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Policen Warum sind Versicherer so teuer – und wer passt eigentlich darauf auf?

Der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Mark Branson, bei der Jahrespressekonferenz im Mai 2023.
Der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Mark Branson, bei der Jahrespressekonferenz im Mai 2023.
© Ulrich Baumgarten / Picture Alliance
Die Finanzaufsicht hat die Lebensversicherer nachrücklich ermahnt. Nun kommt ausgerechnet die neue Oberaufseherin für Versicherungen aus einem Haus mit extremen Kostenquoten. Wie passt das zusammen?

Noch zu Jahresbeginn drohte Deutschlands oberster Finanzaufseher den Lebensversicherern: Sie sollten zusehen, dass sie die Exzesse bei den Provisionszahlungen in den Griff bekämen. „Sonst wird so etwas wie ein Provisionsverbot oder ein Provisionsrichtwert kommen“, warnte BaFin-Chef Mark Branson die Unternehmen bei einer Branchenveranstaltung im Januar. Bisher jedoch machte die Finanzaufsicht keine weiteren Schlagzeilen in Sachen Versicherungskosten, außer dieser hier… 

Seit einigen Tagen ist Julia Wiens neue Exekutivdirektorin bei der BaFin und zuständig für die Versicherungsaufsicht. Ihr Vorgänger Frank Grund – der sich zuletzt ebenfalls öffentlich für die Kostenbegrenzung der Branche aussprach – verabschiedete sich in den Ruhestand. Die neue Versicherungsaufseherin war zuvor seit 2017 im Vorstand der "Baloise Lebensversicherung", vormals Basler. Übrigens genau wie ihr Vorgänger Grund, der dort ebenfalls arbeitete, bevor er zur BaFin ging. 

Stutzig macht an dieser Personalie nun eines: Ausgerechnet die Baloise Leben sticht im Markt nicht gerade kundenfreundlich hervor, denn „sie hat eine der höchsten betriebswirtschaftlichen Kostenquoten im Markt. Dahinter verblasst sogar die Generali Leben“, so hat es Finanzprofessor Hermann Weinmann vom Institut für Finanzwirtschaft in Ludwigshafen ermittelt. Seinen Berechnungen zufolge „hatte die Baloise Leben im Geschäftsjahr 2022 eine erweiterte Betriebskostenquote von 26,7 Prozent. Im Jahr 2021 sogar 32,1 Prozent. Plakativ ausgedrückt: Allein das Betreiben des Unternehmens fraß bei der Baloise Leben mehr als ein Viertel des jährlichen Umsatzes.“

Zudem staunt Weinmann: Die Abschlusskostenquote der Lebenssparte – auf die Bransons Warnung abzielte – weise das Unternehmen in seinem Geschäftsbericht von 2022 gar nicht erst aus. (Für 2023 liegt der Bericht noch nicht vor) Üblicherweise werde die Quote genannt. Ist das also nur ein Versehen, oder darf man bei Unternehmen aufhorchen, die solche Daten nicht nennen?

Nicht jeder Anbieter hat hohe Betriebskosten

Was die Betriebskostenquote betrifft, so galt bisher die Generali Leben als einer jener Anbieter mit den höchsten Kostenquoten. Sie gehört auch zu den 12 größten Gesellschaften hierzulande im Lebensbereich, dagegen ist die Baloise ein kleiner Fisch. Bei der Generali betrug die Betriebskostenquote zuletzt 14,9 Prozent, zuvor 16,7 Prozent. Und schon das ist viel. Beim Marktführer Allianz Leben beträgt diese Quote nur 7,3 Prozent, was beweist: Zweistellige Betriebskosten sind kein Muss in der Branche. Auch nicht für große Unternehmen.

Ausgerechnet die kleine und kostenintensive Baloise also stellt nun bereits zum zweiten Mal den Branchen-Chefaufseher bei der Aufsichtsbehörde – die ja eigentlich die Kosten der Branche begrenzen will. Mit Verlaub also die Frage: Macht man da nicht den Bock zum Gärtner?

Die Personalien der BaFin sind zwangsweise mit dem Finanzministerium abzustimmen, denn das hat die Oberaufsicht über die Finanzaufsichtsbehörde. Der Finanzminister reguliert also wiederum die BaFin. Sind die Fachkräfte in der Branche tatsächlich so ungleich verteilt, dass regelmäßig ein sehr kleines der insgesamt 80 Lebensversicherungsunternehmen hierzulande mehrmals nacheinander den Branchenaufseher stellt. Oder welches Kalkül steckt sonst dahinter, dem BaFin-Chef Branson gezielt Vertreter aus Hochkostenunternehmen zur Seite zu stellen? Die oberste Versicherungsaufseherin wird schließlich auch darüber befinden müssen, wann die Kosten in der Branche als zu hoch einzuschätzen sind.

Eine Sonderprüfung läuft ...

Kurz zur Erinnerung: Die BaFin hatte jüngst selbst gemahnt, der Kundennutzen käme bei Versicherungsprodukten womöglich zu kurz, weil die Kostenquoten sehr hoch seien. Das war das vorläufige Ergebnis einer Sonderbefragung, die im Jahr 2021 stattfand und deren Ergebnisse 2022 von der BaFin veröffentlicht wurden. Die „Kostenbelastung sei ein Risikoindikator“, so schrieb die BaFin. Der damalige Versicherungsaufseher Frank Grund drückte es damals so aus: „Es geht darum, Exzesse im provisionsgestützten Vertrieb zu verhindern.“

Laut den Unternehmensdaten hatte die BaFin die Kosten von Lebensversicherungen und fondsgebundenen Rentenversicherungen verglichen. Sie ermittelte die Effektivkosten der Verträge, also die Renditeminderung, die Kunden durch die Verträge erfahren. Mit dem Ergebnis: Im Schnitt betragen die Effektivkosten bei fondsgebundenen Policen rund 2 Prozentpunkte auf übliche Laufzeiten von 20 bis 30 Jahren. Bei klassischen Lebensversicherungen rund 1,3 bis 1,5 Prozentpunkte. Und das ist ziemlich hoch, denn es bedeutet: Betragen die Effektivkosten 2 Prozentpunkte und der Vertrag erzielt angenommen eine Rendite von 4 Prozentpunkten, bleiben unterm Strich nur 2 Prozentpunkte Rendite für den Kunden übrig. Also nur die Hälfte. 

Bei Klassikpolicen ist überdies kaum mit 4 Prozent Rendite zu rechnen. Sondern mit weniger. Denn bei ihnen müssen die Anbieter das Kapital größtenteils in sehr sichere Anleihen stecken, um die Garantiezusagen an die Kunden bedienen zu können. Bei rund 2 Prozent Kapitalanalageertrag und 1,5 Prozentpunkten an Kosten kann man sich aber auch leicht ausrechnen, was übrigbleibt.

... doch bisher bleibt es bei Mahnungen

„Sind die Kosten solcher Produkte zu hoch, kann die Rendite unangemessen niedrig ausfallen. Dann reichen die Sparbeiträge der Versicherungsnehmer möglicherweise nicht aus, um spätere Versorgungslücken zu vermeiden“, fasste die Finanzaufsicht bereits 2022 zusammen und formulierte auch ein Merkblatt für die Unternehmen zu den Kostenhöhen. Es stütze sich auf „die wohlverhaltensaufsichtlichen Vorgaben“, wie es im schönsten Amtsdeutsch hieß: „Im Fokus des Merkblatts steht die unternehmenseigene Feststellung eines angemessenen Kundennutzens der vertriebenen Produkte.“ 

Vorgaben zu Quoten und Höhen fanden sich darin nicht. Nur ganz allgemein stellte die Aufsichtsbehörde fest: Rentenversicherungen seien langfristige Anlageprodukte, deshalb müsse bei ihnen das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Verbraucherschützer deuten das so, dass solche Produkte langfristig mindestens den Inflationsausgleich schaffen müssten, also zwei Prozentpunkte Rendite jährlich – nach Abzug aller Kosten.

Erklärtermaßen will die BaFin aber Versicherer prüfen, bei denen die Effektivkosten im Branchenvergleich sehr hoch ausfallen. Obgleich sie bisher keine weiteren Angaben dazu machte, wie weit diese Prüfungen gediehen sind. 

Noch prüft sich die Branche selbst

Es bleibt abzuwarten, wie sich die neue Versicherungsaufseherin positioniert zu der Frage: Wann sind die Kosten von Lebensversicherern wirklich zu hoch?

Derweil wird Ex-Aufseher und Ruheständler Grund im Rating-Komitee der Agentur Assekurata tätig. Dort soll er dabei helfen, dass die Beurteilungen zu den geprüften Unternehmen konsistent ausfallen – sozusagen im beratenden Nebenjob, der relativ gering vergütet wird, aber auch zuvor vom Finanzministerium genehmigt werden musste. Wie Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will verriet, ist Grund offenbar nicht der erste BaFin-Vertreter, der in dem Rating-Komitee mitwirkt. „Auch Dr. Helmut Müller (BAV-Präsident) und Klaus Wücke (BAV-Referatsleiter) gehören dazu.“ Die Expertise der Ex-Aufseher helfe dabei, ein umfassendes Bild von der Branche zu bekommen.

Bei den Ratings geht es vorwiegend darum, den Versicherungsunternehmen Bonitätsbescheinigungen auszustellen, auch damit sie Geld von Investoren einwerben können. Das Kundeninteresse steht weniger im Fokus. Vielleicht könnten die Ex-Aufseher die Analysten aber dazu bewegen, sich bei den Bewertungen künftig mehr Gedanken über den Faktor „Kosten und Kundennutzen“ zu machen. Ein frommer Wunsch. Aber hoffen darf man ja mal.

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