Der Nahost-Konflikt und die propalästinensischen Demonstrationen mit aufgeheizter Stimmung in Berlin sind nach Einschätzung der Polizei auch ein Thema bei möglichen Gewaltausbrüchen am 1. Mai. «Für den 1. Mai spielt das natürlich eine Rolle, klar», sagte Polizei-Vizepräsident Marco Langner am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Auch Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sprach von einer Herausforderung für die Polizei, die am 1. Mai gefordert sei und besonders bei der traditionellen linken Demonstration am Abend in Neukölln und Kreuzberg mit der aktuellen politischen Lage umgehen müsse.

Scharf kritisierte Spranger die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne), weil erneut das frühere Straßenfest nicht stattfindet. «Darüber bin ich hoch verärgert», sagte Spranger. Sie habe Herrmann einen Brief geschrieben und gebeten, das sogenannte Myfest noch möglich zu machen, weil so die Straßen den friedlichen Menschen vorbehalten würden und das Fest der Gewaltbereitschaft entgegenwirke. Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg wiesen die Vorwürfe zurück.

Im Fokus der Polizei und Politik steht vor allem die linke und linksextreme Demonstration «Revolutionärer 1. Mai 2024», die um 18.00 Uhr am Südstern in Kreuzberg beginnen soll und dann nach Neukölln zum Hermannplatz und durch die Karl-Marx-Straße und Sonnenallee wieder zurück zum Südstern ziehen will.

Die Veranstalter veröffentlichten am Montag ihren Aufruf: «Konzerne enteignen! Kriegstreiber entwaffnen! Kapitalismus zerschlagen!». Kritisiert wurde unter anderem eine angebliche «Kriegsstimmung in Deutschland». Zum Terrorangriff auf Israel und dem Krieg in Gaza hieß es, 40 000 ermordete Palästinenser und Palästinenserinnen «stellen nicht zuletzt auch die Bundesregierung an den Pranger, welche die Waffenlieferungen an Israel erhöht».

Betont wurde: «Neukölln als Austragungsort des diesjährigen 1. Mai ist dabei eine bewusste politische Entscheidung.» In Neukölln hatte es nach dem Angriff auf Israel und dem israelischen Krieg im Gaza-Streifen heftige palästinensische Proteste gegeben. Die islamistische Terrororganisation Hamas wird in dem Aufruf zum 1. Mai nicht erwähnt.

Eine weitere linke Demonstration findet bereits am 30. April, dem Vorabend des 1. Mai, in Wedding statt. Unter dem Motto «Für Frieden und soziale Gerechtigkeit» beginnt sie um 18.00 Uhr am Leopoldplatz. Am Vormittag des 1. Mai demonstrieren wie üblich die Gewerkschaften am Brandenburger Tor.

Am Nachmittag soll es bunt und satirisch im Villenviertel Grunewald zugehen: «Razzia im Grunewald - Kapitalverbrechen aufklären» heißt es bei einem Zug vom Johannaplatz zum S-Bahnhof Grunewald. Außerdem gibt es viele kleinere Veranstaltungen und Demonstrationen, darunter auch für Russland und gegen die Nato am Brandenburger Tor.

Spranger kündigte an, dass sie am 1. Mai zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) auch selber unterwegs sein werde, um Veranstaltungen und auch die Polizei zu besuchen und zu unterstützen. Am 26. April werde sie die Fraktionen im Abgeordnetenhaus über deren innenpolitische Sprecher über die geplanten Polizeieinsätze und Maßnahmen informieren. In den vergangenen Jahren waren wegen der früher üblichen Gewaltausbrüche von Linksextremisten meist mehr als 5000 Polizisten in Berlin im Einsatz.

Zu dem seit mehreren Jahren abgesagten Kreuzberger Straßenfest Myfest sagte Spranger, dabei habe es sich um das «Aushängeschild des friedlichen Miteinanders» gehandelt. «Wir als Senat begrüßen Veranstaltungen, die Gewaltbereitschaft reduzieren, ausdrücklich.»

In allen Bezirken gebe es zahlreiche Veranstaltungen für Jugendliche und junge Menschen, die präventiv gegen Gewalt wirken sollten, nur in Kreuzberg als hauptbetroffenem Bezirk gebe es lediglich ein einziges solches Fest, sagte Spranger. «Das finde ich sehr dünn.» Dabei stünden im Finanzplan des Bezirks ausdrücklich für jedes Jahr 265 000 Euro für Planung und Durchführung von Veranstaltungen zum Deeskalationsprogramm für den 1. Mai.

Der Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco aus Friedrichshain-Kreuzberg verwies auf die Polizei, die im vergangenen Jahr zum Fehlen des Myfestes festgestellt habe: «Messbare Auswirkungen auf die polizeiliche Lagebewältigung konnten im Ergebnis nicht festgestellt werden.»

Bezirksbürgermeisterin Herrmann betonte in ihrer Antwort an Spranger, dass der Schwerpunkt der Deeskalationsstrategie am 1. Mai auf dem Görlitzer Park liege, wo sich viele Menschen aufhalten würden. Dort solle es mehr Toiletten und mehr Sauberkeit und Ordnung geben, Flaschen sollten aufgesammelt werden.

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