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Politik

Namibia vertagt Abstimmung über Genozidabkommen

Cai Nebe | Sakeus Iikela Windhuk
21. September 2021

Bereits im Juni hatte das Parlament in Windhuk das Abkommen ratifizieren sollen. Es sieht unter anderem vor, dass Deutschland sich für den Völkermord an den Nama und Herero entschuldigt und 1,1 Milliarden Euro zahlt.

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Menschen laufen mit Fahnen und Plakaten auf einer Straße
Vor der Parlamentsdebatte gab es in der Hauptstadt Windhuk Proteste gegen das AbkommenBild: Sakeus Iikela/DW

Und wieder hat das Parlament von Namibia die Ratifizierung des sogenannten Genozidabkommens mit Deutschland vertagt. Bei der Debatte im namibischen Parlament kam es zu tumultartigen Szenen. Am frühen Abend wurden die weitere Aussprache und die Abstimmung darüber vertagt.

Die Parlamentsdebatten waren bereits im Juni ausgesetzt worden, da Namibia mit einer verheerenden COVID-19-Infektionswelle zu kämpfen hatte. Dies verzögerte die Entscheidung der Nationalversammlung zu Berlins Angebot einer formellen Entschuldigung für den zwischen 1904 und 1908 begangenen Völkermord an den Nama und Herero auf dem Gebiet des heutigen Namibia.

Die Pandemie hatte auch wichtige namibische Schlüsselfiguren getroffen. Der namibische Verhandlungsführer Zed Ngavirue, der mit seinem deutschen Amtskollegen Ruprecht Polenz zusammenarbeitete, verstarb im Juni an den Komplikationen einer Corona-Infektion. Vekuii Rukoro, Anführer der Herero und Kritiker der Verhandlungen, erlag ebenfalls im Juni dem Virus.

Unstimmigkeiten über Hilfsgelder

Das Abkommen zwischen Namibia und Deutschland war Ende Mai nach mehr als fünf Jahren Verhandlungen beschlossen worden. Die Entschuldigung Deutschlands ist an Hilfen im Wert von 1,1 Milliarden Euro gebunden, die über einen Zeitraum von 30 Jahren ausgezahlt werden sollen. Das Geld solle zum Wiederaufbau, zur Versöhnung und für Entwicklungsprojekte eingesetzt werden.

Namibia Deutschland Kolonialzeit Zed Ngavirue
Namibias Verhandlungsführer Zed Ngavirue - hier im DW-Interview - starb im Juni Bild: Adrian Kriesch/DW

Die namibische Regierung hatte die Einigung beider Länder begrüßt. Präsident Hage Geingob erklärte, die Entschuldigung sei "ein Schritt in die richtige Richtung". Verhandlungsführer Ngavirue sagte der DW, nachdem die Einigung erzielt worden war, dass die namibische Seite ihre Hauptziele "Anerkennung des Völkermords, Entschuldigung und Zahlung von Reparationen" erreicht habe.

Deutschland betonte jedoch ausdrücklich, dass jegliche Zahlungen an Namibia nicht als Reparationen im rechtlichen Sinne zu verstehen seien.

Diese Tatsache wurde von einigen Namibiern als Zeichen dafür gewertet, dass Deutschland sich nicht vollständig dazu bereit erklärt, für die Taten der deutschen Soldaten und Militärbefehlshaber während der Kolonialzeit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auch die Höhe der Entschädigungen wurde heftig kritisiert, wobei der Rat der Chiefs der Nama und Herero den Betrag als "Beleidigung" und "inakzeptabel" bezeichnete.

Klagen über Ausgrenzung bleiben bestehen

Einige Herero- und Nama-Führer, darunter der verstorbene Vekuii Rukoro, haben die Verhandlungen der namibischen Regierung mit Deutschland von Anfang an abgelehnt und behauptet, sie seien von Entscheidungen, die sie betreffen, ausgeschlossen worden. Dies wies die namibische Premierministerin Saara Kuugongelwa-Amadhila zurück. Deutschland hatte immer betont, ein bilaterales Abkommen mit der namibischen Regierung anzustreben, und nicht mit einzelnen Herero- und Nama-Gruppen zu verhandeln.

An diesem Dienstag marschierten Hunderte zum namibischen Parlament, um eine Petition zu übergeben, in der die namibische Regierung aufgefordert wird, das gemeinsame Abkommen nicht durch das Parlament zu bringen.

"Wir haben das Gefühl, dass unsere Regierung uns nicht unterstützt", sagt Esther Muinjangue, Vorsitzende der National Unity Democratic Organisation (NUDO), die auch betroffene Gemeinschaften vertritt, der DW. Es gehe immer darum, dass Regierungen miteinander verhandelten, kritisiert Muinjangue. "Und wo bleiben wir?"

"Wir wollen behandelt werden wie andere Opfer des Völkermordes, die Deutschland entschädigt und bei denen es sich entschuldigt hat", sagt Vipua Muharukua, ein Abgeordneter der Popular Democratic Movement, der selbst von Opfern des Völkermords abstammt. "Wir brauchen keine Regierung, die sich den Forderungen Deutschlands beugt, unabhängig von der Haushaltslage." Die Namibier würden "nichts Geringeres als gerechte Reparationen" akzeptieren, so Muharukua im Interview.

Menschen mit Plakaten auf einer Straße
Der stellvertretende Vorsitzende der Landless People's Movement, Henny Seibeb, spricht bei einem Protest in WindhukBild: Sakeus Iikela/DW

Lokalen Medien zufolge zeigte sie die Oppositionspartei Landless People's Movement (LPM) besorgt darüber, dass die regierende SWAPO-Partei ihre parlamentarische Mehrheit nutzen würde, um das Abkommen durch das Parlament zu bringen. "Ich appelliere an das Gewissen der SWAPO, dass sie ihre Zweidrittelmehrheit nicht dazu nutzt, ein Abkommen durchzudrücken, mit dem nicht alle Parteien zufrieden sind. In der Politik geht es um Konsens und Kompromisse", sagte Henny Seibeb, stellvertretender Vorsitzender der LPM, zur DW.

Versöhnungsabkommen mit Namibia

Bundesaußenminister Heiko Maas sagte der DW, dass die Bundesregierung auf eine Entscheidung aus Namibia warte. "Und wenn die positiv ausfällt, trotz aller schwierigen Diskussionen, die es sicherlich weiterhin geben wird, sind wir jederzeit bereit, das, was wir verhandelt haben, auch schnellstmöglich zu unterzeichnen."

Sollte das Parlament das Abkommen annehmen, wird die größte Herausforderung für die namibische Regierung darin bestehen, die Nama- und Herero-Gemeinschaften davon zu überzeugen, die Bedingungen des Abkommens zu akzeptieren, so Analysten. 

Welche Verbrechen hat Deutschland in Namibia begangen?

Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht in dem Gebiet, das damals Deutsch-Südwestafrika hieß.

Während dieser Zeit schlugen die deutschen Streitkräfte mehrere Aufstände brutal nieder und töteten Zehntausende von Menschen. Besonders der deutsche General Lothar von Trotha, der 1904 zur Niederschlagung eines Herero-Aufstandes entsandt wurde, war für seine Skrupellosigkeit bekannt.

Die Herero wurden von deutschen Siedlern von ihrem Land vertrieben und nach ihrer Gefangennahme in Konzentrationslager im heutigen Namibia gebracht. Historiker gehen davon aus, dass bis zu 65.000 der rund 80.000 Herero, die damals in dem Gebiet lebten, und mindestens 10.000 der rund 20.000 Nama getötet wurden.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

Aus dem Englischen adaptiert von Uta Steinwehr