichst viel Geld zu verdienen und durch möglichst große Geldspenden Menschenleben zu retten. Fritz sagt: „Darüber hatte ich vorher einfach nicht nachgedacht.“

Fabienne und Fritz lieben es, über mögliche Entscheidungen zu diskutieren und sie weiter zu hinterfragen. Weist Fabienne darauf hin, dass die Empfehlungen für bestimmte Hilfsorganisationen „natürlich nur unter den gerade aktuellen Voraussetzungen“ gelten, fügt Fritz hinzu: „Genau, wenn zum Beispiel Malaria ausgerottet würde, macht es keinen Sinn mehr, an die ‚Against Malaria Foundation‘ zu spenden, die Mückennetze verteilt.“ Darauf Fabienne: „Obwohl ich mir nicht ganz sicher bin: Braucht man dann nicht immer noch Netze?“

Seit drei Jahren beschäftigt Fabienne sich mit dem Effektiven Altruismus. „Es hat mich sofort überzeugt, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Im Grunde hatte ich nach genau so etwas gesucht“, sagt die Master-Studentin. Jetzt versucht sie, die Bewegung an Rhein und Ruhr bekannter zu machen, organisiert Treffen und vernetzt Interessierte. „Eigentlich erzähle ich jedem von EA, der lange genug stehen bleibt“, sagt sie grinsend. Einen festen Gruppenverband wie in anderen Städten, etwa Wien und Berlin, gibt es hier noch nicht. Im Juli hat Fabienne einen Experten aus Oxford für einen Workshop an die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf geholt, an dem auch Fritz teilnahm. Er hat vor gut eineinhalb Jahren zum ersten Mal vom Effektiven Altruismus gehört, als er Fabienne über die Dating-Plattform „OkCupid“ kennenlernte. Jetzt kümmert auch er sich um die Weiterverbreitung der Bewegung, die vor allem aus jungen Menschen besteht und noch ein wenig in den Kinderschuhen steckt. „Was mich wundert!“, sagt Fritz energisch, „es ist doch nicht so weit hergeholt zu sagen: Weil wir nicht die ganze Welt auf einmal retten können, fangen wir da an, wo wir am meisten bewirken können.“

Darüber, welches die drängendsten Probleme der Welt sind, gibt es im Effektiven Altruismus dabei durchaus Meinungsverschiedenheiten, solche, bei denen der betont rationale Zugang und die verwendeten Studien und Prognosen nicht recht weiter helfen. Wie zum Beispiel einigt man sich in der Frage, was in dem Vorsatz „Leid vermindern“ mit dem Begriff „Leid“ gemeint ist? Die meisten von „Givewell“ empfohlenen Hilfsorganisationen zielen darauf ab, den vorzeitigen, durch Armut, Hunger und Krankheit verursachten Tod von Menschen zu verhindern. Es gibt aber auch empfohlene Organisationen, die sich gegen das Leiden von Tieren einsetzen. Diesen Zwiespalt sieht auch Fritz: „Es stimmen sicher nicht alle der Meinung zu, dass die Massentierhaltung eines der drängendsten Probleme unserer Zeit ist. Aber die Entscheidung, wofür man spendet, steht jedem frei.“ Und Fabienne fügt hinzu: „Leid ist nicht nur Hunger und Krankheit, sondern zum Beispiel auch, sich unterdrückt zu fühlen. Etwa als LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) in Russland.“

Auch bei anderen Entscheidungen lässt der Effektive Altruismus gewissermaßen Schlupflöcher der Subjektivität offen. Es geht nicht darum, in allen Lebensbereichen nach Kriterien der Effektivität zu handeln. Fabienne: „Natürlich muss man dem eigenen Privatleben Raum lassen, und niemand würde komplett auf das eigene Wohl verzichten. Das ist sogar sinnvoll, wenn man sein Helfen maximieren möchte. Denn sonst ist man langfristig nicht motiviert, das wäre sogar ineffektiv.“ Fabienne berichtet von Freunden, die für sich jede Woche einen Zeitraum festgelegt haben, in dem sie nach den Prinzipien des Effektiven Altruismus handeln. In ihrer restlichen Zeit machen sie sich keine großen Gedanken darüber. Fabienne fügt hinzu: „Zu einem bestimmten Ausmaß machen wir das in der EA-Bewegung alle so. Sonst wär’s kontraproduktiv.“

Von dem Konzept als solchem ist Fabienne vollkommen überzeugt. „Ich weiß, dass viele intelligente Leute sich Gedanken darüber gemacht haben, was im Moment das Sinnvollste ist und das Ergebnis auch immer wieder neu hinterfragen. Natürlich ist das alles nicht einfach, aber es ist immer noch besser, es zu versuchen, als die Hände in die Luft zu schmeißen und einfach blind etwas auszusuchen. Es ist die beste Option, von der wir wissen.“

Wir werden die beiden in einem Jahr wieder besuchen.